Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Braunsberg (Braniewo)

Braunsberg (Braniewo)

(1) B. wurde am linken Ufer der Passarge, acht Kilometer südlich von der Einmündung dieses Flusses in das Frische Haff gegründet. Der Name bezieht sich wahrscheinlich auf eine in der alten preußischen Landschaft Warmien (Ermland) errichtete Wallburg, die von deutschen Kreuzfahrern und Ansiedlern als Brussibirge bzw. Brusebergue (soviel wie Preußisches Lager) genannt wurde. Die Rolle B.s als der wichtigsten Stadt Ermlands ergab sich u. a. aus der günstigen Verkehrslage, da hier der Landweg von Danzig und Elbing nach Königsberg die Passarge querte. 1237–1240 eroberte der Deutsche Orden die preußischen Gebiete am Frischen Haff. Die Bedeutung B.s wird zudem aus dem Vertrag von Christburg 1249 sichtbar, in dem B. zu den sechs Ortschaften Warmiens gerechnet wird, in welchen die Preußen neue Kirchen errichten sollten. Nach der Aufteilung des Bm.s Ermland zwischen dem Bischof und dem Deutschen Orden (1251, 1254) war B. dem bfl.en Teil gegeben worden. 1260 gründete Bischof Anselm in B. das Domkapitel und die Kathedrale St. Andreas (nach 1280 nach Frauenburg verlegt). 1280–1340 war B. Hauptresidenz und dann bis 1772 die wichtigste Nebenresidenz der ermländischen Bischöfe Nach dem Friedensvertrag von Thorn 1466 unterstand das Hochstift Ermland der polnischen Krone. Mit dem Anschluss Ermlands an Preußen in Folge der ersten Teilung Polens 1772 wurde die territoriale Herrschaft des Bf.s aufgehoben.

(2) Die von dem Deutschen Orden errichtete Befestigungsanlage wurde während des preußischen Aufstandes 1242–1249 zerstört, jedoch schnell wieder aufgebaut; 1251 war ein Pfarrer in B. aktiv, 1254 wurde B. erstmals als civitas bezeichnet. 1261 während des zweiten preußischen Aufstands erneut zerstört, wurde die Stadt 1279 auf dem linken Flussufer nur wenige hundert Meter flussaufwärts vom alten Platz wieder angelegt. Eine führende Rolle spielten nun Siedler aus Lübeck mit dem Lokator Johann Fleming an der Spitze, der das Amt des Erbschulzen übernahm. 1284 verlieh Bischof Heinrich I. aus der Familie Fleming, Bruder des Lokators, der Stadt das lübische Recht. Nach der Verlegung der bfl.en Residenz nach Wormditt gründete Bischof Hermann von Prag wahrscheinlich 1341 auf dem rechten Flussufer die Neustadt Braunsberg, ebenfalls mit lübischem Recht, jedoch mit einer eingeschränkten Autonomie und einem Burggrafen als Vorsteher.

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts zählten Alt- und Neustadt B. ca. 2500 Einwohner. Von Anfang des 16. Jahrhunderts bis in die 1620er Jahre stieg der Bevölkerungszahl auf ca. 4250 an. 1624 gab es ca. 360 Häuser, davon 232 in der Altstadt. Durch zwei Pestwellen 1661–1662 und 1709–1711 ging sie auf ca. 2000 zurück, woraufhin sie bis 1773 wieder anstieg auf ca. 4249 Einwohner.

Die Altstadt wurde als irreguläres Viereck von ca. 450 m Länge und ca. 250 m Breite, ca. 10 ha, umfassend, angelegt, dessen kürzere Seite an die Passarge stieß. Die Hauptachse der Stadt bildete die vom Hohen Tor im Südwesten bis zum am Fluss gelegenen Mühlentor im Nordosten führende Langgasse. Die Neustadt hatte die Gestalt eines Vierecks von ca. 300 m Länge und ca. 230 m Breite, etwa 7 ha ergebend. Ihre Hauptstraße war die nord-südlich verlaufende, breite Marktstraße. Die Altstadt erhielt im 14. Jahrhundert Mauer und Graben. Die Neustadt war nur von einer Holzpalisade mit zwei Toren geschützt. Während der schwedischen Besatzung 1626–1634 wurden beide Städte mit einem gemeinsamen Gürtel von Außenbefestigungen umgeben.

Schon am Ende des 13. Jahrhunderts übernahm die altstädtische Gemeinde das Amt des Erbschultheißen. 1284 verlieh der Landesherr das Marktrecht, die volle Gerichtsbarkeit innerhalb der Stadtmauer und im städtischen Landgebiet sowie die freie Wahl der Ratsherren. Der Bischof behielt lediglich als oberster Gerichtsherr ein Drittel der Geldbußen. Die Bürger zahlten dazu einen symbolischen Rekognitionszins. Die Neustadt vermochte nur einen beschränkten Umfang der Selbstverwaltungsrechte zu erlangen. Dem bfl.en Burggrafen wurden hohe Gerichtsbarkeit über die Bürger, das Gericht auf dem Stadtfeld, ein Drittel der Zinsen aus dem Rathaus und aus den Handelseinrichtungen, und die Aufsicht und Genehmigung bei Ratswahlen vorbehalten. Das wichtigste Organ der Stadt war der Rat. Nach einer Verordnung des Jahres 1526 sollte der Altstädter Rat aus 14 und der Neustädter Rat aus acht Ratsherren bestehen. Zugleich wurde ein Beratungsorgan geschaffen, das aus 32 Vertretern der Quartiere und der Hauptgewerke bestehen sollte.

