Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Ballenstedt

Ballenstedt

(1, 2) B. liegt 15 km westlich von Aschersleben und zehn Kilometer südöstlich von Quedlinburg an der Getel. Seit Anfang des 11. Jahrhunderts gab es ein Dorf, in dem die sogenannte »Alte Burg« lag, der Stammsitz der Askanier. Ihre Grablege befand sich im zwischen 1040 und 1043 von Graf Esico von B. (um 990/1000–nach 1059) eben hier gegründeten Kollegiatstift, das 1123 zum Benediktinerkloster der Hll. Pancratius und Abundus umgewandelt wurde. 1297 wird Dorpballenstede das erste Mal urkundlich erwähnt. 1299 werden ein Ritter Conradus von Ballenstat und seine beiden Söhne als Besitzer einer Hufe Landes und eines Hofes genannt, 20 Jahre später gab es drei Wirtschaftshöfe. Im Jahr 1498 kam es zu einem schweren Brand. 1515 und 1520 wird B. urkundlich noch »Dorf« genannt, 1531 als »Flecken« bezeichnet. 1543 verlieh Fürst Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492–1566) das Stadtrecht. Im darauffolgenden Jahr begann die Errichtung der Neustadt im Westen, aber noch 1571 wird B. als »Flecken« bezeichnet, 1582 das erste Mal als Stadt. 1603 fiel B. infolge einer Landesteilung an Anhalt-Bernburg; im Verlauf des 17. Jahrhunderts diente B. mehrmals zur Versorgung von Thronfolgern und Witwen. 1765 wurde B. unter Friedrich Albrecht (reg. 1765–1796) Sitz der eigenständigen Linie der Fürst von Anhalt-Bernburg (ab 1806 Hzg.e) und blieb dieses bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, während sich die Regierung in Bernburg befand.

B. gliedert sich in die spätmittelalterliche Alt- und in die ab 1544 entstandene Neustadt. Mit der Erhebung zur Stadt begann der Bau der Stadtmauer (vollendet 1551), die zwei Stadttore (Ober- und Untertor, jeweils mit Turm, beide erhalten) aufweist. Der als Glockenturm und Gefängnis dienende Marktturm am Alten Markt stammt aus dem 16. Jahrhundert Mit dem benachbarten Alten Rathaus bildet er das ursprüngliche Zentrum der Stadt. Trotz der Verleihung der Stadtrechte, einschließlich des Braurechts, hatte B. lange Zeit keinen Rat. Erst Fürst Joachim Ernst (1536–1586) erließ 1582 eine Verordnung, nach der es ständig eingesetzte Ratspersonen geben sollte. Ein Ratssiegel gab es seit 1590. Der Rat bestand aus drei (ab 1734 zwei) Mitteln, einem Bürgermeister und einem Kämmerer, die jährlich wechselten. Doch die Autonomie blieb beschränkt. Dem Salbuch von 1734 zufolge besaß das fürstliche Haus und das Amt B. alle Hoheitsrechte in der Stadt, d. h. die untere und obere Gerichtsbarkeit, das Kirchenpatronat und fürstliche Freiheiten. Faktisch ausgeübt wurden sie durch einen Amtsrat als fsl.em Amtsträger.

Der Rat besaß im Umland Forst- und Fischereirechte, Hopfengärten, Ackerland und Zehntrechte. 1602 gab es 99 Hausbesitzer (14 Vollspänner und 85 Kossäten), was auf ungefähr 500–600 Einwohner schließen lässt. Genauer sind die Angaben des Salbuchs von 1734: Es verzeichnet 193 fsl.e, adlige und geistliche Rats- und Bürgerhäuser, acht Ackerhöfe, 131 Häuser mit Braugerechtigkeit, 18 Budenhäuser ohne Braugenehmigung, 122 handdienstpflichtige Bürger und fünf Mühlen. 1748 hatte B. 700 Häuser, hinzu kamen die Häuser der fsl.en, städtischen und kirchlichen Bediensteten, was auf über 3000 Einwohner schließen lässt. Die Erwerbsstruktur dürfte derjenigen anderer Kleinstädte entsprochen haben. Die für den Hausbau wichtigen Salpeter-, Kalk- und Ziegelhütten befanden sich in fsl.er Hand. In der Neustadt, die von sozial schwächeren Familien bewohnt wurde, gab es einen schnellen Wechsel der Besitzverhältnisse. Die besser situierte Bürgerschaft bevorzugte die Altstadt als Wohnort. Erst 1796 wurde ein Wochenmarkt eingerichtet.

