Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Augustusburg (Schellenberg)

Augustusburg (Schellenberg)

(1) Zu beachten ist der Wechsel des Ortsnamens: Die Siedlung, die als burgabhängige Ortschaft auf einem kleinen Plateau 120–250 m nordnordöstlich unterhalb der Burg entstand, übernahm den Namen der Burg und wurde zunächst Schellenberg genannt. Das zweieinhalb Kilometer südöstlich liegende Dorf Schellenberg bezeichnete man zur Unterscheidung von der Burg als Altenschellenberg (1378) oder Dorfschellenberg (1445/47). Nach Errichtung des Renaissanceschlosses A. trug das Städtchen von 1572 bis 1628/32 zumeist diesen Namen, danach wieder Schellenberg. Seit 1899 heißt es amtlich A.

Die Burg Schellenberg entstand auf einem hoch aufragenden Gipfel zwischen den Flüssen Zschopau und Flöha. Sie wurde im frühen 13. Jahrhundert im Zuge des Landesausbaus von den Herren von Schellenberg, einer reichsministerialischen Familie, gegründet; die Familie hatte offenbar zunächst im Dorf Schellenberg ihren Herrensitz. Sie verloren im Zuge der Schellenberger Fehde 1323/24 ihre Herrschaft an die Markgrafen von Meißen. Diese begründeten das Amt Schellenberg und nahmen nach mehreren Verpfändungen Burg und Herrschaft Schellenberg 1368 in direkten Besitz. Seither sind vor allem sommer- und frühherbstliche mehrwöchige, zum Teil sogar mehrmonatige Aufenthalte der Markgrafen von Meißen/Kfs.en bzw. Herzöge von Sachsen belegt. Genutzt wurde Schellenberg vor allem als Jagdsitz. Zuweilen wurde Schellenberg auch als Rückzugsort bei Pestepidemien genutzt, so beispielsweise 1521 von Herzog Georg dem Bärtigen (1500–1539).

Kirchlich gehörte Schellenberg zum Bistum Meißen, innerhalb dieses zur Sedes Freiberg und wurde bis zur Reformation vom Pfarrer des sechs Kilometer nordwestlich gelegenen Dorfes Flöha betreut.

(2) Die städtische Siedlung entstand offenbar erst, nachdem die Wettiner die Herrschaft Schellenberg in Besitz hatten, entweder unter Markgraf Wilhelm I. dem Einäugigen (1349/1365–1407) oder seinem Nachfolger Friedrich IV. dem Streitbaren bzw. Kurfürst Friedrich I. (reg. als Markgraf 1407–1423, als Kurfürst 1423–1428). 1444 ist Schellenberg erstmals, wenn auch indirekt über die Nennung zweier Bürger als Zeugen, als Stadt belegt. 1456 wird es Märklin genannt und 1459 in verschiedenen Ausfertigungen des Vertrages von Eger als Stad bzw. Stat bezeichnet. In der frühen Neuzeit fungiert Schellenberg/A. stets als Städtlein. Das Stadtrecht wird 1564 im Zusammenhang mit der Bestätigung des Wappens (ein Hirsch zwischen zwei festen Türmen) genannt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein verfügte A. weder über Rat noch Bürgermeister, sondern über einen Richter und zwei Schöffen. Kurfürst Johann Georg I. (1611–1656) verlieh A. 1615 das Recht zur Abhaltung von zwei Jahrmärkten sowie eines donnerstäglichen Wochenmarkts. 1456 erhielt Schellenberg von Kurfürst Friedrich II. (1428–1464) die Braugerechtigkeit (von Herzog Moritz 1543 erneuert, wobei festgelegt wurde, dass die umliegenden Dörfer ihr Bier in Schellenberg zu holen hatten). Die Bürger mussten in Fehdezeiten Wache auf dem Schloss halten, erstmals belegt für Mitte des 16. Jahrhunderts.

Schellenberg war nur teilweise befestigt. Im ausgehenden 16. Jahrhundert werden die beiden Stadttore – das Zschopauer und das Chemnitzer Tor – erwähnt. Der dreieckige Markt hat sich durch Aufweitung der bogenförmig zum Schloss hinaufführenden Straße gebildet. Vom Markt führt wiederum eine Straße bogenförmig nach Norden in Richtung Flöha. Eine etwas niedriger liegende Querstraße verbindet diese beiden, so dass eine im Grundriss dreieckige Stadtgestalt entstanden ist, an deren nördlichem Ende die Stadtkirche steht.

