Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Harzgerode

Harzgerode

(1) Die Rodungssiedlung H. (die heutige Namensform entstand im 18. Jahrhundert) liegt auf einer weitgehend bewaldeten, nach der Stadt benannten Hochfläche des Unterharzes. Durch eine Dotation Kaiser Ottos II. war das Gebiet, in dem H. entstand, an das Benediktinerkloster Nienburg gekommen. H. wird das erste Mal 994 erwähnt mit dem im Vorjahr erteilten Markt-, Münz- und Zollrecht. Der Ort lag am Schnittpunkt zweier den Harz querenden Straßen, nämlich der Ost-West-Hochstraße und einer nord-südlichen Verbindung.

Anfangs übte der Klosterabt, vertreten durch einen Präfekt, die Herrschaft über den Marktflecken aus, bis seine Position durch die Fürsten von Anhalt als Schutzvögten des Klosters eingeschränkt wurde. 1326 wird eine Burg Fürst Bernhards III. von Anhalt erwähnt. Durch den Verlust der Grafschaft Aschersleben um 1330 war das zuvor zusammenhängende Territorium des Fsm.s in zwei Komplexe getrennt worden. In dem kleineren westlichen Landesteil wurde H. als Stützpunkt der fsl.en Herrschaft ausgebaut und erhielt Stadtrecht, während die nahe gelegene und für das Fürstentum namensgebende Höhenburg Anhalt (etwa vier Kilometer nordöstlich H.s gelegen) verfiel. Ab 1397 verpfändet, fielen Stadt sowie die nun als Amt bezeichnete Umgebung H.s erst 1536 an die Fürsten von Anhalt zurück und kamen bei der Landesteilung 1546 an Fürst Georg III. Bei einer weiteren Landesteilung 1606 fiel H. an das Fürstentum Anhalt-Bernburg, bei dessen Teilung 1635 es Residenzstadt Fürst Friedrichs (1635–1670) wurde. Auch unter dessen Sohn Wilhelm (1670–1709) blieb H. Residenzstadt. Das Fürstentum Anhalt-Bernburg-H. bestand zunächst nur aus zwei, später vier Ämtern. In H. hatten als Regierungsbehörden eine Kanzlei und eine Kammer ihren Sitz, außerdem eine Superintendentur (Inspektion). Nach Wilhelms Tod 1709 fiel das Territorium wieder an das Fürstentum Anhalt-Bernburg. Das Schloss diente noch bis 1723 als Sitz der überlebenden Frau des letzten H.er Fürsten Eine Schwester Fürst Karl Friedrichs bewohnte mit ihrem Hofstaat bis 1767 ein Grundstück vor dem Schloss.

(2) H. wurde 1315 als Civitas erwähnt. 1338 besaß der Ort das Stadtrecht, wahrscheinlich von Fürst Bernhard III. (1323–1348) verliehen. Ein Rat wird erstmals 1419 erwähnt. 1382 erhielt H. ein weiteres Stadtprivileg, das 1503 von Fürst Waldemar von Anhalt bestätigt und so überliefert wurde. Berücksichtigung fand es in der 1540 von den anhaltischen Fürsten erlassenen Stadtordnung, die modifiziert bis in das 19. Jahrhundert gültig blieb. Der zunächst aus drei Mitteln bestehende Rat ergänzte sich durch Zuwahl eigener Kandidaten, die der Bestätigung durch den Amtshauptmann bzw. Fürsten bedurften, und wählte die Bürgermeister aus seinen Reihen. Dem Rat unterstanden die Haushaltsführung sowie die Verwaltung städtischer Angelegenheiten, besaß jedoch nur eine eingeschränkte Gerichtsbarkeit. Als Marktort und bedeutendste Siedlung im Unterharz fungierte H. als Gerichtsstätte für rund zwei Dutzend zumeist sehr kleine Ortschaften.

Eine Steuerliste 1547 nennt für die Altstadt 145 Häuser bzw. Haushaltsvorstände und für zwei gerade angelegte Vorstädte 62, was auf insgesamt über 1000 Bewohner schließen lässt. 1618 dürfte die Einwohnerzahl etwa bei 1500 Personen gelegen haben, inbegriffen einiger im Selketal gelegener Mühlen und des ehemaligen Klosters Hagenrode. Infolge des vorübergehend aufblühenden Berg- und Hüttenwesens in den 1690er Jahren wuchs die Bevölkerung zeitweise auf maximal 2500 Personen. 1795 ergab die erste Zählung 1798 Einwohner.

Ein Jahrmarkt fand bereits seit 993 statt. 1538 wurde das Privileg für einen zweiten und 1704 für einen dritten Vieh- und Jahrmarkt erteilt. Daneben gab es Wochenmärkte. Aus der Regierungszeit Fürst Joachim Ernsts (1570–1586) stammen die ersten Zunftprivilegien (als erstes der Bäcker 1572), als letzte der Zünfte erhielten die Glaser 1736 ihre Ordnung.

