Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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(Hamburg-)Harburg

(Hamburg-)Harburg

(1) Spätestens um 1100 existierte die »Horeburg«, d. h. Sumpfburg, die auf einer Talsandinsel an der Süderelbe inmitten eines Sumpfgebiets lag und mit dem Land durch einen Damm verbunden war. Sie gehörte ab 1144 zu der von den Welfen beanspruchten Grafschaft Stade, bis sie 1257 endgültig zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg kam. Hinfort diente die Burg als Grenzfestung und als Verwaltungsmittelpunkt der Vogtei H. Im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entwickelte sich an beiden Seiten des Dammes eine Einstraßensiedlung auf Wurten, Keimzelle des Weichbilds H. Residenz war H. von 1527 bis 1642. In dieser Zeit dienten Schloss, Städtchen und Amt zur Versorgung einer abgeteilten Nebenlinie der Celler Hauptlinie der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg. Es war kein Teilfürstentum, sondern ein untergeordneter, bedingt selbständiger Verwaltungsbezirk ohne Landeshoheit. Als 1560 die fürstliche Abfindung erblich wurde und neben dem Amt H. das angrenzende Amt Moisburg umfasste, konnte Herzog Otto II. (reg. 1549–1603) in gewissen Grenzen als eigenständiger Fürst auftreten. Er richtete eine Regierungskanzlei und Superintendentur ein. Mit dem Aussterben der Nebenlinie 1642 und dem Rückfall der beiden Ämter an die Celler Hauptlinie verlor H. seine Residenzfunktion.

(2) Die kleine Ansiedlung vor der Burg wurde 1288 aus der Vogteiverwaltung herausgelöst und erhielt 1297 das Lüneburger Stadtrecht. Der Stadtrechtsbezirk reichte zu beiden Seiten des Dammes von der Lotsebrücke vor der Burg bis zum äußersten Schlagbaum südlich des 1389 zuerst erwähnten Stadttores. An der Hauptstraße, dem früheren Damm, lagen die Grundstücke der sozial führenden Schiffer. Dort befanden sich auch die Burglehen der im Umland begüterten Adelsfamilien Grote und Heimbruch. 1589 gelang es Herzogin Hedwig, das Burglehen der letzteren zu erwerben.

1536 brannte das Städtchen fast vollständig, 1564 teilweise ab. Die Herzöge brachten beim Wiederaufbau ihre Vorstellungen zur Geltung. Es erfolgte eine erste Stadterweiterung. Im Osten entstand vor 1556 entlang des Mühlendeichs der Karnapp, und ab 1562 reichte die Bebauung im Süden bis zum hzl.en Garten. Seit etwa 1590 teilte Otto II. vom herrschaftlichen Garten Grundstücke ab und zog die Neuansiedler 1599 zum Stadtgebiet. Bald nach 1600 wurde der angrenzende Sand bebaut. Ein weiteres Stadtviertel entstand unter Herzog Wilhelm (reg. 1603–1642) 1614 auf dem ehemaligen Ackerland »Schepeses«. Um 1625 wohnten 325 Bürger und 161 Häuslinge in H., was auf eine Gesamteinwohnerzahl von rund 1700 schließen lässt. Vor 1600 zogen jährlich durchschnittlich sieben, 1605–1642 bereits 15 Neubürger jährlich zumeist aus der Umgebung hinzu.

Auch wenn die spätmittelalterliche Selbstverwaltung formal erhalten blieb, verlor sie unter den Hzg.en an Bedeutung. Das geschah vor allem durch Erlass von Verordnungen ab 1560, mit denen anfangs Beschlüsse von Rat und Bürgerschaft genehmigt wurden, später jedoch die Herzöge dem Rat die zu erlassenden Verordnungen vorschrieben. Am Ende standen rein hzl.e Verordnungen, wie sie auch in die Bestätigungen der Stadtprivilegien 1604 und 1623 einflossen. Die Kanzlei wurde um 1600 das eigentliche Gericht, während die Gerichtstätigkeit des Rats verkümmerte, der Rat zum ausführenden Organ herabsank. Neue Ratsmitglieder ernannte der Herzog jetzt selbst. Auch zog er exekutive Aufgaben an sich, wie die Erteilung von Bau- und Gewerbegenehmigungen.

1528 gründete Herzog Otto I. (reg. 1527–1549) eine Bürgerkompagnie als Vereinigung von fsl.er Familie und Bürgern zur Verteidigung des Städtchens. Acht Schilder stammen von Angehörigen des Hzg.shauses, die zwischen 1528 und 1625 Schützenkönige wurden.

