(1) Das 790 erstmals erwähnte D. liegt im Rheinischen Schiefergebirge an einer Stelle, an der die Lahn die kleinere Aar aufnimmt und eine Furt die Querung der Lahn ermöglichte (1360 wird eine Brücke erwähnt), ungefähr vier Kilometer südwestlich von Limburg (Lahn) und ca. 31 km östlich Koblenz. Bei D. verlässt die Lahn in der D.er Pforte das Limburger Becken und fließt in tief eingeschnittenem, gewundenem Tal dem Rhein entgegen. Über Nentershausen und Wallmerod konnte man von D. aus zur »Hohen Straße« gelangen, die Frankfurt a.M. mit Köln verband. An dieser verkehrlich günstigen Stelle errichteten die 1073 erstmals erwähnten Grafen von D. auf einem vereinzelt stehenden Felsen eine Burg, wohl spätestens in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Zu Füßen der Burg entwickelte sich eine Siedlung, die 1329 von Kaiser Ludwig »dem Bayern« Stadtrecht erhielt.
Als Burg- bzw. Residenzstadt fungierte der Ort bis 1386, als mit Tod Gerhards VII. die Grafen von D. in männlicher Linie ausstarben. Auf dem Erbweg kam die Grafschaft an seinen Schwiegersohn Graf Adolf von Nassau-Dillenburg, nach dessen erbenlosen Tod 1420 die Grafschaft als Ganerbschaft mit mehreren Gft.-sherren (Gf.en von Nassau-Dillenburg, Grafen von Katzenelnbogen, den Herren von Eppstein, Kurtrier, Ldgf.en von Hessen) geteilt wurde. Vereinzelt werden D.er Amtmänner erwähnt. Nach dem Erlöschen der Katzenelnbogener Grafen kam D. 1479 an die Ldgf.en von Hessen, die 1534 ihren Anteil an Kurtrier verkauften, der vormals Eppsteiner Anteil gelangte an die Grafen von Eppstein-Königstein, die ihn 1530 an die Grafen von Nassau-Dillenburg verkauften. 1564 erwarben diese auch den kurtrierer Anteil. Im Rahmen einer dynastischen Teilung der Grafen von Nassau-Dillenburg wurde 1608 die Nebenlinie Nassau-D. geschaffen, deren Grafen ihren politischen Mittelpunkt als ständische Statthalter in Leeuwarden in Friesland hatten. D. wurde Sitz eines Amtmanns (dessen Aktivitäten gelegentlich vom verwandten Grafen von Nassau-Hadamar kontrolliert wurden). Phasenweise fungierte D. als Witwensitz, so 1632-1642 für Sophie Hedwig von Braunschweig-Lüneburg (1592-1642, verwitwet 1632; ab 1634 auch als Regentin), und war auch als Witwensitz gedacht für Albertine Agnes von Oranien-Nassau (1634-1696, verwitwet 1664), die jedoch 1664-1679 als Regentin für ihren Sohn Heinrich Kasimir in den Niederlanden verblieb. In D. ließ sie sich das direkt nördlich der Stadt gelegene, wüst gefallene Benediktinerinnenkloster Dierstein 1676-1681 als Witwensitz umbauen zum Schloss Oranienstein, ohne es jedoch dauerhaft zu beziehen. Ab 1709 wohnte Fs.in Henriette Amalie von Anhalt-Dessau (1666-1726, verwitwet seit 1696) in Oranienstein, welches sie 1704-1709 barock umgestalten ließ und wo sie 1726 verstarb. Ihre unverheirateten, mit kleiner Apanage ausgestatteten Töchter blieben weiterhin in Oranienstein wohnen (die letzte, Marie Amalie von Nassau-D., verstarb 1771 82jährig).
In D. hatte außerdem Elisabeth Katharina Felicitas von Hessen-Rotenburg (†1739), die in erster Ehe mit Fürst Franz Alexander von Nassau-Hadamar (†1711) verheiratet war, ihren Witwensitz (mit ihrem Ehemann war die Linie Nassau-Hadamar in männlicher Linie ausgestorben). 1772-1795 hatte ferner Fs.in Hedwig Sophie von Anhalt-Bernburg-Schaumburg, die zweite Ehefrau des Fürsten Victor Amadeus Adolf von Anhalt-Schaumburg, ihren Witwensitz in D., in einem Haus in der Rosenstraße. D. diente ab 1743 als Amtssitz, bis 1784 das Schloss zum Zucht- und Arbeitshaus umgebaut wurde (als solches genutzt bis 1927). Für kurze Zeit (1801-1806) weilte mit Wilhelm V. von Nassau-Oranien wieder ein regierender Fürst in D. 1806 fiel D. an das neue Herzogtum Nassau.