Durch H. führte die Harzhochstraße. Parallel dazu – die gleichmäßige Anlage lässt eine Planung vermuten – verliefen drei kürzere Straßen. Inmitten der Stadt lag der Markt, gleich daneben die Kirche mit dem Friedhof, der in der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgelassen wurde. Die Burg (Schloss) hatte ihren Standort am nördlichen Stadtrand. Bei zwei Großbränden 1635 und 1659 wurde bis auf das Schloss der gesamte alte Gebäudebestand zerstört. Gesichert war die Altstadt durch eine Mauer mit zwei Toren und über eine längere Strecke auch mit einem Graben. Mitte der 1690er Jahre wurde ein drittes Tor geöffnet.

1538 entstand östlich H.s eine als Bergstadt privilegierte Siedlung (Freiheit), die aber nicht über einen Straßenzug hinauswuchs. Gleichzeitig entstand westlich der Stadt eine weitere Siedlung (Ehrenberg). Infolge eines erneuten Auflebens des Bergbaus begann nördlich der Stadt um 1695 die Anlage einer weiteren bevorrechteten Bergstadt, die nur ein halbes Dutzend Häuser zählte. Als Stadterweiterung hatte Fürst Wilhelm südöstlich der Altstadt in den 1680er Jahren eine Vorstadt (Augustenstadt) mit ca. 80 Bauplätzen konzipiert, um den Fs.ensitz zur barocken Residenzstadt zu erweitern. Die vier Vorstädte unterschieden sich durch soziale, rechtliche und bautypische Besonderheiten voneinander und von der Altstadt. Außerhalb der Stadt entwickelten sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts neben zwei Hüttenwerken die Ortsteile Mägdesprung und Silberhütte.

(3) Kirchlich gehörte H. zum Bistum Halberstadt. Die Kirche Unserer Lieben Frau in H. wurde erstmals 1381 erwähnt. Vor der Reformation sind fünf Stiftungen nachweisbar. Neben dem Hauptaltar verfügte die Kirche über den Nebenaltar des Hl. Leichnams, den ein Stolberger Graf 1440 mit einer Wiese belehnte. Mit diesem Altar war die Fronleichnams-Laienbruderschaft verbunden. Aus ihr entwickelte sich die 1707 von Fürst Wilhelm privilegierte und heute noch bestehende Schützengilde. Die Fürsten Friedrich und Wilhelm sowie die Ehefrauen Friedrichs und die erste Ehefrau Wilhelms erhielten ihre Grablegen in der St.-Marien-Kirche.

Vor der Stadt lag die erstmals 1552 erwähnte Kapelle St. Nikolaus, neben der zu dieser Zeit ein Gasthof zum Hospital und Armenhaus St. Georg umgebaut und dessen Gründung von Fürst Joachim gefördert wurde.

Die Reformation wurde in den späten 1530er Jahren durchgesetzt. Das Kirchenpatronat fiel an die Fürsten von Anhalt. Viel Widerstand fand anfangs die 1597 verordnete reformierte Glaubensrichtung (Calvinismus), deren Anhänger schließlich zwei Drittel der Stadtbevölkerung ausmachten (1820 mit den Lutheranern zur evangelischen Union vereinigt). Daneben gab es vereinzelt Katholiken. Dagegen entwickelte sich ab Ende des 17. Jahrhunderts eine den Interessen des Fs.enhofes dienende jüdische Gemeinde, die um 1800 5 % der Einwohnerschaft zählte. Seit der Reformation bestand eine der kirchlichen Aufsicht unterstellte Schule.

(4) Das auf dem Gelände eines Vorgängerbaus um 1550 errichtete und seitdem nur wenig veränderte Renaissanceschloss bildete einen Teil der städtischen Befestigung. Von Fürst Georg III. als Residenz vorgesehen, konnte es infolge seines frühen Todes diese Funktion nicht mehr übernehmen. Der vom Schloss durch einen Graben getrennte Vorhof grenzte an den Markt. Fürst Wilhelm ließ zudem um 1700 ein Amtshaus am Markt erbauen. Der gesamte Schlossbezirk bildete einen großräumigen Komplex im Nordwesten der Stadt. Nördlich an die Stadt grenzte der nur vom Schloss aus zugängliche, mit Teichen und Orangerie gestaltete Lustgarten. Westlich an den Vorhof schloss sich die Domäne an, hinter der ein zum Schloss gehörender Küchengarten lag.

Das Schloss besaß keine Kapelle, so dass die Pfarrkirche die Funktion der Hofkirche ausübte. Bei ihrem Neubau um 1698 wurde hinter dem Altarbereich dementsprechend mit eigenem Zugang ein geräumiger Fürstenstuhl errichtet, Bildnisse Fürst Wilhelms und seiner beiden Frauen zeigend.

Mit dem Tod Fürst Wilhelms 1709 erlosch der weitere Ausbau der Residenz, zumal die anfangs gewinnträchtige Bergwerksgesellschaft in den Anfängen stecken blieb. Die im 17. Jahrhundert zugezogenen und zum Teil über Haus- und Grundbesitz verfügenden Adelsfamilien verließen H. nach Auflösung des Hofes.