(3, 4) 1326 folgte die Grundsteinlegung der Marktkirche St. Nikolai, die baulich das Stadtbild beherrscht. Schiff und Chor erlitten 1498 infolge des Stadtbrandes starke Schäden, an die anschließende Renovierung erinnert eine Inschrift des Jahres 1500 an der südlichen Schiffswand mit dem Wappen der Familie Stammer. An der Emporenbrüstung des Langschiffs und der Westseite gibt es inschriftlich auf 1587 datierte Wappen der fsl.en und von Stammerschen Patronatsherren, zudem befanden sich an der Ostwand des Schiffes Epitaphien für fünf Mitglieder der Familie Stammer. In der Nähe liegt das 1488 erstmals erwähnte Rittergut Oberhof, das in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts durch die Herren von Stammer als Herrenhaus in der Stadt ausgebaut wurde. Ihnen gehörte auch die Alte Burg (1734 nur noch Keller vorhanden) und seit Anfang des 16. Jahrhunderts der mit einem Turm versehene Niederhof, der sich später im Besitz der Familie von Alvensleben befand. Der im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts errichtete Amtshof diente ab 1704 als Amtsgericht.

Vom Obertor führt die 1710 angelegte, etwa ein Kilometer lange Allee durch die Neustadt zum westlich gelegenen Schlossbezirk auf dem Schlossberg. Sie wird seitlich von Villen und Palais der höheren Hofamtsträger aus der Zeit seit dem 18. Jahrhundert gerahmt. Das Schloss ging aus dem vormaligem Kollegiatstift bzw. dem 1123 gegründeten Benediktinerkloster hervor. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts nahm das Kloster eine wichtige Stellung in der Politik Markgraf Albrechts des Bären (um 1100–1170) ein. Die im Westen des Klosters angebaute Nikolaikapelle ist höchstwahrscheinlich Grablege Albrechts. Das romanische Westwerk des Klosters wurde nicht abgerissen, sondern als Spolie in das spätere Schloss integriert, seine markante Silhouette bestimmt die Ansicht des Schlosses. 1525 wurde es säkularisiert, bald darauf, ab 1530, wurden unter Fürst Wolfgang in mehreren Bauabschnitten Teile der Anlage unter Verwendung des Westwerks repräsentativ für gelegentliche Aufenthalte umgebaut. Im Nordflügel blieb bis 1748 die Klosterkirche der Hll. Pancratius und Abundus erhalten. Seine heutige Gestalt erhielt das Schloss seit dem 18. Jahrhundert Im Schlossbezirk lagen 1563 die Wirtschaftsgebäude des Hofs, zu denen später u. a. eine Büchsenmacherei und ein Laboratorium gehörten. An Stelle der Hofbäckerei wurde ab 1788 im Stil des Klassizismus das Hoftheater und weitere repräsentative Bauten errichtet. Der weiträumige Schlosspark bindet die Schlossanlage in die umgebende Harzlandschaft ein.

Als kommunaler Bau ist das ehemalige, urkundlich zuerst 1582 erwähnte, ab 1683 errichtete Alte Rathaus zu nennen, ein zweigeschossiger Fachwerkbau. Es trug über dem Eingangstor das ältere anhaltische Wappen, ehemals am Obertor der Stadtbefestigung mit der Inschrift »von gots gnade Wolfgang fürst zy anhalt graf zu ascanien v. her zu bernburg 1551«.

