Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Brüel

Brüel

(1) In der Vogtei Mecklenburg gelegen, zählte das 1222 zuerst genannte B. zum Kerngebiet der Herrschaft Mecklenburg wie auch des späteren Hzm.s Mecklenburg-Schwerin.

Während des 14. Jahrhunderts lösten einander verschiedene Adelsfamilien im Besitz B.s ab, auch erwarb der Schweriner Bischof Friedrich II. den Ort pfandweise. Als derselbe 1375 verstarb, sahen die mecklenburgischen Herzöge B. für heimgefallen an und schufen Fakten, indem sie 1377/81 ihrem Kriegsunternehmer Reimar Plessen die Besetzung des Orts gestatteten, um auf diese Weise dessen ausstehende Kriegskosten zu begleichen. Ein auf B. lautender Lehn- oder Pfandbrief wurde ihm allerdings nicht erteilt wegen ungeklärter Ansprüche des Schweriner Domkapitels, das in dieser Angelegenheit noch einige Jahre vergeblich prozessierte. Aus der anfänglichen Besetzung B.s zum Zweck der Abfindung von Ansprüchen erwuchs eine 230jährige Herrschaft der Plessen. Bis 1611 verblieb B. im Besitz dieses Adelsgeschlechts. In den 140 Jahren danach wechselten die Besitzer wiederum häufig. Schließlich kauften die Herzöge von Mecklenburg-Schwerin den Ort im Jahr 1753 an.

(2) B. vollzog eine langsame Entwicklung vom Dorf zur Stadt. Die Siedlung wurde Mitte des 14. Jahrhunderts als Dorf eingestuft. 1370 war von einem Städtchen die Rede, das im Schutz der Burg entstanden war. Bei der Erhebung zur Stadt um 1370 erhielt B. vom mecklenburgischen Herzog das Parchimer Stadtrecht, doch kam dieses während der langen Herrschaft der Plessen kaum zur Anwendung. Im 16. Jahrhundert übten die Plessen die alleinige Jurisdiktion über die Stadt aus. Obgleich Bürgermeister und Ratsleute vom Stadtherrn bestimmt wurden und nur über geringe Kompetenzen verfügten, störten sich die Plessen an kommunaler Selbstverwaltung. Ende des 16. Jahrhunderts ließen sie den Stadtrat systematisch eingehen, indem sie verstorbene Ratsmitglieder nicht ersetzten. Auf hzl.en Befehl erfolgte 1603 eine Wiedererrichtung des Rats. Ende des 18. Jahrhunderts bestand die Stadt aus 130 Häusern mit ca. 1000 Einwohnern.

(3) Die frühgotische Stadtkirche entstammt dem 13. Jahrhundert Daselbst richteten die Herzöge von Mecklenburg-Stargard im Jahr 1398 Seelenmessen für sich ein. Die meisten Stiftungen in der Kirche entfallen aber in die lange Herrschaft der Familie Plessen. Kaum hatte Reimar Plessen B. erlangt, stiftete er 1382 eine Glocke. Eine zweite Kirchenglocke kam durch Schenkung 1588 hinzu. Darüber hinaus stiftete Heinrich Plessen im Jahr 1502 vier Vikarien zur Abhaltung regelmäßiger Seelenmessen und ließ sich außerdem im Kircheninneren zusammen mit seiner Frau lebensgroß abbilden. Wie andernorts in Mecklenburg erreichte B. die lutherische Reformation in den 1530er Jahren. Seit dem Sternberger Landtag 1549 war die lutherische Konfession allein im Land zugelassen. Im 17. Jahrhundert stifteten die neuen Stadtherren aus der Familie Warnstädt der Kirche eine Kanzel und richteten dort auch ihr Erbbegräbnis ein.

(4) Mitten durch B. hindurch fließt der Mühlbach. Er trennte den Ort in zwei rechtlich selbständige Hälften. Nördlich befand sich der alte Dorfkern, der zur Stadt erhoben war. In seinem Zentrum steht die Kirche. Der Marktplatz zieht sich an der Hauptstraße entlang. Ebendort stand auch das alte Rathaus, ein gewöhnliches Haus, das im 19. Jahrhundert nach einem Brand durch einen Neubau ersetzt wurde. Umschlossen wurde dieser nördliche Siedlungsteil von einer dürftig ausgebauten Befestigung, die aus einem Bretterzaun, davorliegendem Wall und Graben sowie je einem Tor an den beiden Stadtzugängen bestand. Wirtschaftlich bzw. gewerblich war dieser Siedlungsteil weitgehend von der Landwirtschaft geprägt.

Südlich des Mühlbachs lag die Burgsiedlung. Die kleine Hauptburg, der sogenannte Schlossberg, gewährte lediglich einem runden Bergfried Platz. Von seiner Existenz zeugten im 19. Jahrhundert noch dessen Feldstein- und Ziegelfundamente, die als Baumaterial zu weiten Teilen abgebrochen wurden. Das Vorburggelände befand sich auf einer neben der Hauptburg liegenden Anhöhe, die ebenfalls mit Wällen und Gräben umgeben war. Hier standen einst die Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Burg. Von der spätmittelalterlichen Bebauung waren im 19. Jahrhundert lediglich ein paar Keller erhalten, die vom neuen Schulgebäude überbaut wurden. Aus den überlieferten Baulichkeiten lassen sich daher kaum Rückschlüsse auf die Größe der einstigen Hofhaltung ziehen. Gleichwohl dürfte der wirtschaftliche Effekt der Hofhaltung auf die Stadtentwicklung nicht zu hoch zu veranschlagen sein, da sich die Stadtherren mittels ihres Bauhofs weitgehend selbst versorgten. Im Osten der Burg erstreckte sich eine als Kietz bezeichnete Handwerkersiedlung, die unbefestigt war und rechtlich nicht der Stadt, sondern der Burg zugehörte.

