Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Jülich

Jülich

(1)J. wurde um Christi Geburt als Etappenort an der römischen Heerstraße Köln-Boulogne-sur-Mer gegründet. Die Straße kreuzte hier den Fluss Rur (niederländisch Roer). Der Flussübergang bildete für Jahrhunderte einen geostrategisch wichtigen Punkt zwischen Rhein und Maas. Von Beginn an hatte die Siedlung zentralörtliche Funktion in der Jülicher Börde.

J. bildete den Ausgangspunkt für die Entwicklung der gleichnamigen Grafschaft Die seit dem 10. Jahrhundert nachweisbaren (Gau-)Gf.en hatten als Vögte der Erzbischöfe von Köln hier ihren Sitz. Die Grafschaft entwickelte sich jedoch von J. ruraufwärts in die Eifel hinein, sodass der Ort als Quartier der J.er Grafen zunehmend zugunsten anderer Residenzen wie Nideggen, Kaster und Hambach an Bedeutung verlor; sicherlich auch eine Folge des Umstands, dass J. wiederholt im 13. Jahrhundert von Truppen des Ebf.s von Köln teilweise zerstört worden war. Um 1234 hatten sich unter Wilhelm IV. die J.er Grafen von Köln emanzipiert und den Ort eigenmächtig zur Stadt erhoben. Erst nach 1288 (Schlacht von Worringen) konnten sich die Grafen gegen die Erzbischöfe als Stadtherren durchsetzen. In der Folgezeit gelang der kontinuierliche Aufstieg bis zur Erhebung in den Hzg.sstand unter Markgraf Wilhelm V. (als Herzog I.) im Jahr 1356. Wenngleich J. zu dieser Zeit mangels entsprechender Infrastruktur kein bevorzugter Aufenthaltsort der Grafen bzw. Herzöge war, übernahm die Stadt doch zentrale Funktionen für das Territorium. So befand sich hier das Haupt- und Kriminalgericht für das Herzogtum J. (erstmals 1320 belegt). Zudem war die Stadt Sitz eines Kellners, der das Amt J. verwaltete, und eines Zöllners, der den Brückenzoll am Rurübergang erhob, wobei letzterer der Stadt zur Unterhaltung der Brücke zu Gute kam. Ende des 15. Jahrhunderts stiftete Herzog Wilhelm IV. von J.-Berg seine vor den Toren der Stadt gelegene Hofstatt Vogelsang dem Kartäuserorden zur Gründung eines Klosters. Nach einem verheerenden Stadtbrand 1547 ließ Herzog Wilhelm V. von J.-Kleve-Berg die Stadt zu einer idealen Festungs- und Residenzstadt ausbauen. Für zwei Generationen wurde die Stadt eines der sogenannten gewöhnlichen Hoflager der Herzöge von J.-Kleve-Berg. Mit dem Aussterben des Hzg.shauses 1609 und der Übernahme der Landesherrschaft durch die Herzöge von Pfalz-Neuburg 1614 wurde die Zitadelle mit dem Schloss nicht mehr als Residenz genutzt.

