Es gab und gibt auch eine andere Versuchung, das frühgriechische Epos und seine Wörter in eine Vor-Zeit zu versetzen, der das LfgrE nicht erlegen ist: Seit den Untersuchungen von Milman Parry spätestens war deutlich, dass das uns vorliegende frühgriechische Epos auf einer langen Tradition mündlicher Dichtung fußt und vieles im Epos, insbesondere die Darstellung typischer Szenen und die Verwendung ständiger Epitheta nur mit dem Rekurs auf diese Tradition erklärt werden kann. Aber schon der alltägliche lexikalische Zwang (und die konservative Resistenz der deutschen Altphilologie gegen diese Theorie) führte dazu, dass ein nahe liegender Fehler vermieden wurde, nämlich das Unterlassen semantischer Untersuchungen und Unterscheidungen zugunsten einer Überbewertung einer eindimensionalen Oral-Poetry-Theorie, wonach sich die Wörter mehr oder weniger bedeutungslos aus metrischen Gründen in den Satz drängen. Stattdessen beharrt das LfgrE auf dem Primat der Bedeutung.

Das wird in letzter Zeit auch in Rezensionen anerkannt und gewürdigt,22 und hat dazu geführt, dass das LfgrE zur Hauptreferenz für den groß angelegten Basler Kommentar zur Ilias wurde.

 

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22    z. B Edzard Visser im Gnomon 74 (2002), 97–101; vgl. auch Johannes Haubold in einer Rezension des Basler Ilias – Kommentars in B.M.C.R. 2001.09.01