Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Dillenburg

Dillenburg

(1) An dem Fluss Dill zwischen Westerwald und Rothaargebirge gelegen, wird der Ort D. (mhd. Dillenberg) 1254 erstmals urkundlich erwähnt. Zur Sicherung des Gebietes errichteten die Grafen von Nassau vor Mitte des 13. Jahrhunderts hier auf dem Rücken des heutigen Schlossberges die namensgebende Burg. Im Gegensatz zu Siegen war D. kein Lehns-, sondern Eigengut, was dieser Befestigung einen höheren besitzrechtlichen Wert verlieh. Kämpfe mit lokalen Adelsfamilien führten um 1325 zur Zerstörung der ersten Burganlage samt umliegender Siedlung durch die Herren von Dernbach. Der Wiederaufbau begann unter Heinrich I. von Nassau-Siegen (†1343). Unter seinen Nachfolgern wurde der Bergrücken systematisch zur Schlossanlage ausgebaut, wobei insbesondere unter Johann V. (†1516) zwischen 1468 und 1486 beträchtliche Erweiterungsarbeiten in Form des Zeughauses wie des Marstalls ausgeführt wurden. Im Siebenjährigen Krieg wurde das Schloss 1760 fast vollkommen zerstört und die Befestigungsanlagen 1768 geschleift.

Durch Wilhelms I. von Nassau-Oranien Beteiligung am Aufstand der niederländischen protestantischen Stände ab 1572 kam es zur Verlegung des politischen Schwerpunkts und damit verbunden der Residenz in die Niederlande (zunächst nach Delft), was durch die Übernahme der ständischen Statthalterschaft 1581 noch verstärkt wurde. In der Folge hielten die Häupter des Hauses Oranien-Nassau sich in den Niederlanden auf, in D. verblieben verschiedene Regierungsbehörden, so dass nach 1790 die »Dicasteria« oder Kanzlei, die hohe Landesregierung, die Justizkanzlei sowie die Berg- und Hüttenkommission hier ihren Sitz hatten. Für Letztgenannte wurde 1764 ein Neubau im Schlossgarten errichtet. Ab 1742 diente das Schloss als Verwaltungssitz der nassau-oranischen Regierung für die vier Fsm.er D., Siegen, Diez und Hadamar. Eine letzte Würdigung seitens der Herrscherfamilie erfuhr D. 1789 durch den Besuch des Erbprinzen Wilhelm Friedrich (†1843). Endgültig verlor D. seine Residenzfunktion mit dem Abtreten der deutschen Besitzungen durch die Oranier an ihre walramischen Verwandten im Jahre 1815.

(2) Die spätere Siedlung dürfte ihren Ursprung in einer Schutzburg in der Gemarkung des benachbarten, etwa zwei Kilometer südlich D.s gelegenen Dorfs »Veltbach« (heute Feldbach, das Dorf selbst wüst) haben. Weitere Hinweise auf eine erste Besiedlung finden sich um 1200 ca. ein Kilometer südöstlich des Heunstein. Ein weiterer Ausbau der bewohnten Flächen entlang der Kirchbergterrassen ist eng verknüpft mit dem Burgenbau. Einen weiteren Aufschwung erfuhr die Ansiedlung durch den steten Zuzug nassauischer Burgmannen. Der Erwerb des Stadtrechts von Kaiser Ludwig IV. »dem Bayern« 1344 löste nur eine geringe Bevölkerungszunahme aus. Die zweite und entscheidende Siedlungsphase setzte mit der Anlage der Neustadt im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts ein. Im Zuge dessen regulierte man den Lauf des Mühlbaches, welcher nun parallel zur Hauptstraße vom Ober- bis zum Untertor durch die Stadt floss. Zusammen mit der ebenfalls regulierten Dill entstand ein im Halbkreis um die Stadt verlaufender Wassergraben. Zur besseren Verbindung der einzelnen Viertel wurde bis 1479 eine zweite Hauptstraße angelegt, welche die »neue Stadt« mit dem Siedlungskern verband. Nach Ende des Siebenjährigen Krieges wurden verschiedene Erweiterungen im Barockstil vorgenommen, wie die auf ehemaligen Sumpfgebiet angelegte Marktstraße. Rückschläge stellten die Brände 1524, 1723 und 1736 dar. Mehrere Pestepidemien von 1575 bis 1636 belasteten nachhaltig das Bevölkerungswachstum.

