Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Arnstadt

Arnstadt

(1) A. liegt ca. 20 Kilometer südlich von Erfurt am Nordrand des Thüringer Waldes an der Gera. Das wellig ansteigende Stadtgelände erstreckt sich am Hügelausläufer der Alteburg.

Höhere Bedeutung besaß A. (Ersterwähnung 704) bereits im Hochmittelalter (Kaiserpfalz, Münze). Zu einem unbekannten Zeitpunkt ging A. in den Besitz der Reichsabtei Hersfeld über (Stadtrecht 1266). Teile A.s unterstanden zu dieser Zeit den Vögten des Klosters, den Grafen von Schwarzburg-Kevernburg, deren Stammburg im ca. drei Kilometer südöstlich von A. gelegenen Oberndorf stand. Die Grafen übernahmen 1273 die Burg und zogen nach dem Kauf eines Teils 1280 (vollständig 1332) in die Stadt. 1599 teilte sich die Gf.enfamilie in die Linien Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen. A. kam zu letzterer (1697 gefürstet) und war hinfort Mittelpunkt der sog. Oberherrschaft, die lehnsrechtlich vom Herzogtum Sachsen-Weimar abhing. Weitere Teilungen führten zur Bildung der Grafschaft Schwarzburg-A. unter Günther dem Streitbaren und seiner Gemahlin Katharina von Nassau (1560–1624) und unter Anton Günther II. und seiner Frau Auguste Dorothea von Braunschweig-Lüneburg (1681–1716); in diesen Phasen war A., die größte und bedeutendste Stadt des Territoriums und ideeller Stammort der Schwarzburger, Hauptresidenz. Ab 1716 bis zum Ende der Monarchie 1918 blieb A. Nebenresidenz.

(2) Im Zentrum befinden sich Markt und Rathaus, während die Liebfrauenkirche im Südwesten liegt. Im 13. Jahrhundert wurde eine unregelmäßig fünfeckige Fortifikationsmauer mit fünf Toren angelegt, die eine Fläche von ca. 37 ha umschloss. In der Neuzeit wurde die Bebauung über die alte Stadtgrenze hinaus nach Osten und Süden zum Tal hin ausgedehnt. Dabei behielt man die gewachsene, unbegradigte Wegeführung mit großzügiger Straßenbreite bei. Als Handelsplatz war A. wegen seiner Lage an der Hauptverkehrsachse Nürnberg-Erfurt von Bedeutung, Wohlstand entstand durch den Handel mit Waid, Wolle, Gerbereiprodukten. Zudem bestimmten Hopfenanbau (um 1700 ca. 130 Bierbrauereien), Weinanbau, Töpfereien, Gewandschneider und Fuhrbetriebe das Wirtschaftsleben. Das Salzwerk und Eisen-, Kupfer- und Braunsteinbergbau im Umland sowie das 1532 erwähnte Schmelzhüttenwerk führten zu einer verstärkten Anwesenheit von Metallarbeitern. Ab dem 18. Jahrhundert existierten mehrere Fayence- und Porzellanmanufakturen, für die zum Teil Spezialisten aus der Fremde engagiert wurden.

Die Stadt war ein begehrter Zuzugsort, Zuwanderer kamen nicht nur aus dem Umland, sondern auch von Orten befreundeter Höfe. Zwischen 1566 und 1699 erfuhr allein die Zahl der Bürger eine Steigerung von ca. 27 %, von denen nur ca. 60 % aus A. stammten. Oft war der Erwerb des Bürgerrechts gebunden an eine Eheschließung mit A.er Witwen und Töchtern, wohl zum Erhalt der bestehenden Haushalte und Handwerksbetriebe. Der Hof nahm ebenfalls Einfluss auf die Vergabe von Bürgerrechten, auch auf deren Ausgestaltung (Bitte um Verzicht auf Eid und Bürgergeld). Die Einwohnerzahlen stiegen von ca. 2800 (1524) über ca. 3100 (1620) auf bis zu 4000 (1800).