Um 1500 waren die meisten Bürger Handwerker, die nebenbei etwas Viehwirtschaft und Ackerbau betrieben. Abgesehen vom Holzhandel, spielte der Handel nur eine geringe Rolle. Lediglich Schiffer und Fuhrleute erlangten zunehmend Bedeutung. Diesem Verkehrsgewerbe gehörte die Zukunft, als um etwa 1570 die Kaufmannschaft des nahe gelegenen Hamburg für einen optimalen Warentransport H. favorisierte.

Gab es im 16. Jahrhundert nur zwei Zünfte (Schumacher und Schneider), so vermehrte und differenzierte sich deren Zahl im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Gleichzeitig siedelte Herzog Wilhelm gefreite Handwerker an. Otto I. hatte bereits 1529 einen Wochenmarkt einzurichten versucht, und Wilhelm erließ 1612 erneut eine Marktordnung. Das Warenangebot befriedigte die Bevölkerung des Umlandes aber nicht, die es vorzog, den Hamburger Markt zu nutzen. H. wurde wirtschaftlich bestimmt von der Finanz- und Handelsmetropole Hamburg. Dort saßen die Hoflieferanten und Hoffinanziers der Hzg.e: Otto I. beauftragte für sein Schloss Hamburger Handwerker und bezog von dort Baumaterial. Von Rat und Bürgern der Nachbarstadt erhielt er Darlehen. Otto II. hatte einen Hamburger Hoflieferanten. Wilhelm bedurfte ständig des Hamburger Kapitalmarktes.

(3) 1307 wird außer der Burgkapelle eine der Jungfrau Maria geweihte Kapelle erwähnt, die kurz zuvor auf einer Insel östlich des Dammes vor der Burg erbaut worden war. Organisatorisch und wirtschaftlich unterstand sie der Pfarrkirche im Nachbardorf Wilstorf, dort wurden auch die Toten begraben. Eine eigene H.er Pfarrgemeinde entwickelte sich erst im 15. Jahrhundert 1477 werden zwei Kirchgeschworene für die Verwaltung des Kirchenvermögens bezeugt.

Im Auftrag Ottos I. führte Gottschalk Kruse 1527 die Reformation durch. Er hatte bei Luther studiert und in Celle gewirkt. Bis zu seinem Tod 1540 war er zugleich Hof- und Stadtprediger. Spätestens 1562 schuf Otto II. eine mit der H.er Kirche verbundene Superintendentur. Die Herzöge, die für ihr Gebiet die Kirchenhoheit beanspruchten, richteten an der Stadtkirche eine Schule ein, Vorläuferin der 1628 begründeten Lateinschule. 1634 schenkte Herzog Wilhelm die vorwiegend theologisch bestimmte, aus 278 Titeln der Reformationszeit bestehende hzl.e Bibliothek der Kirche

Als religiöse Minderheit kamen 1610 auf Grund eines Schutzbriefes von Herzog Wilhelm zwei Juden nach H., 1612 folgte ein dritter. Gegen Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes erhielten sie das Recht, Geld auf Pfänder zu verleihen und andere Geldgeschäfte zu machen.

(4) 1457 wurde bestimmt, dass der H.er Rat eine Befestigung zu unterhalten hatte. Sie bestand durchweg aus Planken. Im 16. Jahrhundert wurde sie unter hzl.er Beteiligung erweitert. Nach 1560 wurde vor dem Städtchen ein neuer Graben mit Palisade angelegt und bis 1562 ein gemauertes Tor errichtet. Bereits zwischen 1596 und 1599 baute man im Zug der Stadterweiterung ein neues Tor am Sand. Im Dreißigjährigen Krieg, 1637, erfolgte die endgültige Befestigung der ganzen Stadt mit Planken und Mauerwerk. Ein Rathaus, wohl eine einfache Fachwerkhalle, wird erstmals 1512 erwähnt (1536 abgebrannt). Der Nachfolgebau wurde auf Betreiben Ottos II. ab 1586 verbessert.

1597 wurde die alte Kirche auf Betreiben Ottos II. durch einen in Fachwerkbauweise errichteten Neubau ersetzt. Zahlreiche Fenster waren mit den Wappen der Herzöge versehen. Eine Gruft quer vor dem Chor und ein Anbau an der Nordseite dienten als Begräbnisstätten für die hzl.e Familie.

Nachdem Herzog Otto I. ab 1527 das Hauptgebäude der Burg umgebaut und die Befestigung modernisiert hatte, ließen Otto II. und sein Sohn Wilhelm daran zwei neue Flügel anbauen. Diese bis 1621 reichenden Baumaßnahmen erweiterten die Burg zum Schloss. Otto I. errichtete 1537–1540 für die Baumaßnahmen ein Ziegelhaus. 1539–42 wurde die alte Mühle neu erbaut und deren Wasserzufuhr verbessert. 1544–1546 entstand das Kaufhaus. Es diente zur Zwischenlagerung von Waren im Durchgangshandel von und nach Hamburg. Im hzl.en Garten errichtete Otto II. 1562–1564 ein Haus für Geselligkeiten, das Lusthaus. An den Rändern des Gartens besaßen zwei seiner Söhne Wohnhäuser. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Ziegelhaus legte Herzog Wilhelm 1615 das Münzhaus an, wo 1616–1631 eigene Silbermünzen geschlagen wurden.