(2) D. kennt keine tiefgreifende Erforschung der Stadtgeschichte, so dass sich nur bedingt Aussagen zur Verfassungsstruktur, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie zum kulturellen Leben machen lassen. Das Frankfurter Stadtrecht wurde 1329 verliehen in einer Phase (1317-1332), als Graf Gottfried von D. (reg. 1308-1348), einem ostentativen Verschwender, die Herrschaft zusammen mit Graf Emich von Nassau-Hadamar als Regenten ausübte, dem Schwiegervater von Gottfrieds Sohn Gerhard VI.; aller Wahrscheinlichkeit nach trachtete Emich danach, seinem Schwiegersohn das Erbe zu erhalten zur Absicherung seiner, Emichs, Tochter. Bereits 1324 hatte Emich für seine Orte (Bad) Ems und Hadamar von König Ludwig die Stadtrechte erworben, eventuell war er es, der die Förderung von D. betrieb. Der Ort bestand aus zwei größeren Straßen, der Pfaffenstraße mit dem Marktplatz (heute Alter Markt) und der heutigen Altstadtstraße, hinzu kamen mehrere Gassen. 1377 bestimmte Graf Gerhard VII., dass zur Verwaltung der Brückeneinnahmen eine Kommission bestehend aus einem Burgmann, einem Stiftsherrn und einem Bürger eingerichtet werden soll, um den Unterhalt der Brücke zu sichern.
Zwischen der Stadtmauer und der Guckenberg genannten Anhöhe befanden sich Gärten, bis das Gelände von Fs.in Albertine Agnes ab 1680 zur Anlage der Vorstadt freigegeben wurde. Dieser erste Versuch zur Stadterweiterung schlug fehl (wohl wegen des verheerenden Hochwassers 1682), weswegen er 1690 wiederholt wurde (heute Wilhelmstraße), mit nachhaltigem Erfolg erst 1704 in Gang gebracht (nun als Neustadt bezeichnet). Es gab fünf Tore, von denen das Mühlentor (an der Straße nach Freiendiez, benannt nach den beiden herrschaftlichen Mühlen, der Ober- und Untermühle), das Brückentor und das Haintor besonders wichtig waren, weniger das Schaumburger Tor und das Seelenhofer bzw. Silberfelder Tor.
Wirtschaftlich bestimmend war die Lage an der Lahn. Eine Mühle wird 1281 erstmals erwähnt. D. besaß seit Anfang des 14. Jahrhunderts das Stapelrecht für den Lahnverkehr. Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg sorgte ab 1594 für einen Ausbau der Lahn bis zur Mündung in den Rhein. Eine öffentliche Waage für den Kaufmannshandel wurde erst 1671 eingerichtet. Das Kloster Dierstein betrieb ebenfalls eine Mühle an der Lahn, die für einige Dörfer der direkten Umgebung Bannmühle war. Zum kontinuierlichen Betrieb der Mühle wurde die Lahn durch ein Wehr aufgestaut, weswegen die Lahn vom Rhein aus nur bis zu diesem Wehr schiffbar war. Waren, die nach Limburg gehen sollten, mussten auf den Landweg umgeladen werden. 1648 wurde eine Öffnung für kleinere Boote eingerichtet, welche 1682/85 auf Geheiß der Fs.in Albertine Agnes wieder geschlossen wurde, um einen Lachsfang zu errichten, was heftige Auseinandersetzungen mit Limburger Kaufleuten sowie mit Kurtrier, Nassau-Hadamar, Nassau-Saarbrücken, Nassau-Idstein hervorrief, die gelegentlich das Wehr im Handstreich zerstörten; politisch ließ sich die Fs.in durch ihren Schwager, den Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, absichern. Im 18. Jahrhundert flammte der Streit erneut auf. 1712 wurde überdies als landesherrlicher Betrieb an der Aar eine Ölmühle eröffnet.