Der Rat wird 1283 erstmals erwähnt. Die eigenständigen politischen Handlungsmöglichkeiten der Stadt waren begrenzt, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert fungierte der Rat eher als ein Organ der Landesverwaltung. Innungsordnungen, Regelungen des Marktverkehrs, Hochzeitsordnungen, Polizeiordnungen wie die von 1543 u. a. wurden vom Hof genehmigt oder selbst verabschiedet. Die Ratsherren standen wie andere städtische Amtsträger oft zugleich in Diensten des Hofs (so Johann Sebastian Bach als Organist der Pfarrkirche 1703–1707). Ein Stadtgericht ist seit mindestens 1599 nachweisbar. Ebenfalls befanden sich ein Hofgericht und die Kanzlei (Kammer, Rentkammer) in der Stadt. Die jeweiligen Zuständigkeiten und auch die Ausübung von Rechts- und Policeyordnung sind nicht präzise erforscht.

Das Neben- und Miteinander von Hof und Stadt gestaltete sich weitestgehend einvernehmlich, nur wenige Prozesse sind überliefert. Proteste der Einwohner bspw. gegen Steuererhebungen, Einquartierungen und gegen die Überreglementierung waren selten.

Vor allem in den Phasen, in denen A. Hauptresidenz oder eigenes Territorium war, bestand eine enge Verzahnung von Stadt und Hof, da die A.er den größten Teil der territorialen Untertanenschaft ausmachten. Die A.er wiederum stellten zugleich wichtige Geldgeber der Grafen dar. Der Hof rekrutierte sein niederes Personal aus der Stadt, hochrangige Spezialisten jedoch aus benachbarten Territorien. Das hohe Hofpersonal wurde in repräsentativen Häusern in unmittelbarer Nähe zur Residenz in der Zimmergasse angesiedelt. Im höfischen Gefolge befand sich nur ein geringer Anteil landsässigen Adels.

(3) Bedeutendste Kirche war die im 13. Jahrhundert errichtete Liebfrauenkirche im Südwesten der Stadt, 1305 fand dort das Benediktinerinnenkloster St. Walpurgis Aufnahme. Die Liebfrauenkirche wurde als Hofkirche und Grablege der Schwarzburger (Grabkapelle im nördlichen Chorseitenschiff) in Anspruch genommen. Ungefähr zeitgleich erbauten die 1248 aus Gotha eingewanderten Franziskaner die Oberkirche. Seit dem Stadtbrand 1581 war die Oberkirche die Hauptkirche der Stadt, zugleich Hofkirche und Grablege bis mindestens 1685. Hier finden sich einige Stiftungen des Gf.enhauses und des städtischen Bürgertums. Die Reformation wurde erst 1533 eingeführt (Superintendentur und Konsistorium), 1538 wurden die Franziskaner ausgewiesen. Die Grafen konfiszierten den Klosterbesitz, einen Anteil erhielt die Stadt. Die Schwarzburger wurden kurz darauf Mitglied im Schmalkaldischen Bund, der 1539 in A. tagte.

Im 14. Jahrhundert wurde die Pilgerkirche St. Jakobus gebaut, 1667 bis auf den Turm abgebrochen. 1444 begann der Neubau der ältesten Pfarrkirche St. Bonifatius, genannt »Neue Kirche«, die nach dem Stadtbrand 1581 erst ab 1676 mit gfl.er Hilfe wieder errichtet wurde (heute »Bachkirche«). 1738–1743 entstand die Gottesackerkirche vor dem Erfurter Tor auf dem Gelände des alten Friedhofs. Auch Schloss A. (genannt ‚Neideck‘) besaß eine Hofkapelle, die den Untertanen regelmäßig offen stand. Im aufgelösten Franziskanerkloster wurde 1540 eine gräfliche Erziehungsanstalt gegründet, die ab 1589 als städtische Schule diente. Dort entstand mit gfl.en Stiftungen ab 1588 eine Kirchenbibliothek. Das bürgerliche Hospital St. Georg existierte seit mindestens 1379, ab 1731 wurden dort Waisenkinder untergebracht. 1766 erfolgte der Bau eines separaten Waisenhauses als Ausdruck der fsl.en Untertanen- und Einwohnerfürsorge.

Minderheiten wie die Pietisten und später die Herrnhuter Brüdergemeinde sind ab 1690 im weitgehend lutherisch geprägten A. nachweisbar, waren aber von Seiten der Landesherren unerwünscht bis verboten. Trotzdem gelangten Katholiken und Pietisten in den gfl.en Dienst. Aus Salzburg vertriebene Protestanten wurden 1732 aufgenommen. Besonders der Reformationsfeiertag wurde jährlich begangen. Von der Schützengilde wurde seit 1475 das mehrtägige Vogelschießen veranstaltet, welches auch vom Hof frequentiert wurde.