Für die Stadtverteidigung verließ man sich für lange Zeit auf die naturräumlichen Begebenheiten. So erwiesen sich die Stützmauern des Kirchberges im Verbund mit der davor laufenden Dill als ausreichende Befestigungsanlagen. Das übrige Stadtgebiet sicherte ein System von Schlägen und Hecken. In seinem 1559 verfassten Gedicht verweist der D.er Rat Gottfried von Hatzfeld auf die Errichtung erster Wehrtürme und Mauern. Unter Wilhelm dem Reichen (†1559) wurde D. zur modernen Festungsanlage ausgebaut.

Die städtischen Institutionen bildeten sich relativ spät aus. So lassen sich erst seit 1457 ein Bürgermeister und etwa im gleichen Zeitraum ein Stadtsiegel nachweisen. Bis 1807 bestand der Rat aus einem Schultheiß, später Oberschultheiß oder Amtmann genannt, sowie Schöffen bzw. Ratsherren, dem Stadt- und Gerichtsschreiber sowie aus dem älteren wie jüngeren Bürgermeister. Ersterem oblag die Aufsicht über die Finanzen, wobei er von Letzterem unterstützt wurde. Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts bestimmte die Bürgerschaft aus den Reihen der auf Lebenszeit ernannten Ratsherren zwei Kandidaten für die Wahl des älteren Bürgermeisters. Im Gegenzug wählte der Rat zwei Kandidaten der Bürgerschaft für das Amt des jüngeren Bürgermeisters. Aus diesen vier wählte die Landesherrschaft die beiden Mandatsträger aus. Das Gericht setzte sich aus einem Schultheißen, mehreren Stadt- und Gerichtsschreibern sowie zwölf Schöffen, Gerichtsknechten und zwei Strafverteidigern zusammen. Ein erster Hinrichtungsplatz wurde 1344 eingerichtet und 1559 auf den nahen Galgenberg verlegt.

D.s Wirtschaft wurde von der Landwirtschaft dominiert. Bis zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges bildete sich durch Viehzucht, insbesondere von Pferden ein gewisser Wohlstand. Der Hof der Nassauer Grafen war zunächst wichtigster Abnehmer, über die Handelswege konnten weitere Märkte erreicht werden. In dieser Tradition erfolgte die Einrichtung des D.er Gestüts. Unter den zahlreichen Eichenbäumen gedieh der sog. »D.er Trüffel«, welcher vornehmlich an die oranische Residenz Den Haag exportiert wurde. Zur Verbesserung der Landwirtschaft errichtete man 1779 einen Versuchs- und Musterbetrieb auf dem landesherrlichen Hof Feldbach. Daneben entwickelte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts das Hüttenwesen mit der ersten Kupferhütte am Nanzenbach zu einem wichtigen Gewerbezweig, der mit der nach Isabelle Charlotte von Nassau-Diez (†1757), der Ehefrau Christians von Nassau-D. (†1739) benannten Isabellenhütte am Beginn des 18. Jahrhunderts seine Blütezeit erfuhr. Die Einbindung in mehrere überörtlich bedeutsame Handelswege führte zur Entstehung zahlreicher Gasthäuser ab Mitte des 15. Jahrhunderts Ansonsten blieb das wirtschaftliche Leben stark von der Nachfrage des bis 1572 anwesenden Hofs abhängig.