Hemmend wirkten sich die zahlreichen, teils extremen Lahnhochwasser aus, die die betroffenen Einwohner immer wieder zum Neuaufbau von Grund auf zwangen, gelegentlich auch die Lahnbrücke zerstörten (so 1643, 1678, 1682, 1799). 1590 gab es ca. 48 Bürgerhaushalte, 1637 40 Bürgerhaushalte, wozu noch einige Witwenhaushalte kamen. 1710 gab es fünf Brauhäuser und 18 Bäckereien. Eine Volkszählung unter französischer Herrschaft 1797 ergab 1871 Seelen. Im Umfeld von D. wurde Weinbau betrieben. Als besonderer Wirtschaftszweig ist der Export des »D.er Wassers« zu nennen. Unter diesem Namen wurde das 1738 entdeckte heilkräftige Wasser aus der Fachinger Mineralquelle von der Landesherrschaft unter Leitung des D.er Stadt- und Landphysikus in den Handel gebracht.
Fs.in Albertine Agnes von Oranien-Nassau griff mit mehreren Polizeiordnungen in das Leben ein, stellte 1674 einen Landphysikus ein (formal als »Hofmedicus« bezeichnet) und gründete zugleich die Hofapotheke (zur Versorgung der gesamten Gft.). Fs.in Henriette Amalie ließ bereits vor ihrem Umzug nach D. 1697 ein Privileg für eine Buchhandlung ausstellen (der einzigen für die gesamte Gft.) und berief 1709 den ersten Buchhändler. Die Buchhandlung wurde 1727 um eine herrschaftliche Papiermühle und 1733 um eine Hofbuchdruckerei erweitert. Daneben setzte sie den Ausbau der Neustadt fort und warb um die Ansiedlung lutherischer Immigranten. Unter ihrer Herrschaft ließ sich ein italienischer Kaufmann in D. nieder (Andrea Brentano), der den Hof mit besonderen Lebensmitteln belieferte, die ansonsten wie andere Luxusartikel aus Frankfurt a.M., Köln oder anderen Städten am Rhein bezogen wurden.
In D. gab es mehrere Burgmannenfamilien, die aller Wahrscheinlichkeit nach der gfl.-d.ischen Ministerialität entstammten und ihre niederadlige Qualität auch nach dem Versterben der D.er Grafen wahren konnten. Dazu gehörten die Adelsfamilien D. (auch nach ihrer Hauptburg Ardeck genannt), die Specht von D., die Rödel von D. sowie die wenig fassbaren Familien vom Turm in D. und Nail in D.
(3) Ursprünglich war D. wohl zur 1217 erstmals erwähnten St. Jakobskirche in Freiendiez eingepfarrt (hingegen nicht zur 1269 erwähnten, auf der anderen Lahnseite befindliche Kirche St. Peter). Als neue Hauptkirche gründete Graf Gerhard IV. 1289 ein Kollegiatstift direkt unter der Burg am Übergang zur Stadt, das von ihm und seinen Nachfolgern reich dotiert wurde. Um das Stift bildete sich ein kleiner Immunitätsbezirk. Gegen Ende der selbständigen Grafschaft gehörten dem Stift zwölf Kanoniker an, die ihre Häuser (Kurien) an der Pfaffengasse (zum Seelenhofener Tor führend) hatten. In dessen Kirche St. Maria ließen sich mehrere Grafen von D. (hervorhebenswert das Grab Gerhards VI. [†1343]) und Nassau beisetzen, als künstlerisch hochwertig gilt das Grabmal der Fs.in Henriette Amalie von Anhalt-Dessau. Neben Geistlichen wurden wiederholt auch verdiente Amtsträger beigesetzt, so der langjährige Amtmann Dr. Martin Naurath (†1637). Aus Burgmannen, Amtsträgern und Bürgern bildete sich 1492 eine Bruderschaft an der Stiftskirche. Die Stiftssakristei fungierte als Archiv für die Landesherren der Grafschaft (belegt für das 15. Jh.). Der Dachboden der Kirche diente als Speicher. Für eine Renovierung sorgte Fs.in Albertine Agnes ab 1672. Im selben Jahr wurde St. Peter als zweite Pfarrkirche für D. zuständig. In der Burg gab es eine Kapelle mit einem dem Hl. Remigius geweihtem Altar, dessen Vikar dem Stiftsdekan gehorsam sein sollte.