1632 wurden Stadt und Schloss Schellenberg von kaiserlichen Truppen belagert, eingenommen und geplündert. In den Folgejahren war die Stadt immer wieder mit Einquartierungen und Kontributionen belastet. 1501 sind 26 Hauswirte belegt, was einer Einwohnerzahl von 150-180 entsprechen mag (1598 52 Wirte, ca. 290–350 Einwohner); ob die ungefähre Verdoppelung mit der Residenznahme ab 1572 zusammenhängt, muss offen bleiben. 1612 betrug die Zahl 101, was ungefähr einer Einwohnerzahl etwa 600–700 entsprach. Im Dreißigjährigen Krieg sank die Zahl der Hausstellen bis 1645 auf 68, stieg dann auf 104 in den Jahren 1748 und 1770 an. Für 1771 sind 699 Einwohner belegt (was einem Multiplikator von 6,7 pro Haushalt entspricht). 1801 wurden 877 Einwohner gezählt.

Innungsgründungen sind erst für das ausgehende 16. Jahrhundert belegt (Bäcker 1583, Zeug- und Leineweber 1584, Schneider 1602, Fleischer 1615, Schuhmacher 1661). Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung waren die Zeug- und Leineweber: 1668 gab es 18 Meister, 1767 insgesamt 106 Meister mit 24 Gesellen, 1778 123 Meister; die anderen Gewerke hatten einen deutlich geringeren Umfang. In der Gewerbestatistik 1767 werden 64 Wollspinnerinnen genannt.

(3) Das Alter der Stadtkirche St. Petri ist ungewiss; die in der Literatur immer wieder angeführte angebliche Kirchweihe von 1444 ist wegen der Nennung eines falschen Bf.s sichtlich unzutreffend. Die chronikalische Nachricht einer Kirchweihe durch den Meißner Bischof 1480 erscheint demgegenüber glaubwürdig. Bis zur Reformation 1539 war Schellenberg Filialkirche von Flöha, erst dann wurde sie zur eigenständigen Pfarrkirche. Seit 1572 fanden die Hauptgottesdienste in der neu erbauten Schlosskapelle statt. 1531 ist eine Moritzkapelle an der Straße nach Dorfschellenberg erwähnt, die wenige Jahre später bereits nicht mehr nachweisbar ist. Eine Hospitalstiftung durch einen Bürger 1621 kam letztlich doch nicht zustande, so dass es lediglich ein Armenhaus gegeben hat.

1567 verordnete Kurfürst August, dass der Friedhof der Stadtkirche verlegt werden solle, weil dieser »dem neuen Schloßbaue allzunahe« (Bergner 1778, S. 46) liegen würde. Dazu ist es jedoch nicht gekommen.

(4) Stadtbildbeherrschend ist das über der Stadt thronende Renaissanceschloss. Hervorgegangen ist es aus der um 1380 unter Markgraf Wilhelm I. massiv ausgebauten älteren Burg, die erstmal 1386 für ein mehrwöchiges Hoflager genutzt wurde. Die 1547 durch Blitzschlag schwer beschädigte Burg ließ der sächsische Kurfürst August I. (1553–1586) nach dem Sieg über seinen Vetter aus der ernestinischen Linie 1567 abbrechen und 1567–1572/73 völlig neu als Schloss aufbauen, das nach ihm benannt wurde.

Baulicher Kontrapunkt zum Schloss war die Stadtkirche (1831 abgebrannt). Unterhalb der Stadt befand sich der aus einem 1378 bezeugten Vorwerk hervorgegangene Jägerhof. Bei Letzterem handelte es sich bis zur Zerstörung 1632 um eine 1564 errichtete, überwiegend aus Fachwerk bestehende Vierflügelanlage mit polygonalem Treppenturm. Im Zusammenhang mit den Jagdaufenthalten des Kurfürsten war der Jägerhof Bestandteil der Residenznutzung. Ab 1639 bis nach 1658 ist die Anlage auf Befehl Kurfürst Johann Georgs I. sukzessive wiedererrichtet worden (1824 und 1878 zerstört).

Bei den Bürgerhäusern handelte es sich zumeist um ein- oder zweigeschossige Fachwerkgebäude. Einige hatten ein steinernes Erdgeschoss, in denen sich zum Teil bis heute Renaissanceportale erhalten haben (Gasthaus »Weißer Hirsch« [Chemnitzer Straße 1] von 1566, das Gebäude Schlossstraße 7 [um 1600] und der sog. Lotterhof zwischen Markt und Schloss [um 1570]). Bei dem Barockgebäude am oberen linken Ende des Marktes handelt es sich um das ehemalige, seit 1475 bezeugte Lehngericht aus der Zeit um 1760, das 1833–1844 als Rathaus diente. Eine Badstube ist 1499 und ein Schullehrer – damit indirekt eine Schule – erstmals 1504 bezeugt. Besonders zu erwähnen ist der Pranger am Aufgang zum Schloss.