Als kommunale Bauten verfügte H. über ein 1639 in Fachwerk erbautes Rathaus und ein Brauhaus, neben dem um 1700 ein weiteres Brauhaus für das Broihanbier (leichtes Weißbier) und eine Darre errichtet wurden.

(5) H. besaß als ältester Marktort in der Städtelandschaft Anhalts eine verhältnismäßig herausgehobene Stellung und gehörte zu den sechs Städten, die mit jeweils zwei Vertretern in den Landständen 1581 den Großen Ausschuss der Städte bildeten. Eine Beteiligung an Städtebünden ist nicht nachweisbar. Abgesehen vom Erlös aus dem alleinigen Recht zum Verkauf des Bieres der beiden städtischen Brauhäuser in den Schenken einiger Amtsdörfer bezog die Stadt keine Einnahmen aus dem Umland.

Fsl.e Zusammenkünfte gab es in H. anlässlich von Hochzeiten und Bestattungen der Anhaltiner, bei Beendigung der Pfandschaft der Fürsten von Stolberg 1536 und zum Beschluss über die Durchsetzung des reformierten Glaubens in Anhalt 1597.

Nach dem Verlust der Residenzfunktion 1709 behielt H. die wirtschaftliche Vorrangstellung im Unterharz und gewann im Fürstentum Anhalt-Bernburg durch das Berg- und Hüttenwesen und wegen der Forstverwaltung an zentraler Bedeutung.

(6) Die Autonomie H.s als amtssässige Stadt war beschränkt, erweiterte sich auch nicht in der Residenzzeit und einigen Folgejahren, als ihr Schriftsässigkeit zuerkannt wurde. Erfolglos widersprach der Rat Eingriffen des Fürsten bei der Einsetzung von Bürgermeistern. Als 1767 in Anhalt-Bernburg der Protest der Untertanen gegen die Weiterbezahlung der im Siebenjährigen Krieg erhobenen Kontributionen kulminierte, kam es in H. als einzigem Ort des Fsm.s zur offenen Erhebung. Mitglieder H.er Familien erhielten Stellen am Hof, einzelne Personen stiegen bis in mittlere Führungspositionen auf. Zudem gab es eheliche Verbindungen zwischen dem höheren Hofpersonal und städtischen Familien, für die adlige Führungsschicht galt dieses jedoch nicht. In den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entwickelte sich eine enge konnubiale Verflechtung zwischen angesehenen Familien H.es und dem nicht-adligen Führungspersonal der fsl.en Landesverwaltung, des Hofes sowie der Kirche.

Kontakte zwischen Fs.enhof und Stadt zeigten sich u. a. bei der Teilnahme von Vertretern der städtischen Oberschicht an Festlichkeiten auf dem Schloss, Besuche der Hofgesellschaft bei städtischen Veranstaltungen im Rathaus und Übernahme von Patenschaften seitens der Fs.enfamilie. Der Hof sowie die Haushalte der dem Hof zugehörenden Adelsfamilien stellten sowohl als Arbeitgeber wie auch als Konsumenten einen wichtigen Faktor für die H.er Wirtschaft dar. Die Einrichtung einer städtischen Apotheke und Niederlassung eines Arztes waren dem Fs.enhof geschuldet. Die Aufhebung des kleinen Fsm.s nach dem Tod Fürst Wilhelms und die Auflösung des Hofs waren neben anderen Gründen mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang in den Folgejahren, der nicht nur H., sondern auch dessen Umland betraf. Das Montanwesen nahm erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts einen starken Aufschwung, der die H.er Region zum industriellen Zentrum des Fsm.s/Hzm.s Anhalt-Bernburg werden ließ.

(7) Archivalien zur Geschichte Harzgerodes lagern im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, hauptsächlich Signaturen Rep. I Sal- und Amtsbücher, A 17 Harzgeröder Nebenlinie des Fürstenhauses und C Innere Landesangelegenheiten. Als Archivalien im Harzgeroder Stadtarchiv sind besonders aussagekräftig für die Zeit von 1550 bis 1750 drei Bände Ratsprotokolle und zwei Bände Rechnungsbücher.

(8)Pfenningsdorf, Emil: Geschichte der Stadt Harzgerode. Festschrift zur Einweihung des Rathauses, Harzgerode 1901. – Börner, Karl-Heinz: Fürsten, Bürger und Betrüger. Residenzstadt Harzgerode 1635–1709, Harzgerode 2001. – Linemann, Friedhelm, Friebe, Andreas: Harzgerode und das Selketal, Quedlinburg 2006. – Schmidt, Paul: Geschichte der Eisenhütte unterm Mägdesprung, hg. vom Eisenhüttenverein Mägdesprung Carl Bischof e. V., Quedlinburg 2008. – Börner, Karl-Heinz: Kurze Geschichte der Stadt Harzgerode, Harzgerode 2008 (Harzgeroder Hefte, 3). – Ein Schatz wird gehoben. Die St.-Marien-Kirche Harzgerode 1698–2008, hg. vom Gemeindekirchenrat der Evangelischen Kirchengemeinde Harzgerode, Harzgerode 2008.

Karl-Heinz Börner