Durch einen Geländeeinschnitt von der Stadt getrennt lag das 1165 erstmals genannte, erhöht gelegene Benediktinerinnenkloster Di(e)rstein. 1313 wurde mit Jutta eine Frau der Gf.enfamilie Äbtissin, ebenso wie 1545 mit Anna von Nassau. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts schloss das Kloster sich freiwillig der Reformation an, 1564 wurde es aufgehoben. In den Räumen wurde eine Schule für adlige Töchter eingerichtet, die bis Ende des 16. Jahrhunderts bestand. Nach deren Ende wurden Ländereien und Einkünfte der neugegründeten nassauischen Hochschule Herborn zugewiesen. Nach mehreren Plünderungen im Dreißigjährigen Krieg verfiel es zur Ruine, ehe es in den 1670/80er Jahren zum Schloss Oranienstein umgebaut wurde. Gegen Ende des Umbaus wurde eine Hofkapelle eingerichtet (1716 geweiht).
Erste Hinweise zur Übernahme reformatorischen Gedankenguts lassen sich 1524 finden, doch dauerte es wegen der konfessionspolitischen Zersplitterung (zuständig waren die Ldgf.en von Hessen, der Erzbischof von Trier und die Grafen von Nassau) bis zum »D.er Vertrag« 1564, der das nassauisch-kurtrierische Kondominium über die Grafschaft D. beendete, dass eindeutige konfessionelle Regelungen möglich wurden. Kurzfristig setzte sich unter Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg als Landesherrn der Protestantismus durch, bis dieser 1575 das reformierte Bekenntnis gegen nachhaltigen Widerstand der D.er Geistlichen einführte. Kirchengeschichtlich bedeutsam sind der brüderschaftliche Erbvertrag von 1607 und die Nassau-Katzenelnbogische Landesordnung von 1616, mit denen für alle nassauische Länder der Heidelberger Katechismus vorgeschrieben wurde. Zentrale Bedeutung erhielt D. als Ort des Konvents, der Versammlung der Pfarrer der Grafschaft D. und der Herrschaft Beilstein.
Fs.in Henriette Amalie warb ab 1699 zunächst erfolglos Hugenotten für den Aufbau der Vorstadt an (in der Nähe von D. war bereits das Dorf Charlottenberg als Kolonie entstanden, gestiftet von Elisabeth Charlotte, Erbgf.in von Holzappel, Ehefrau Fürst Adolfs von Nassau-Dillenburg), ab 1704 hingegen bemühte sie sich um Lutheraner, denen sie freie Religionsausübung gewährte, wofür sie ab 1706/07 die Michaeliskirche errichten ließ, 1715 folgte die lutherische Schule.
In den Stiftsstatuten von 1308 wird eine Schule erwähnt, zudem gab es das erst 1328 erwähnte Amt des Scholasters. Erstmals wird 1350 ein Schulrektor, 1377 und 1395 ein Schulhaus erwähnt, das in der Pfaffengasse lag; 1475 erscheint ein »Kindermeister«. Die weitere Schulentwicklung ist unsicher, bezeichnend ist der Umstand, dass 1497-1527 der Schulmeister die Rechnung des landesherrlichen Kellners schrieb. 1567 gründete Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg als Landesherr eine Lateinschule, besetzt mit Rektor, Konrektor und einem Nebenlehrer.
Jüdisches Leben ist seit dem späten 13. Jahrhundert belegt (in Mainz erscheint 1293 ein Jude namens Abraham von D.). 1305 waren Juden in gewalttätige Auseinandersetzungen bei der Kirchweih verwickelt. 1511 wurden Juden generell aus der Grafschaft D. ausgewiesen. Gegen Ende des Dreißigjährigen Kriegs gab es wieder einige Familien, die Schutzgeld zu zahlen hatten. 1714 gab es einen Rabbiner und eine Synagoge sowie sechs Familien, im Lauf des 18. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde langsam an, einige fungierten als Hoffaktoren der Fs.in Henriette Amalie. 1722 kam eine Mikwe hinzu. Judenordnungen wurden 1682, 1732 und 1751 erlassen, weitgehend die älteren Regelungen der Landesordnung von 1616 aufgreifend.