(2)Die Siedlung der römischen Kaiserzeit wurde um 300 n. Chr. durch ein Kastell befestigt. Dieses Kastell bildete den Nukleus der weiteren Stadtentwicklung. In merowingischer Zeit schenkte der König das Kastell den Bf.en von Köln. Deren Vögte nutzten das Kastell als ihren Sitz, während sich die Siedlung, vermutlich mit Palisaden gesichert, nördlich anschloss. Nachdem die Stadtrechtserhebung Ende des 13. Jahrhunderts anerkannt war, entstand im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts eine Stadtbefestigung mit drei Stadttoren, die das Areal des Kastells und der vorgelagerten Siedlung umschloss. 1473 wurde die Stadt durch einen Brand schwer geschädigt. In der Folge beförderte der Herzog den Wiederaufbau durch die Einräumung einer Wein- und Bierakzise. Marktrechte hatte die Stadt schon längere Zeit vorher erhalten. Eine städtische Selbstverwaltung mit Bürgermeister und einem siebenköpfigen Rat ist erstmals 1358 greifbar, wobei sich später eine enge personelle Verflechtung mit den Richtern und Schöffen des Haupt- und Kriminalgerichts feststellen lässt. Die Einwohnerzahl wird in dieser Zeit auf unter 1200 geschätzt. 1538 beschloss der J.er Landtag vor dem Hintergrund des drohenden Konflikts um die Erbfolge im Herzogtum Geldern den Ausbau J.s zum Hauptwaffenplatz des Hzm.s, in dem Brief und Siegel des Territoriums aufbewahrt werden sollten. Der Ausbau, der 1543 mit der Niederlage der J.er im Geldrischen Krieg endete, konzentrierte sich auf die Sicherung der Stadttore mit Vorbefestigungen. Eine völlig neue Ausrichtung erfuhr der Stadtausbau nach dem Brand von 1547. Nun ließ Herzog Wilhelm V. nach Plänen des italienischen Architekten Alessandro Pasqualini ein neues Straßenraster entwerfen, das auf einen fünfeckigen Befestigungswall mit vier Bastionen Bezug nahm. Die fünfte Ecke wurde von einer vierbastionären Zitadelle besetzt, in deren Zentrum ein neues hzl.es Schloss errichtet wurde. Die großmaßstäblichen Bauaktivitäten belebten einerseits die städtische Wirtschaft, belasteten aber auch die Einwohnerschaft, die beim Wiederaufbau ihrer Stadt auf die hzl.en Wünsche Rücksicht nehmen musste. Immer wieder kam es zu Konflikten zwischen Bürgern, Rat und hzl.er Verwaltung. Seit den 1550er Jahren nutzte der Herzog regelmäßig das Schloss zum Aufenthalt. Dieser war jedoch immer nur von kurzer Dauer, da der Hof innerhalb des Territorienverbundes J.-Kleve-Berg die Hoflager beständig wechselte. Zudem schränkte die allgemein unsichere Situation nach Ausbruch des Spanisch-Niederländischen Krieges in den 1560er Jahren die Nutzungsmöglichkeiten des J.er Schlosses ein. Der fehlende dauerhafte Residenzcharakter ist auch daran ablesbar, dass nur ein J.er Niederadelsgeschlecht, die von Reuschenberg, in der Stadt einen Adelshof errichteten. Der Steuerliste von 1575 können detaillierte Angaben zur Bevölkerungsstruktur entnommen werden. Im Zusammenspiel mit den erhaltenen Kellnerei- und Stadtrechnungen der zweiten Hälfte des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts wird deutlich, dass zu dieser Zeit rund Zweidrittel der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebten.

(3)Die Hauptkirche der Stadt war die Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt, die vermutlich schon in karolingischer Zeit bestanden hat und anfänglich wohl über ein Martinspatrozinium verfügte. Der in Teilen erhaltene Westturm mit Turmhalle im Erdgeschoss und achteckiger Martinskapelle im Obergeschoss lässt sich in die Mitte des 12. Jahrhunderts datieren. 1569 wurde die Kirche Sitz des Stiftskollegiums Unserer Lieben Frau, das der Herzog von Nideggen in seine neue Residenz verlegen ließ. Dafür wurde die südlich der Kirche gelegene Straße zur Stiftsimmunität erklärt. Das Marienstift war im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts in Stommeln im Umfeld der dort als heiligmäßig verehrten Christina von Stommeln (1242-1312) gegründet worden. Stift und Gebeine waren in den 1330er Jahren von Graf Wilhelm V. (I.) nach Nideggen transloziert worden. 1592 wurden auch die Gebeine Christinas nach J. überführt. Die Stiftsherren übernahmen den Unterricht in dem 1572 gegründeten Gymnasium - auch das ein Anzeichen für die Aufwertung der Stadt im Hinblick auf die Neuanlage und -nutzung als Residenz in der Mitte des 16. Jh.s.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts ließen sich mehrere Ordensgemeinschaften in der Stadt nieder: Kapuziner (1622), Jesuiten (1642), Selpulchrinerinnen (1644) und schließlich Elisabethinnen (1678). Dies beförderten die Landesherren als Teil gegenreformatorischer Maßnahmen, die dabei zwischen 1622 und 1660 von der spanischen Besatzung J.s unterstützt wurden.