(4) Das Stadtbild wurde geprägt von den Kirchen, der Befestigungsanlage mit den fünf Tortürmen (noch erhalten Riedtor, Neutor, Fischtor), dem in den 1550er Jahren durch Graf Günther den Streitbaren erbauten Schloss und den kleineren Stadtpalais, aber zugleich durch bürgerlich repräsentative Profanbauten wie dem Rathaus, Gasthäusern (Goldene Henne), Brauereien (Großer Christoph), Patrizierhäusern (Palmbaum) und wirtschaftlichen Funktionsbauten (Papiermühle). Die Günthersmühle, 1575 durch Günther den Streitbaren erneuert, galt als technisches Wunderwerk.

Nach dem Stadtbrand 1581 wurde die Häuserzeile zwischen Markt und Bonifatius-Kirche abgetragen und die Front in Form einer Galerieüberbauung zurückgesetzt, was sich als eine architektonisch-visuelle Form der selbstbewussten Darstellung deuten lässt: Die Stadt wertete ihren zentralen Raum auf, indem sie ihn nicht nur symbolisch, sondern auch konkret vergrößerte. Der dominanteste bürgerliche-repräsentative Bau war das 1583–1585 im Stil der niederländischen Renaissance erbaute Rathaus (der Vorgängerbau war bereits 1459 abgebrannt). Die Brunnenbauten wie z. B. die »Brunnenkunst« (ein Pumpwerk) von 1559 dienten neben ihrer Funktion als Trink- und Löschwasserspender aufgrund ihrer Verzierung der visuellen Repräsentation des Grafen und des Rats.

Bildliche Darstellungen des Stadtraums finden sich bei Matthias Merian (1650) und in der Topographia Superioris Saxoniae, Frankfurt am Main (1650), weitere Abbildungen existieren von Wolf Kelner (1580), Pius Rösel (1710) und Wegeinspektor Meizner (1766) (Arnstadt Schloßmuseum).

(5) Die Stadt (Nahmarkt für den Thüringer Wald) verfügte über enge Kontakte über die Konfessionsgrenze hinweg nach dem kfl.-mainzischen Erfurt und zu (Sachsen-)Gotha sowie zu den anderen Orten des Territoriums der Schwarzburger (Sondershausen, Ilmenau, Gehren, Rudolstadt, Blankenburg). Höfische Kontakte bestanden neben den durch Konnubium verbundenen Dynastien insbesondere zu den Höfen in Gotha, Weimar und Eisenach. Die nächste Universität lag in Jena, hier gewährten die Gf.en/Fs.en Stipendien zur Förderung von Landeskindern.

(6) Die Entwicklung von Stadt und Hof folgte einer gegenseitigen Abhängigkeit: Prosperierte die Stadt, war sie als Residenz attraktiv, und umgekehrt gewann die Stadt während der Anwesenheit des Hofs. Der Kinderreichtum der Schwarzburger und die Kleinheit des Landes führte zu einer permanenten Präsenz des Hauses durch nicht regierende Prinzen, unverheiratete Prinzessinnen und Witwen, deren Haushalte als Arbeitgeber fungierten und die Stadt durch ihre Anwesenheit aufwerteten. Die Grafen begriffen A. stets als »ihre« Stadt. Da vor allem während der Existenz des Territoriums Schwarzburg-A. die Untertanenschaft weitestgehend mit der Einwohnerschaft übereinstimmte, kam es zu ausgesprochen engen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und finanziellen Verflechtungen zwischen Stadt und Hof. Zugleich wurde die städtische Autonomie durch eine »hausväterliche« Überreglementierung seitens der Grafen eingeschränkt. Mit Blick auf das enge Nebeneinander aller Standesgruppen und das hohe Maß der gegenseitigen Abhängigkeit von hohem Adel, Bürgertum und Einwohnern könnte gerade A. als Modell eines paradigmatischen Kleinststaats gelten. Die Verflechtungen der sozialen Sphären führten längerfristig zu einer Neuformierung der ständischen Hierarchie. Die A.er Gesellschaft entwickelte sich zu einer prototypischen sozialen Figuration der Frühaufklärung. Trotz relativ hohen Zuzugs und einem hohen Anteil fremder Spezialisten bei Hof führten die Partizipation und Integration der Bevölkerung sowie die karitativen Tätigkeiten (Stiftungen) zu einer stabilen Kooperation zwischen Stadt und Hof. Insgesamt sollte von einem quasi fluiden Ineinandergreifen und dauerndem neu Aushandeln des Herrschaftsbereichs ausgegangen werden.