(4) Deutlich thront die Burg über der Stadt, die sich im Halbkreis um den Burgfels schmiegt. Im 16. Jahrhundert wurde die Burg von den Grafen von Nassau-Dillenburg, insbesondere von Johann V. (1475-1516) im Renaissancestil umgebaut und erweitert. Sie diente nach dem Aussterben der Grafen von D. in erster Linie als Sitz von Amtleuten, ab 1607 wieder kurzfristig als Residenz. Mit der Errichtung von Schloss Oranienstein durch Fs.in Albertine Agnes verlor die Burg ihre Funktion als Herrschaftssitz. Am Beginn der zum Schloss aufsteigenden Straße wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Stiftskirche St. Maria errichtet. An der Straße Schlossberg befindet sich auch ein Burgmannensitz, das um 1250 errichtete »Schlösschen Eberhard«, auch »Haus zu den Papageien« genannt; die Standorte anderer Burgmannensitze sind nicht genau bekannt.
Die 1360 erstmals erwähnte hölzerne Brücke wurde immer wieder durch Hochwasser zerstört und anschließend wieder aufgebaut. 1552 wurde sie durch einen Steinbau ersetzt, dieser 1634 im Dreißigjährigen Krieg auf schwedischen Druck hin gesprengt, anschließend sofort provisorisch aus Holz wiederaufgebaut, teilweise aus Stein ab 1677.
Erhalten geblieben sind Teile der wohl nach 1239 errichteten Stadtmauer. Ein großer Teil der heutigen Wohnbebauung der Altstadt stammt aus dem 16./17. Jahrhundert In zentraler Lage an der Altstadtstraße befindet sich das Alte Rathaus, ein 1610 errichteter Fachwerkbau; von einem Vorgängerbau (an selber Stelle?) ist nichts bekannt. Der Friedhof lag an der Stiftskirche, bis 1731 ein neuer vor dem Silbertor direkt an der Stadtmauer angelegt wurde.
Am Alten Markt befindet sich der Nassauer Hof, eine Herberge, in einem Gebäude wohl des 16. oder 17. Jahrhunderts Der Burg gegenüber befand sich das als Wohnhaus der Amtmänner dienende Oberamtshaus (im 19./20. Jahrhundert Domänenrentamt, Rezeptur), in dessen Nähe 1775 das Waisenhaus (vormals Ammonsches Haus) errichtet wurde (ab 1810 Nassauisches Oberappellationsgericht).
Einen deutlichen Eingriff in die Siedlungsstruktur bedeutete die Anlage der Neustadt, ab 1680 projektiert, ab 1690 begannen erste Baumaßnahmen zur Anlage der »Vorstadt« (heute Wilhelmstraße), sich von der Altstadt zu den Mühlen und weiter Richtung Freiendiez erstreckend, wofür der Aarbach kanalisiert und mit drei Brücken versehen wurde, teils geziert mit den Initialen AA für Albertine Agnes. Privilegiert wurde der neue Stadtteil 1704 von Fs.in Henriette Amalie. Zudem setzte sie den Ausbau der nunmehr Neustadt genannten Erweiterung fort nach Idealstadtplänen der Zeit (Wahrung der Baufluchten, Symmetrie der Tür- und Fensterachsen, Vorlage von Bauplänen bei der Fs.in selbst) mit mehreren Plätzen, u.a. dem Paradeplatz, und einer eigenen Kirche für die lutherischen Neusiedler, der Michaelis-Kirche. An der Mündung der Aar in die Lahn wurde 1718 der Fruchtspeicher errichtet als Zwischenlager für die von der Lahn auf den Landtransport umzuladenden Güter.
1671 wurde eine erste Allee von D. nach Schloss Oranienstein angelegt. Fs.in Henriette Amalie ließ ab 1707 eine direkte Chaussee als Lindenallee anlegen, die D. mit Oranienstein verband, was eine Aufschüttung des zwischen Stadt und Kloster befindlichen Tals erforderlich machte (heutiger Schlossplatz).