Otto I. veranlasste 1531–1541 die Anlage von Weinkulturen außerhalb des Städtchens am Schwarzenberg und Krummholzberg.

(5) Mit der wirtschaftlich dominierenden Stadt Hamburg führten die H.er Herzöge lange Auseinandersetzungen um die Süderelbe und Moorburg. Was Moorburg anging, gab es 1591 eine Einigung. Hinsichtlich der Süderelbe folgte 1619 ein Urteil des Reichskammergerichts, das die freie Schifffahrt bestätigte. Hamburg kam dem Urteil aber nicht nach, und der geldbedürftige Herzog Wilhelm, dem die Hansestadt eine jährliche Rente zahlte, legte seine Forderungen nieder.

(6) H. war ein kleines, im Schatten des wirtschaftlich blühenden Hamburg stehendes Städtchen. 1527–1642 übernahm eine Nebenlinie der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg das Städtchen als Residenz. Dessen bescheidene städtische Autonomie wurde durch die Herzöge durch mancherlei Eingriffe ausgehöhlt. Andererseits erlebte H. in dieser Zeit einen spürbaren Aufschwung, den es weniger seiner Funktion als Residenzstadt, sondern vor allem seiner engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der Nachbarstadt Hamburg verdankte. Auch die Herzöge waren zur Finanzierung ihrer höfischen Belange auf Hamburg angewiesen und hingen politisch von dieser Stadt ab.

(7) Archivbestände befinden sich im Niedersächsischen Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover: Celle Or. 16 Fürstlich Harburgisches Archiv, Urkunden 1527–1641; Celle Br. 71 Altes Harburgisches Archiv, Akten 1505–1668; Celle Br. 60 Harburgische Sachen 1506–1801; Hann. 74 Amt Harburg 1345–1903.

Archivbestände im Staatsarchiv Hamburg: 430-1 Urkunden und Rechtssatzungen Harburg 1307–1933; in 430-2 Stadtbücher Harburg: Bürger- und Einwohnerbücher 1612–1937; in 430-3 Rechnungen Harburg: Städtische Kassen 1584–1900, Kirchen- und Schulkassen 1612–1896, Armen- und Stiftungskassen 1620–1901; in 430-4 Magistrat Harburg: allgemeine städtische Verwaltung 1542–1936, Finanzen 1607–1937, Bauwesen 1628–1938, Kirchen 1620–1926, Stiftungen 1621–1935, Polizei 1599–1928, Militärwesen 1632–1928, öffentliche Wirtschaftspflege 1589–1938.

(8)Lübbers, Friedrich: Harburg. Vom Werden und Wachsen der Stadt und dem Leben ihrer Bürger, in: Harburger Jahrbuch 2 (1940/41) S. 3–148. – Kausche, Dietrich: Untersuchungen zur älteren Rechtsgeschichte und Topographie Harburgs, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 43 (1956) S. 105–165. – Drescher, Hans: Die Fürstengruft in der Dreifaltigkeitskirche zu Harburg, in: Harburger Jahrbuch 10 (1961/62) S. 5–65. – Matthes, Dieter: Die welfische Nebenlinie in Harburg. Untersuchung über Entstehung und Rechtsform einer fürstlichen Abfindung zu Beginn des 16. Jahrhunderts, Hamburg-Harburg 1962 (Veröffentlichungen des Helms-Museums, 14). – Kausche, Dietrich: Von der Marienkirche zur Dreifaltigkeitskirche. Ein Beitrag zur Geschichte der Harburger Kirchen, in: Harburger Jahrbuch 11 (1963/64) S. 31–67. – Kausche, Dietrich: Harburg und der süderelbische Raum, in: Heimatchronik der Freien und Hansestadt Hamburg, Köln 1967 (Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebietes, 36), S. 355–476 (S. 393–424 Harburg als Sitz einer welfischen Nebenlinie). – Richter, Klaus: Die Lämmertwiete. Studien zur Geschichte eines Harburger Milieugebiets, in: Harburger Jahrbuch 15 (1975–79) S. 65–111. – Meier, Rudolf: Herzog Otto III. zu Braunschweig und Lüneburg. Sein Leben und Wirken in den Residenzen Harburg und Moisburg, eine Kurzbiographie, in: Harburger Jahrbuch 19 (1996) S. 49–65.

Klaus Richter