(3) Mit dem nach 1255 begonnenen Ausbau zur Residenz bemühten sich die Nassauer Grafen um eine eigene Hofkapelle. In diesem Zusammenhang dürfte, ähnlich wie für Hadamar, zunächst die Erlaubnis zur Abhaltung der Messe 1277 sowie die Bestellung eines Plebans zehn Jahre später zu sehen sein. Graf Johann V. förderte zwischen 1475 und 1516 den Bau der Pfarrkirche St. Sebastian. Das Gotteshaus diente in der Folge nicht nur ihm, sondern u.a. auch Wilhelm dem Reichen (†1559), seiner Ehefrau Juliane von Stolberg (†1580) und Johann VI. (†1606) als Begräbnisstätte, die nach 1559 Siegen - wie das Stift Keppel - als bevorzugte Grablege ablöste. Im Gegensatz zu Siegen förderte Johann V. in D. aber nicht die Ansiedlung eines Franziskanerkonvents. Nach 1490, zunächst mit der Marienkapelle als Hauptkirche zur eigenständigen Pfarrei erhoben, nahm nach 1501 auf deren Fundamenten die Johanniskirche die Position der Pfarrkirche ein, hier bestanden sieben Altäre, von denen einer St. Sebastian geweiht war. Etwa im gleichen Zeitraum etablierte sich die Stadt als Zentralort des Kirchspiels, welches 1492 Nanzenbach, Niederscheld und Oberscheld sowie nach 1531 Eibach umfasste.

Mit Aufkommen der Reformation ernannten die Grafen ihren Hofkaplan Heilmann Bruchhausen gen. Crombach nach 1530 zum ersten evangelischen Pfarrer. Nach dem Übertritt zum reformierten Bekenntnis 1582 war den Lutheranern die Ausübung ihres Bekenntnisses erst wieder 1779 erlaubt.

(4) Obwohl die Bereiche des Schlosses wie der Stadt in den historischen Beschreibungen D.s immer strikt voneinander getrennt werden, prägten die Grafen von Nassau doch das Stadtbild, etwa durch die Errichtung verschiedener Wirtschaftshöfe zur Versorgung der Residenz wie 1576 dem Feldbacher Hof. Mit der Erhebung in den Fs.enstand 1652 ging ein gesteigertes Repräsentationsbedürfnis einher, was sich u.a. in der Einrichtung zweier, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts genutzten Jagdschlösser Ludwigsbronn im heutigen Stadtteil Donsbach und Charlottenbronn bei Uckersdorf äußerte. Bei ersterem richtete Graf Ludwig Heinrich (†1662) ein großes Gehege für Damwild ein. Nach Textor legten die Grafen zudem südlich des Schlosses einen weitläufigen Hofgarten an, welcher seine Besucher durch verschiedene Lusthäuser wie aus Pflanzen geformte Labyrinthe erfreuen sollte.

Zudem versuchte man, die dynastischen wie kulturellen Verbindungen zum Hause Nassau-Oranien zu dokumentieren. Ein Beispiel hierfür ist das Zeughaus, in dem die Kinnladen eines Wales, welcher 1598 im südholländischen Katwijk gestrandet war, ausgestellt wurden.

Die Stadt selbst schuf 1559 mit dem Rathaus wie mit davorstehendem Brunnen repräsentative Bauten, die aber in keiner Weise mit den landesherrlichen Bauten konkurrieren konnten.

Im Amsterdamer Rijksmuseum ist ein von Frans Hogenberg angefertigter kolorierter Kupferstich von etwa 1575 überliefert (Inv.-Nr. BIBL-325-A-7). D. erfuhr eine Darstellung in Matthäus Merians der Ältere »Topographia Hassia« von 1646, 2. Aufl. 1655.

(5) Als Amts- und Gerichtsort kam D. für sein Umland eine große administrative Bedeutung zu, wobei der Bezirk 1787 Donsbach, Eibach, Fronhausen, Nanzenbach, Niederscheld, Oberscheld, Wissenbach, Altes Haus Ludwigsbrunn, Feldbacher Hof und Neuhaus (Katharinenbrunn) umfasste. Bedeutung als Schulort erlangte D. mit Aufkommen der Reformation, stand dabei aber immer Schatten der Hohen Schule in Herborn. Mit der Annahme des lutherischen Bekenntnisses ging die Einrichtung einer Lateinschule nach 1536 einher, welche 1744 zu einem Pädagogium erweitert wurde.

Die unter Johann der Ältere erfolgreich etablierten Jahrmärkte zogen Händler aus dem näheren und weiteren Umland nach D.

(6) Bereits vor Verleihung der Stadtrechte unterschied man wie 1490 zwischen castrum D. und suo adjacente opido bzw. zwischen den Bewohnern des Schlossberges und der sich anschließenden Stadt. Beide waren auf das Engste miteinander verbunden, garantierte die Stadt doch die Versorgung des Hofes und sicherte umgekehrt der Hof der Stadtbevölkerung ein stetes Einkommen.