(4)Das Residenzschloss in der Zitadelle war deutlich vom Stadtraum weggerückt, ja diesem geradezu enthoben. Der Stadtgrundriss selbst mit seinem zentralen Marktplatz und den vier auf ihn zulaufenden Straßen war Ausdruck der Prägung durch die fortifikatorische Nutzung. Eine vom Herzog erlassene Bauordnung sorgte für ein einheitliches Stadtbild mit traufenständiger Blockrandbebauung. Repräsentative Gebäude entstanden beispielsweise mit dem Hof des hzl.en Amtsträgers Peter Römer vor allem um den Markt herum. Der Rathausbau an der Westseite des Marktes nach Plänen des hzl.en Baumeisters Maximilian Pasqualini kam auf Druck des Hzg.s zu Stande, wobei die Stadt die Reste des hochmittelalterlichen Saalbaus der J.er Grafen für den Bau nutzte.

(5)Die Nutzung und Bewirtschaftung der hzl.en Ländereien um J. herum bildeten für den Hof eine wichtige Einnahmequelle. Bedeutsam war auch das umfangreiche Waldgebiet zwischen J. und Köln, der Hambacher Forst, das den Hzg.en als bevorzugter Jagdgrund diente. Wirtschaftlich orientierte sich die Stadt und die Region einerseits nach Köln, das auch für die Herzöge einen wichtigen Aufenthaltsort bildete, und andererseits in die Niederlande.

J. nahm als älteste Stadt im Territorium den Vorsitz in der Städtebank auf den Landtagen ein und hatte als Sitz des Haupt- und Kriminalgerichts des Hzm.s eine zentrale Funktion für das gesamte Territorium inne.

(6)Die Stadt J. übernahm innerhalb der Grafschaft bzw. des Hzm.s J. wichtige Funktionen, bildete aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur für kurze Zeit eine als Residenz genutzte Infrastruktur aus. Wirtschaftlichen Nutzen hatte die Stadt deshalb nur wenig von der Anwesenheit des Hofes. Der Bau von Schloss und Festung sorgte immerhin dafür, dass es einen großen Bedarf an Handwerkern gab. Dadurch profitierte J. von einer Lohnentwicklung, die die zeitweilig hohe Inflationsrate im ausgehenden 16. Jahrhundert nahezu ausglich. Mit dem Aussterben des j.-klevischen Hzg.shauses 1609 wurde aus der Residenz- die Festungsstadt J.

(7)Im Stadtarchiv Jülich setzt die schriftliche Überlieferung mit den Stadtrechnungen ab 1546/1547 ein, die mit kleineren Lücken bis 1798 erhalten sind. Die Quellen zur Landesherrschaft, vor allem die Kellnereirechnungen des Amtes Jülich, liegen im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, in Duisburg. Zahlreiche historische bildliche Darstellungen der Festungsstadt Jülich sind europaweit in Archiven, Museen und Sammlungen verstreut.

Lau, Friedrich: Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Jülichsche Städte II: Jülich, Bonn 1932. - Neumann, Hartwig: Stadt und Festung Jülich auf bildlichen Darstellungen, Bonn 1992.

(8)Bers, Günter: Jülich. Geschichte einer rheinischen Stadt, Jülich 1989. - Dinstühler, Horst: Wein und Brot, Armut und Not. Wirtschaftskräfte und soziales Netz in der kleinen Stadt. Jülich im Spiegel vornehmlich kommunaler Haushaltsrechnungen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, Jülich 2001. - Das ›italienische‹ Jülich. Grundzüge im Konzept Alessandro Pasqualinis für die Stadtanlage, die Zitadelle und das Residenzschloss, hg. von Conrad Doose, Jürgen Eberhardt und Hajo Lauenstein, Jülich 2009. - Büren, Guido von: Rangbewusstsein und Repräsentation am Hof Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg, in: Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit, hg. von Dems., Ralf-Peter Fuchs und Georg Mölich, Bielefeld 2018, S. 307-369. - Hommel, Wolfgang, Büren, Guido von: Jülich. Geschichte der Festungs- und Forschungsstadt, Jülich 2020.

Guido von Büren