Zum Schloss Oranienstein gehörte ein größerer Wald, der »Hain«, der 1796 von Fürst Wilhelm V. (1748-1806) der Stadt geschenkt wurde. Dieses Gelände gehörte ursprünglich den Grafen, war von ihnen aber 1234 an das Kloster Dierstein verkauft worden. Im Hain befand sich ein Wasem, eine grasbewachsene Lichtung, auf der unter freiem Himmel das Schöffengericht der Grafschaft tagte. Dem Hain schloss sich der 1681 angelegte Tiergarten an. Ferner wurden unter Wilhelm V. Obstgärten und Spargelbeete für die Versorgung des Hofs angelegt, dem Schloss gegenüber wurde ein Wirtshaus (auch Gasthaus genannt), das über mehrere Speisesäle und Gästezimmer verfügte; als einziges von einer ganzen Reihe geplanter Häuser an dieser Stelle wurde es fertig. Die Ehefrau Wilhelms V., Wilhelmina von Preußen, kaufte 1804 ein großes Haus in der Neustadt, um dort eine Industrie- oder Gewerbeschule für ärmere Mädchen und Jungen einzurichten (heute Schulstraße). Mit der napoleonischen Besetzung wurde der weitere Ausbau beendet.
Wilhelm Scheffer gen. Dilich schuf 1605 in seiner Hessischen Chronik einen Kupferstich, der die Lage von Burg und Stadt wiedergibt. Stilisierend und überhöhend ist die Abbildung bei Meisner/Kieser (Thesaurus Philopoliticus II, 1, 1627). D. wurde auch in der Topographia Hassia von Matthäus Merian 1655 dargestellt. Aus dem Jahr 1740 gibt es eine Skizze des wallonischen Wandermales Renier Roidkin (1684-1741). 1792 wurde ein Plan des Schlossbergs angelegt, auf dem die Stiftsimmunität als bauliche Gegebenheit zu erkennen ist.
(5) Die Stadt hatte eine Waldmark, an der das Stift beteiligt war. Fs.in Albertine Agnes ließ im direkten Umland der Stadt D. das Hofgut Oranien anlegen, auf dem nach niederländischem Vorbild eine Meierei betrieben wurde, für die eigens Bauern aus Friesland herangeholt wurden. 1691 wurde in D. die Münzstätte eingerichtet, nach dem die Münze in Beilstein im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört worden war, erster Pächter wurde der D.er Stadtschreiber.
Vom Kloster Dierstein hat die Diersteiner Aue ihren Namen, eine Flur, von der angenommen wird, dass sie 1309 (nach anderer Quelle 1345) Ort eines Turniers der Lahnritterschaft gewesen sein soll. Eine gewisse Bedeutung besaß D. als Durchgangsstation für reisende Fürsten und Adlige, die sich ins Bad nach Ems begeben wollten. Immer wieder machten insbesondere Fürstinnen in D. Halt, um die dort residierenden Witwen aufzusuchen. So weilte bspw. 1676 die Herzogin Sophie von Hannover bei Fs.in Albertine Agnes (Gefolge und Leibgarde kamen in den Gasthäusern der Stadt unter), desgleichen 1679 der Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg (Hannover). Im 18. Jahrhundert war der D.er Stadt- und Landphysikus zugleich Badearzt von (Bad) Ems.
(6) D. war zunächst Hauptstadt der Grafschaft Diez, die auf dem Erbwege an die Grafen von Nassau gelangte. Als Residenzstadt im engen Sinne kann man D. im 14. Jahrhundert für die Grafen von D. und für die Zeit als Witwensitz im 17. und 18. Jahrhundert bezeichnen. Bemerkenswerterweise ließen sich im 18. Jahrhundert zwei weitere fürstliche Witwen in D. nieder, ohne eine Herrschaft über oder direkte dynastische Beziehungen zu D. zu haben. Eine allgemeine Stadtgeschichte fehlt, so dass sich keine weitergehenden Aussagen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen treffen lassen, mithin auch die Verflechtung von Hof und Stadt dunkel bleibt. In den D.er Kirchenbüchern finden sich immerhin Hinweise auf Künstler, die unter Fs.in Henriette Amalie ab 1709 Schloss Oranienstein verschönerten, so auf zwei Hofmaler, den Italiener Eugenio Castelli und den Niederländer J. van Dyck. Zu erkennen ist überdies D. Funktion als Brücken- und Mühlenstandort sowie als Stapelpatz für den Verkehr auf der Lahn, die ihm zu einer wirtschaftlichen Zentralität in der Region verhalfen.