Der zunehmenden Institutionalisierung der Bürgerschaft traten die Landesherren nicht entgegen. Die im Laufe der Zeit vergebenen Privilegien wurden 1597 durch Graf Johann VI. der Ältere garantiert und zugleich durch weitere Begünstigungen wie die Befreiung von Hand- und Spanndiensten oder von Diensten bei der Hofjagd erweitert. Durch die Beteiligung der Bürgerschaft an den Steuer- und Zolleinnahmen für Wein und Bier lassen sich weitere Bestrebungen der Grafen um ein gutes Verhältnis zwischen Landesherrn und Einwohnern nachweisen. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts setzten hingegen immer stärkere Spannungen um die Besetzung des Bürgermeisteramtes ein. Die Bestrebungen der Landesherren zielten auf eine Verstetigung des Amtes ab, so dass die entsprechenden Amtsträger auf Lebenszeit gewählt worden wären. Hiergegen erhob sich Protest, den auch die Einrichtung eines »Sechster« genannten Wahlausschuss nicht beseitigen konnte. Für die Wahlen des Jahres 1748 verhinderten die Bürger eine dritte Amtszeit des amtierenden Bürgermeisters Meder und beriefen sich auf ihr althergebrachtes Recht, dem Landesherrn Kandidaten aus der Reihe der Ratsherren zu benennen.

Nach Verlust der Residenzfunktion 1815 behielt D. als Amts- und Gerichtsort sowie als Geburtsort Wilhelms des Schweigers für die Dynastie des Hauses Nassau besondere Bedeutung.

(7) Der weitaus größte Teil der Beilstein betreffenden Archivalien findet sich in den Beständen des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden (HHStAW), wobei auf die Bestände 170 I (Urkunden), 170 III (Korrespondenzen) und 171 (Akten Altes Dillenburger Archiv) zu verweisen ist. Unter letztgenanntem findet sich insbesondere ein Bericht über die Hofhaltung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Als weitere besondere Stücke innerhalb der Wiesbadener Bestände sind die Beschreibung des Schlosses und der Stadt durch Gottfried Hatzfeld aus dem Jahre 1559 (HHStAW 3004, A 38) sowie der Freiheitsbrief der Stadt Dillenburg (HHStAW 1001/51 Fasz. 9) zu nennen. Zugleich besteht die Möglichkeit, über Arcinsys im »Alten Dillenburger Archiv« (3036) zu recherchieren und dort eingestellte Digitalisate zu nutzen.

Siegener Urkundenbuch, Bd. 2: Die Urkunden aus dem Staatsarchiv Münster und dem Stadtarchiv Siegen von 1351 bis 1500, im Auftrag des Vereins für Urgeschichte und Alterthumskunde zu Siegen hg. von Friedrich Philippi, Siegen 1927.

(8)Arnoldi, Johannes von: Geschichte der Oranien-Nassauischen Länder und ihrer Regenten. Bd.e 1-4, Hadamar und Koblenz 1799-1816. - Theis, Friedrich: Die Wirtschaft des Dillenburger Gebietes in der nassau-oranischen Zeit, 1739-1815. Typoskript, Marburg 1966. - Hoffmann, Henning: Die Grafen von Nassau im 11.-15. Jahrhundert. Werden von Burg und Residenzschloß Dillenburg, in: Dillenburger Blätter 11, 23 (1994) S. 17-33. - Fuhrmann, Bernd: Städtewesen im Spätmittelalter: Das Beispiel der Regionen Siegen, Wittgenstein und Dillenburg, in: Nassauische Annalen 123 (2012) S. 81-97. - Becker, Hans-Joachim: Die Wälder in Nassau-Dillenburg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Heimatjahrbuch für das Land an der Dill im Lahn-Dill-Kreis 56 (2013) S. 257-258. - Becker, Hans-Joachim: Zur Grenzbildung zwischen Nassau-Dillenburg und der Landgrafschaft Hessen, in: Nassauische Annalen 129 (2018) S. 111-144.

Oliver Teufer