Einen Eindruck vom Aussehen der Stadt vor dem Dreißigjährigen Krieg vermittelt die kartografische Darstellung von Matthias Oeder († 1614) von 1586 (Wild/Wirth 2006, Abb. 16) sowie eine Federzeichnung von Wilhelm Dilich (1571–1650) von 1629 (Steche 1886, Beilage I). Ein schematischer Grundriss und eine Ansicht des Schlosses aus dem frühen 18. Jahrhundert gehen möglicherweise auf Matthäus Daniel Pöppelmann (1662–1736) zurück (Kirsten 2000, Umschlagbild vorn; Günther 2000, Abb. S. 40). Ergänzend sei auf eine unpublizierte, 40 x 73 cm messende Zeichnung Johann August Richters aus dem Jahre 1724 (Stadtbibliothek Leipzig) hingewiesen. An der lockeren Bebauung des Städtchens hatte sich bis in die 1770er Jahre nichts Wesentliches geändert, wie das Titelkupfer bei Bergner 1778, das einer Vorlage von 1774 folgt, zeigt.

(5) Aufgrund der späten Stadtentstehung haben sich in Schellenberg kaum städtische Zentralfunktionen herausbilden können. Der Nahmarktbereich dürfte mit den Dörfern, die ihr Bier aus dem Städtchen beziehen mussten, umrissen sein (Grünberg, Metzdorf, Hennersdorf, Dorfschellenberg, Plaue und Falkenau). In das Gericht (»Dingstuhl«) gehörten entsprechend des Amtserbbuches aus der Mitte des 16. Jahrhunderts außerdem noch dazu Witzschdorf, Gornau, Gückelsberg und der nicht lokalisierbare Ort »Meynersdorf«.

Die Landesherren versuchten zwar mit dem Brauprivileg von 1456 und der Marktrechtsurkunde von 1615 sowie dem Verkauf von Feldern, die zum herrschaftlichen Vorwerk gehörten, 1527 ihr Städtchen zu fördern, aber den Vorsprung der benachbarten älteren Städte Oederan (elf km nordöstlich), Chemnitz (16 km westlich) und Zschopau (neun km südlich) konnte Schellenberg nie aufholen, zumal bis 1539 die Flöhaer Dorfkirche die Hauptpfarrkirche im Sprengel blieb.

(6) Offenbar überhaupt erst im ausgehenden 14. und 15. Jahrhundert, als der Burg Schellenberg im Zusammenhang mit mehrwöchigen Jagden der wettinischen Markgrafen und Kurfürsten bereits eine Funktion als Jagdsitz zugekommen war, konnte das Städtchen Schellenberg entstehen. Auch in der frühen Neuzeit – insbesondere nach Errichtung von Schloss Augustusburg und Jägerhof in den 1560er und 1570er Jahren – dürfte das Gemeinwesen aus den häufigen Jagdaufenthalten des Hofes Nutzen gezogen haben, ohne dass dies näher fassbar wird. Das nachlassende Interesse des Herrscherhauses an Augustusburg dürfte sich auf das Städtchen ausgewirkt haben. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Wiederherstellung des teilweise zerstörten Schlosses zwar in Angriff genommen, nach 1671 aber eingestellt und der Bau nur notdürftig gesichert. Hatte sich die kurfürstliche Familie mit vielen Gästen im Jahre 1651 noch für fast zwei Monate zu einem Jagdlager in Augustusburg aufgehalten, und ist die Anwesenheit des Kurfürsten 1667 sowie 1670 nochmals belegt, so entzogen die Wettiner ihrem alten Jagdschloss bald danach ihre Gunst (1722 und 1723 wurden 330 Geweihe auf das seit 1721 neu errichtete Schloss Hubertusburg in Wermsdorf gebracht). Die in Augustusburg verbliebenen Reste der ehedem über 2000 Jagdtrophäen wurden schließlich 1786 verkauft.