Die älteste Darstellung findet sich in Johann Christoph Beckmanns (auch Bekmann oder Becmann) Geschichte des Fsm.s Anhalt (erschienen 1710). Sie zeigt B. aus nördlicher Richtung und gibt das spätmittelalterliche Gepräge wieder, bei dem das Schloss noch von den Klostergebäuden dominiert wurde. Am Nordhang des Schlossberges lag ein kleiner Garten, der in den im 18. Jahrhundert gegründeten Schlosspark einbezogen wurde. Zu erkennen ist ferner die Landwirtschaft im Umland der Stadt. Abgesehen von den gekennzeichneten Bauten ist die Bebauung nur summarisch dargestellt, ebenso die natürliche Topografie des Harzvorlandes.

(5, 6) B. lag abseits bedeutender Handelswege im östlichen Harzvorland. Es war auf Grund der dortigen fruchtbaren Böden in erster Linie eine landwirtschaftliche geprägte Stadt, die keine territoriale oder größere wirtschaftliche Bedeutung aufwies. Luxusartikel wurden in den Schlosswerkstätten wohl ausschließlich für den Bedarf des eigenen Hofs hergestellt. Nur gelegentlich (1652, 1687 und 1698) nahm der B.er Rat an Versammlungen des Landtags teil. Als im 16. Jahrhundert formal zur Stadt erhobener Ort stand B. stets in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu den Fürsten von Anhalt. Personelle Verflechtungen zwischen der Verwaltung der Stadt und des Hofes sind nicht nachweisbar, gewerbliche Dienstleistungen aus der Stadt wurden offenbar nicht oder nur in begrenztem Umfang entgegen genommen. Als Residenzstadt wurde B. vor allem im 18. Jahrhundert geprägt und blieb als solche bis ins 19. Jahrhundert bestehen, als das 1788 gegründete Hoftheater mit Adalbert Lortzing und Franz Liszt eine besondere Bedeutung erhielt. In dieser Zeit war B. mit etwas über 3000 Einwohnern keine Kleinstadt mehr.

(7) Archivalische Überlieferungen befinden sich im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Dessau: Z 18 C2c II Stadt Ballenstedt, Laufzeit 1582–1847, u. a. enthaltend: Z 18 C2c II, Nr. 1 (Privilegium des Rates, Konzept, 1582–1607) und ebd., Nr. 2 (Privilegien des Rates und Konzepte der Urkunden Fs. Christians II. und Fs. Victor Amadeus, 1631–1688).

Brotuff, Ernst: Genealogia und Chronica des Durchlauchten Hochgebornen, Königlichen und Fürstlichen Hauses der Fürsten zu Anhalt Graffen zu B. und Ascanie, Herrn zu Bernburgk und Zerbst, auf 1055. Jar in sechs Büchern mit…Königlichen und Fürstlichen Wopen gezieret, Leipzig 1556. – Anonymus: Art. „Ballenstedt“, in: Zedler, Johann Heinrich: Grosses Vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, 64 Bde. und 4 Bde. Supplement, Leipzig/Halle 1732–1754, hier Supplement S2, 1751, Ao-Barb, Sp. 1327. – Weyhe, Emil: Landeskunde des Herzogtums Anhalt, Bd. 2, Dessau 1907. – Ballenstedter Chronik. Eine Geschichte des Schlosses und der Stadt in Einzeldarstellungen. Von den Anfängen bis 1920, hg. von Bernhard Heese und Hans Peper, neu hg. vom Kulturverein Wilhelm von Kügelgen Ballenstedt e. V., Ballenstedt 2004.

Als älteste bildliche Darstellung der Stadt gilt die Illustration in: Beckmann, Johann Christoph: Historie des Fürstenthums Anhalt, Zerbst 1710, selbständig überliefert in Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Kart. Y 13535. – Anhaltische Gemäldegalerie Dessau, Inv. Nr. G II 1317 (dazu ausführlich: Anhalt in alten Ansichten. Landschaft, Baukunst, Lebenswelten, hg. von Norbert Michels, Halle 2006, S. 87 f.)

(8)Specht, Land- und Amtsregister, Tl. 2 (1938). – Codex diplomaticus Anhaltinus Bde. 1–2 (1867–1875). – Leisering, Walther: Art. Ballenstedt, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 11: Provinz Sachsen-Anhalt (1987) S. 29–31.

Stefanie Leibetseder