(5) Handelsstraßen verliefen an die Küste nach Wismar und nach Rostock, sie begünstigten die wirtschaftliche Entwicklung B.s. B. verfügte über eine größere Stadtflur, in die sich achtzig Bürger teilten. Sie allein galten in B. als ratsfähig, was den Charakter einer landwirtschaftlichen Stadt verfestigte. Mit ihnen vermochten die wenigen Händler und Handwerker nicht zu konkurrieren.

Große Teile der B.er Feldmark befanden sich allerdings im Eigentum des Stadtherrn, dessen größte Einnahmequelle gleichfalls Landwirtschaft war. Im Allgemeinen wurden adlige Güter kostengünstig mit dienstpflichtigen Bauern bewirtschaftet, städtische Landbesitzer unterlagen einer Dienstpflicht für den Herrn gewöhnlich nicht. Im Fall B.s hatten jedoch die Plessen den Ackerbürgern die Nutzung einer Feldmark gestattet, um im Gegenzug dafür Hand- und Spanndienste zu erlangen. Als im Zuge der Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts die Hofdienste allgemein ausgeweitet wurden, traten zwischen den Plessen und ihren Landwirtschaft treibenden Bürgern erhebliche Konflikte auf, die bis hinauf zum Reichskammergericht ausgetragen wurden. In der Tendenz neigten die Plessen dazu, die B.er Bürger wie gewöhnliche Bauern zu behandeln und von ihnen sogar den Untertaneneid zu fordern. In einem Vergleich des Jahres 1578 einigten sich beide Seiten zwar auf zwei Tage Hofdienst pro Woche durch jeden Bürger, doch schwelte der Konflikt weiter und eskalierte im 17. Jahrhundert, als bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen dem Gutsbesitzer Warnstädt und den Bürgern, bei denen einige Tote zu beklagen waren, wiederum die Justiz beschäftigten. Endgültig beigelegt wurde dieser Streit erst im 18. Jahrhundert, nachdem die mecklenburgischen Herzöge B. angekauft hatten und die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse neu ordneten.

(6) Von der Stadterhebung wohl um 1370 bis zum Ankauf B.s durch die mecklenburgischen Herzöge in der Mitte des 18. Jahrhunderts bestand knapp vier Jahrhunderte lang eine adlige Herrschaft in B. 230 Jahre davon entfielen auf die Familie Plessen.

Da die adlige Hofhaltung weitgehend vom Bauhof mit Lebensmitteln versorgt wurde, profitierte die Stadt weniger vom Konsum der Burgbewohner, sondern vielmehr vom militärischen Schutz, den die Burg gewährte, zumal, da die Stadt nur äußerst schwach befestigt war. Kennzeichen B.s als Residenzstadt war, dass das Patronat über die Stadtkirche sich in Händen der Stadtherrschaft befand. Außerdem unterstand die Stadt der Rechtsprechung durch den Stadtherrn, dem auch große Teile der Feldmark gehörten. Die übermächtige Stellung der Plessen drückte sich in der Tendenz aus, den städtischen Rat abschaffen und die eigentlich allein ratsfähigen Landwirtschaftsbürger wie hörige Bauern behandeln zu wollen. Dieses Konfliktpotential wurde erst mit Ankauf des Guts durch die mecklenburgischen Herzöge beseitigt. Eine Verflechtung von Stadtgesellschaft und Adelshof ist nicht erforscht, auch wenig wahrscheinlich, Städter dürften allenfalls für niedrige Dienste in Anspruch genommen worden sein. Waren und Dienstleistungen des gehobenen höfischen Bedarfs wurden wohl nicht aus B. selbst bezogen, sondern mussten eingeführt werden.

(7) Im Mecklenburgischen Urkundenbuch (1863–1977) sind die Schriftquellen des 13. und 14. Jahrhunderts abgedruckt. Die urkundliche Überlieferung des 15. Jahrhunderts ist weitgehend in der im Schweriner Landeshauptarchiv befindlichen Regestenkartei mecklenburgischer Urkunden erfasst. Zur frühen Neuzeit sind aus dem Landeshauptarchiv Schwerin insbesondere die Lehnakten von B. sowie der Bestand Städtewesen zu Rate zu ziehen. Hingegen ist das Hausarchiv der B.er Plessen vermutlich bereits während des Dreißigjährigen Krieges vernichtet worden. Eine schriftliche Überlieferung der Stadt ist zum fraglichen Zeitraum ebenso wenig vorhanden. Dieselbe fiel in den Jahren 1485 und 1866 zwei Bränden zum Opfer.

(8)Lisch, Friedrich: Der Schloßberg bei Brüel, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 7 (1842) S. 57 f. – Lisch, Friedrich: Ueber das Siegel, die Gründung und das Stadtrecht der Stadt Brüel, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 21 (1856) S. 64–70. – Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler, Bd. 3 (1899) S. 386–395. – Lemke, Otto: Geschichte der Stadt Brüel mit der Geschichte der Brüeler Schützenzunft und den Flurnamen, Brüel 1927. – Hoffmann, Karl: Die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis zum 14. Jahrhundert auf siedlungsgeschichtlicher Grundlage, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 94 (1930) S. 1–200, hier: S. 89–91. – Ruchhöft, Fred: Die Plessen zu Brüel, in: Maueranker und Stier (2015) S. 270–275. – Pietsch, Tobias: Der Konkurs der Plessen zu Brüel, in: Maueranker und Stier (2015) S. 337–340.

Tobias Pietsch