Als Stadt bzw. Residenz der Markgrafen bzw. Herzöge war Schellenberg/A. nur von geringer Bedeutung. Für das späte 16. Jahrhundert, vor allem aber für das 17. und 18. Jahrhundert sind einige Bürger bezeugt, die auf dem Schloss tätig waren, allerdings durchweg in niedrigen Tätigkeiten als Koch, Bäcker, Torwärter, Wächter, Leibtrabant o. ä. In Zusammenhang mit höfischen Festlichkeiten stehen der Tanzmeister und zwei Instrumentalmusiker, die 1572 auf Befehl Kurfürst Augusts I. zum Schloss- und zum Stadtpfeifer berufen wurden.

(7) Ältere Schriftquellen zur Geschichte der Stadt Augustusburg liegen im Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden und im Kreisarchiv Freiberg. Hervorzuheben sind im Dresdner Hauptstaatsarchiv die im Text zitierten Originalurkunden, das Amtserbbuch Schellenberg von 1551 (Bestand 10036, Loc. 37864, Rep. 47, Nr. 5, Erbbuch des Amts Augustusburg, fol. 504–520; im Internet unter http://repsax.isgv.de/repsax.php?a=4&o=578&gr=&r=1) und die Kaufbücher der Stadt Schellenberg (Bestand 12613, Gerichtsbücher des Amtsgerichts Augustusburg, Nr. 31–40 [1558–1824]). Im Freiberger Kreisarchiv ist allein die 34seitige Akte »Privilegien der Stadt aus den Jahren 1564–1657« (Bestand Nr. 363) mit Abschriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert von Belang. Die wichtigsten der dort zu findenden Urkunden von 1548 bis nach 1692 sind bei Bergner 1778 gedruckt (S. 70–119). Zudem befindet sich im Pfarrarchiv das handschriftliche, dreibändige, um 1725 beendete »Chronikon Augustoburgense« des ortsansässigen Pfarrers Ernst Hermann (amt. 1695–1730).

Bergner, Johann August: Beschreibung des ehemaligen berühmten Schlosses und jetzigen Churfürstl. und Sächßis. Burg-freyen Städtchens Schellenberg in Chur Sachßen und dem Ertzgebürger Creyße, Chemnitz 1778. – Ermisch, Hubert: Eine Hofhaltungsrechnung Markgraf Wilhelms I. (1386), in: Neues Archiv für sächsische Geschichte und Altertumskunde 18 (1897) S. 1–30. – Registrum dominorum marchionum Missnensium. Verzeichnis der den Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meissen jährlich in den wettinischen Landen zustehende Einkünfte 1378, hg. von Hans Beschorner, Berlin 1933. – Haupt, Walther: Die Meißner Bistumsmatrikel von 1495, Dresden 1968 (Quellen und Forschungen zu sächsischen Geschichte, 4). – Tresp, Uwe: Das Fürstentreffen von Eger und die sächsisch-böhmischen Beziehungen um 1459, in: Eger 1459. Fürstentreffen zwischen Sachsen, Böhmen und ihren Nachbarn: Dynastische Politik, fürstliche Repräsentation und kulturelle Verflechtung, hg. von André Thieme und Uwe Tresp, Wettin-Löbejün 2011, S. 67–128.

(8)Steche, Richard: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Sechstes Heft: Amtshauptmannschaft Flöha, Dresden 1886, S. 44. – Fritzschen, Walter von: Schloß und Stadt Augustusburg. Eine städtebauliche Untersuchung, in: Heimatkundliche Blätter 3 (1957) S. 193–202.– Blaschke, Karlheinz: Bevölkerungsgeschichte von Sachsen bis zur industriellen Revolution, Weimar 1967. – Das mittlere Zschopaugebiet. Ergebnisse der heimatkundlichen Bestandsaufnahme in den Gebieten von Flöha – Augustusburg und Zschopau, Berlin 1977 (Werte unserer Heimat, 28), S. 97–107. – Streich, Brigitte: Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung: Der wettinische Hof im späten Mittelalter, Köln/Wien 1989 (Mitteldeutsche Forschungen, 101). – Günther, Maike: Die Herrschaft Schellenberg. Beobachtungen zur Herrschaftsbildung im Erzgebirge vom 12. bis zum 14. Jahrhundert und zur Schellenberger Fehde mit dem Kloster Altzelle, ungedr. Dissertation an der TU Dresden 2003. – Günther, Britta: Schloss Augustusburg, Leipzig 2000. – Kirsten, Michael: Schloß Augustusburg, München/Berlin 2000. – Baudisch, Susanne: Art. „Schellenberg“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 515–517. – Wild, Manfred, Wirth, Rüdiger: Zur Geschichte der Stadt, in: Schellenberg – Augustusburg. Beiträge zur 800-jährigen Geschichte, Augustusburg 2006, S. 37–57.

Yves Hoffmann