B. verfügte mit dem Frischen Haff über einen Zugang zur Ostsee und mit der Passarge erschloss sich das preußische Hinterland. Deswegen war B. der Hauptseehafen Ermlands. 1358 wurde B. erstmals als Mitglied der Hanse erwähnt. Im 14. Jahrhundert reichten Handelskontakte der B.er Kaufleute und Schiffer bis nach England, Flandern und Livland. Die zunehmende Konkurrenz Danziger und Elbinger Kaufleute bedingte im 15. Jahrhundert einen Rückzug der B.er Fernhändler aus dem hansischen Handel. Dennoch nahmen im 16. und 17. Jahrhundert die Niederlande, England und Schottland als Zielorte des Ausfuhrhandels einen wichtigen Platz ein. Hauptexportartikel waren Flachs, Getreide und Waldprodukte. Seit 1526 besaß die Stadt das Stapelrecht für Flachs. Die Versorgung des Schlosses spielte in der Stadtwirtschaft eine untergeordnete Rolle. Die vier Hauptgewerke des Handwerks waren Schuhmacher, Schneider, Bäcker und Tuchmacher, letztere 1712 durch die Schmiede ersetzt. Die wirtschaftliche Aktivität des Landesherrn in der Stadt hatte nur ein geringes Ausmaß. Dem Bischof gehörten eine am Flussufer gelegene Badestube und eine Amtsmühle zwischen der Alt- und Neustadt, die den Bürgern für einen Zins verpachtet wurden.

(3) Ein Pfarrer an der Hauptkirche, die der Hl. Katharina geweiht war, wird 1251 erstmals urkundlich erwähnt. Das Patronatsrecht über die Pfarrkirche besaß der Bischof Dem Pfarrer unterstanden zwei Filialkirchen, die Trinitatiskirche in der Neustadt (belegt seit 1437) und die St. Johannis-Kirche in der Vorstadt vor dem Obertor (1626 abgerissen). 1296 stiftete Bischof Heinrich I. Fleming einen Franziskanerkonvent. Wegen des Widerstandes der Bürger gegen den Bau eines Klosters innerhalb der Mauer ließen sich die Franziskaner in der nördlichen Vorstadt vor dem Mönchentor nieder. Erst 1330 wurden Kloster und Marienkirche in die Stadt verlegt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gab es zwei Beginenhäuser.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden ein Heilig-Geist-Hospital vor den Toren an der Passarge und ein Hl. Georg-Leprosorium in der nördlichen Vorstadt am Weg nach Königsberg gegründet. 1394 übertrug Bischof Heinrich Sorbom das Patronatsrecht über das Heilig-Geist-Hospital dem Rat. An Stelle des 1521 zerstörten Hospitals errichtete der Rat in den 1530er Jahren das St. Andreas-Hospital, dem auch das Vermögen des Hl. Georg-Hospitals übereignet wurde.

1523 begann in B. die lutherische Reformationsbewegung, die 1526 durch den Bischof und mit Hilfe des polnischen Kg.s eingedämmt wurde. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildeten die ermländischen Bischöfe in B. ein bedeutendes Zentrum der Gegenreformation, vor allem des Schulwesens. 1565 gründete Bischof Stanislaus Hosius im leerstehenden Franziskanerkloster ein Jesuitenkolleg. Den Jesuiten wurde 1567 ein Priesterseminar und 1578 ein vom Papst gestiftetes Missionsseminar für Priester, die in den nordischen Ländern missionieren sollten, errichtet. Diese Ausbildungsstätten prägten die Entwicklung der Buchdruckerei und des Buchhandels. 1583 übereignete Bischof Martin Kromer die Beginenhäuser den Katharinerinnen, der ersten Nonnenkongregation in Ermland.

(4) Für die bischöfliche Residenz wurde in der ab 1279 erbauten Stadt ein Platz innerhalb der Mauer, im Osten der Stadt gegenüber der Pfarrkirche vorgesehen. Die seit 1282 belegte Burg bestand aus einem zweigeschossigen Haupthaus, dessen Erbauung sich bis in das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts hinzog. 1345 wird eine Aula erwähnt. Im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts wurden weitere Gebäude für die Hofökonomie errichtet. Der Burgbereich war zum Norden und zum Westen, also zur Stadt, hin von einer Wehrmauer umgeben. Im westlichen Teil befand sich ein Tor mit Turm, das den Zugang zur Stadt darstellte, der Hauptzugang zur Burg befand sich jedoch in der Südseite. In den Jahren 1343–1442 wurde die Pfarrkirche St. Katharinen zu einem dreischiffigen Bau mit einem um 1426 ausgeführten massiven Turm von 60 m Höhe umgebaut. Zeugnis des gegenreformatorischen Wirkens ist das päpstliche Priesterseminar, das in einem 1486 erwähnten, 1692/1695 im Barockstil umgebauten Steinhaus untergebracht wurde.