(7) Archivalien befinden sich unter ThStA Rudolstadt (Grafen/Fürsten Schwarzburg), ThStA Gotha, ThHStA Weimar, HStA Dresden (Lehnssachen), Haus-Hof- und Staatsarchiv Wien (Untertanenprozesse am RHR), Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt (Stadt), Landeskirchenarchiv Eisenach (Inspektion Arnstadt/Schwarzburg-Sondershausen).

Toppius, Andreas: Beschreibung Der Städte und Flecken der Graffschafft Schwartzburg, Erfurt 1658. – Olearius, Johann Christoph: Historia Arnstadiensis. Historie der alt-berühmten schwarzburgischen Residenz Arnstadt, Arnstadt 1701 [Faksimile, Berlin 1995]. – Gregorii, Johann Gottfried, Toppius, Andreas: Das jetzt florirende Thüringen in seinen durchlauchtigsten und ruhmwürdigsten Häuptern, Erfurt 1711. – Treiber, Johann Friedrich: Genealogia et Chorographia Schwartzburgica, Arnstadt 1718. – Heydenreich, Lebrecht Wilhelm Heinrich: Historia des Hauses Schwartzburg, Erfurt 1743. – Robst, Johann Andreas: Merkwürdiges Leben des ehemaligen Superintendenten zu Arnstadt Herr Nikodemus Lappens, Jena 1753. – Hellbach, Johann Christian: Archiv von und für Schwarzburg, Hildburghausen 1787.

(8)Apfelstedt, Heinrich Friedrich Theodor: Heimathskunde für die Bewohner des Fürstenthums Schwarzburg-Sondershausen. Geschichte des Fürstlich-Schwarzburgischen Hauses, Sondershausen 1856. – Lappe, Ulrich: Ruine Neideck in Arnstadt, in: Alt-Thüringen 15 (1978) S. 114–158. – Sigismund, Berthold: Allgemeine Landeskunde der Oberherrschaft, Arnstadt 1993. – Ohl, Manfred: Günther XXI. Graf von Schwarzburg-Blankenburg und deutscher König, in: Herrscher und Mäzene. Thüringer Fürsten von Hermenefred bis Georg II., hg. von Detlef Ignasiak, Rudolstadt 1994, S. 111–122. – Johann Sebastian Bach und seine Zeit in Arnstadt, hg. vom Schloßmuseum Arnstadt und Stadtgeschichtsmuseum Arnstadt, Rudolstadt/Jena 2000. – Chronik von Arnstadt. Zeittafel, Lexikon. Festschrift zur 1300-Jahrfeier der Stadt Arnstadt, hg. von Andrea Kirchschlager und Heinrich Behr, Arnstadt 2003 (Veröffentlichungen des historischen Vereins für Schwarzburg, Gleichen und Hohenlohe in Thüringen, 3). – Czech, Vinzenz: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit, Berlin 2003 (Schriften zur Residenzkultur, 2). – Beger, Jens, Lengemann, Jochen: Geschichte eines Aufstiegs: Die Schwarzburger, in: Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen (2. Thüringer Landesausstellung, Schloss Sondershausen, 15. Mai – 3. Oktober 2004), Katalog Teilbd. 1, hg. von Konrad Scheurmann und Jördis Frank, Jena 2004, S. 49–63. – Kirchschlager, Andrea: Bürgerbuch der Stadt Arnstadt 1566–1699, Marburg 2011 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye, 53). – Lundgreen, Friedrich: Die Beteiligung des Hauses Schwarzburg an den Kreuzzügen, Arnstadt 2011. – Schmidt, Hermann, Thalmann, Paul, Müllerott, Hansjürgen: Die Häusernamen Arnstadts. Nebst einem Nachtrag über zerstörte Baudenkmale, Bodendenkmale und Bodenfunde nach 1990, Arnstadt 2012.

Annette Cremer