(7) Diez hat kein Stadtarchiv im strengen Sinn, bei der »Stadtarchiv« genannten Einrichtung handelt es sich um mehrere zusammengeführte Sammlungen historisch-gelehrten und antiquarischen Interesses, eine Neustrukturierung des gesamten Bestandes befindet sich in Vorbereitung. - Herrschaftliche Bestände befinden sich in Wiesbaden, Hessisches Hauptstaatsarchiv. - Kirchenarchiv der Evangelischen Stiftskirche Diez umfasst u.a. Kirchenbücher des 18. Jahrhunderts.
Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien, in 3 Bd.en, bearbeitet von Heinrich Beyer, Koblenz 1860-1874. - Mechtel, Johannes: Limburger Chronik von 1610/12, hg. von Carl Knetsch, Wiesbaden 1909 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 6).
Stich von Wilhelm Scheffer gen. Dilich [auch Dilch]: Hessische Chronica, Casel 1605, S. 49. - Meisner, Daniel, Kieser, Eberhard: Thesavrvs Philo-Politicvs Hoc Est: Emblemata Sive Moralia Politica […] 2. Buch, 1. Teil, Frankfurt am Main 1627, Tf. 12.; moderne Ausgabe: Daniel Meissners Thesaurus Philopoliticus (Politisches Schatzkästlein). Die 830 Städtebilder neu herausgegeben und eingeleitet von Dr. Fritz Hermann und Dr. Leonhard Kraft, Bd. 2, Heidelberg 1927, S. 446. - Roidkin, Renier: Tuschezeichnung »Vue de Château et de ville de Diez« 1740 in Bonn, Landeskonservator Rheinland (vgl. Pfarrarchiv der Herz-Jesu Kirchengemeinde, Chronik Sammelmappe, S. 9). - Plan des Schlossbergs von 1792 im Stadtarchiv Diez.
(8)Steubing, Johann Hermann: Topographie der Stadt und Grafschaft Dietz mit eingestreuten statistischen und literarischen Nachrichten, Hadamar 1812. - Weniger, Johannes: Geschichte des Schlosses Oranienstein, vormals Kloster Dirstein, jetziges Kadettenhaus, Diez a.d. Lahn 1899 (Veröffentlichungen der Ortsgruppe Dietz des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 1) [ND 1983]. - Heck, Robert: Die Entstehung der Neustadt-Diez, Diez 1907. - Heck, Hermann: Die Geschichte der Stadt und der Grafschaft Diez in den Zeiten des 30jährigen Kriegs, Diez 1910. - Heck, Robert: Die Regenten der ehemaligen Diezischen Lande aus den Häusern Diez und Nassau-Diez. In Wort und Bild, Diez 1912 (Veröffentlichungen der Ortsgruppe Diez des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 10). - Heck, Robert: Diezer Chronik, oder die wichtigsten Ereignisse aus der Vergangenheit der Stadt Diez (Lahn) und ihrer Dynasten 1601-1866, Diez 1923 (ND Diez 2008). - Heck, Hermann: Die Goldene Grafschaft. Bilder aus der Geschichte der Grafschaft und der Stadt Diez, Diez 1956 (Veröffentlichungen der Ortsgruppe Diez des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 20). - Art. »Diez«, in: Städtebuch Rheinland-Pfalz und Saarland, hg. von Erich Keyser, Stuttgart 1964 (Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte, 4, 3), S. 128-132. - Struck, Wolf-Heino: Die Stifte St. Severus in Gemünden, St. Maria in Diez mit ihren Vorläufern, St. Petrus in Kettenbach, St. Adelphus in Salz, Berlin 1988 (Germania Sacra, N.F., 25). - Groenveld, Simon: Diez, die Niederlande und Leeuwarden (16. bis frühes 18. Jahrhundert), in: Nassau-Diez und die Niederlande. Dynastie und Oranierstadt Diez in der Frühen Neuzeit, hg. von Friedhelm Jürgensmeier in Verbindung mit Simon Groenveld, Wiesbaden 2012 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 82), S. 17-48. - Eiler, Klaus: Fürstin Henriette Amalie von Nassau-Diez und ihre Töchter, in: Nassau-Diez und die Niederlande. Dynastie und Oranierstadt Diez in der Frühen Neuzeit, hg. von Friedhelm Jürgensmeier in Verbindung mit Simon Groenveld, Wiesbaden 2012 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 82), S. 171-186.