Die älteste bildliche Quelle ist ein Stadtplan aus dem Jahre 1635, der vom B.er Amtsschreiber Paul Sterzel und dem Kupferstecher Konrad Götke angefertigt wurde.

(5, 6) In den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts geriet die Stadtgemeinde zum ersten Mal in den Konflikt mit dem Bischof, als sich die Bürger der Gründung eines Franziskanerklosters auf einem städtischen Grundstück widersetzten. Mit der Festigung der landesherrschaftlichen Strukturen versuchten die Bischöfe ihre Befugnisse gegenüber der Altstadt zu erweitern. 1345 wurden die neugewählten Ratsherren verpflichtet, einen Treu- und Gehorsamseid auf den Bischof zu leisten. Nach Schiedssprüchen der Jahre 1376 und 1380 waren die Ratsherren verpflichtet, den bfl.en Vogt über die Sitzungen des Blutgerichts zu benachrichtigen. 1394 kam es zu einer schweren Auseinandersetzung wegen des bischöflichen Plans, Alt- und Neustadt zu vereinigen, Bischof Heinrich Sorbom wurde aus B. vertrieben. Der Streit wurde durch die Vermittlung des Hochmeisters 1396 verglichen. Die Altstadt B. gehörte zur Gruppe der sogenannten »preußischen Großstädte«, die das Recht hatten, ihre Ratsgesandten auf die Tagfahrten mit dem Hochmeister zu entsenden. Die Gründung des Preußischen Bundes durch die Stände 1440 führte in B. zu einem Konflikt mit dem Landesherrn. Die B.er Bürger warfen dem Bischof eine Verletzung der Stadtprivilegien vor. 1454 stürmten sie die Burg und zerstörten die zwischen der bfl.en Burg und der Altstadt nach dem Aufstand 1394 errichtete Mauer. 1526 erließ eine Kommission des polnischen Kg.s nach der Niederschlagung der lutherischen Bewegung in B. eine neue Verordnung (Statuta Sigismundi), die neben dem Verbot des Luthertums die bürgerliche Selbstverwaltung einschränkte: das religiöse Leben in der Stadt war der bfl.en Kontrolle unterworfen, die Ratswahl unterlag dem Aufsichts- und Genehmigungsrecht, die Halsgerichtsbarkeit stand dem Bischof zu. Als Vertreter des Bf.s agierte in der Folge ein auf der Burg residierender Bggf.

(7) Die unveröffentlichten Quellen werden aufbewahrt in: Archiwum Diecezji Warmińskiej in Olsztyn [Archiv der Diözese Ermland in Allenstein].

Codex Dipolmaticus Warmiensis oder Regesten und Urkunden zur Geschichte Ermlands, Bde. 1–3, hg. von Carl Peter Woelky und Johann Martin Saage, Mainz-Leipzig 1860–1874; Bd. 4, hg. von Viktor Rörich, Franz Liedtke und Hans Schmauch, Braunsberg 1935. – Schüler des Braunsberger Gymnasiums von 1694 bis 1776 nach dem Album Scholasticum Brunsbergense, hg. von Georg Lühr, Braunsberg 1934. – Eine Steuerliste der Altstadt Braunsberg v. J. 1453, hg. von Franz Buchholz, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 25 (1935) S. 394–464. – Ein Steuerregister der Altstadt Braunsberg vom Jahre 1579, hg. von Hans Schmauch, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 25 (1935) S. 464–473.

(8)Bender, Joseph: Über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Stadt Braunsberg, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 5 (1874) S. 268–294. – Hipler, Franz: Der Artushof und die St. Georgenbrüder in Braunsberg, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 7 (1881) S. 608–625. – Röhrich, Viktor: Die Kolonisation Ermlands, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 12 (1899) S. 601–724. – Buchholz, Franz: Braunsberg im Wandel der Jahrhunderte, Braunsberg 1934. – Schmauch, Hans: Die Eigenart der ermländischen Stadtkirchen, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 27 (1942) S. 398–419. – Biskup, Marian: Rozwój przestrzenny Braniewa, in: Komunikaty Mazursko-Warmińskie 1 (1959) S. 3–18. – Poschmann, Brigitte: Bistümer und Deutscher Orden in Preußen 1243–1525. Untersuchung zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Ordenslandes, Münster 1962. – Thimm, Werner: Der Prospekt der Altstadt Braunsberg von 1635, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 40 (1980) S. 80–97. – Groth, Andrzej: Der Braunsberger Seehandel 1638–1700 im Vergleich zu den anderen Häfen des Frischen Haffs, in: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 45 (1989) S. 7–21. – Achremczyk, Stanisłach, Szorc, Alojzy: Braniewo, Olsztyn 1995. – Jarzebowski, Residenzen (2007). – Radzimiński, Andrzej: Die Kirche im Deutschordensstaat in Preussen (1243–1525), Toruń 2014 (Prussia Sacra, 4).

Roman Czaja