Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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MATSCH

C. Churburg

I.

Churberch (1259/60, 1331), Churberc (1272), Churburch (1303), Kurberg (1331, 1374), Churberg (1334, 1367, 1394, 1399), Chorberg (1364), Curberg (1367), Curburg (1499), Kurburg (um 1510), C. (1561) – Höhenburg – Hauptres. der Vögte von → Matsch bzw. der Linie → Matsch-Untermatsch (seit 1360 Hauptlinie) vom letzten Viertel des 13. Jh.s bis zu deren Aussterben im Mannesstamm 1504, in der Folge Res. ihrer Erben, der aus dem Hzm. Steier stammenden landsässigen Trapp (1605 Reichsfrh.en, 1655/91 Gf.en) – I, Südtirol, Obervinschgau, Gmd. Schluderns.

II.

Die Burg auf einem breiten, leicht abfallenden Berghang nordöstlich über Schluderns am Ausgang des → Matscher Tales (983 m NN) wurde Mitte des 13. Jh.s von den Bf.en von Chur gegen die Vögte von → Matsch errichtet. Wahrscheinlich ist das Bf. Heinrich III. von → Montfort (gest. 1272) in einem Vergleich 1253 eingeräumte Recht, an einem ihm gefälligen Ort zwischen Calven (? oder Chiavenna?) und Latsch (Mittelvinschgau) eine Burg zu errichten, auf die 1259 erstmals als castrum Churberch bezeichnete C. zu beziehen. In den frühen 1270er Jahren dürfte die Hälfte der Burg an Gf. Meinhard II. von Tirol- → Görz (gest. 1295) gefallen sein. 1272 urkundete mit Egno III. erstmals ein → Matscher auf C.; die Vögte dürften damals ihren Hauptsitz schrittweise von den nahen Höhenburgen Unter- und Obermatsch hierher verlegt und die Bf.e verdrängt haben. Bezeichnenderweise ließ Bf. Konrad III. von Belmont (1273-1282) in jenen Jahren als Ersatz für die verlorene C. die über Burgeis gelegene Fürstenburg errichten (1292: in castro nostro Furstenburch). Bei der 1297 erfolgten Güterteilung zwischen den Vögten Ulrich II. (gest. 1309) und Egno IV. (gest. 1341/42) wird C. nicht erwähnt, 1331 aber empfingen Egno und Ulrich III. (gest. 1366/67) das Burgareal vom Tiroler Landesherrn und vom Bf. von Chur jeweils zur Hälfte getrennt zu Lehen, während die Burg selber den Matschern gehört haben dürfte (pro indiviso possiderint castrum in Kurberg): Im März belehnte Hzg. Heinrich von Kärnten (gest. 1335) sie mit dem halben purchperch ze Churberch und erlaubte ihnen, das Lehen zu teilen; im Okt. 1331 erlaubte ihnen auch Bf. Ulrich V. (1331-1355), castri area et fundamentum, die sie bis dahin zur Hälfte iure feodali von Chur innegehabt hatten, zu teilen.

1348 verloren die → Matscher, nachdem sie zur luxemburgischen Partei gewechselt waren, in den Auseinandersetzungen mit dem wittelsb. Landesherrn Tarasp, Untermatsch und C., 1349/51 wurden sie für diese bisher zumindest teilw. zu Eigen innegehabten Burgen zur Lehnnahme gezwungen (castra […] que prius propria habebant, postea et deinceps a domino de Tirol in feodum haberent). Im Zuge einer Fehde zwischen den Familienzweigen Untermatsch und Obermatsch wurden 1357/58 der zur Vorburg zählende »Pfaffeneck«-Turm (parva turris subtus Churberg) und das Taubenhaus (domus columbarum) gebrochen. Seit 1393 wurde die halbe C. zusammen mit Untermatsch regelmäßig vom Tiroler Landesherrn zu Lehen genommen und auch Marienberger und Churer Quellen bezeichnen nunmehr – um 1360 bzw. im frühen 15. Jh. – die halbe Burg selber als Lehen (dimidiam partem castri Churberg bzw. die vesti Churberg halb ist ouch lehn von Gotzhus). Bei der Teilung der Familiengüter 1422 fiel die Burg zusammen mit Untermatsch und allen dazugehörenden Gütern und Rechten an Vogt Ulrich VI. (gest. 1443/44). Nach dem Aussterben der → Matscher im Mannesstamm 1504 blieb deren Erbe und damit die C. zunächst zwischen Erhard von → Polheim und den Brüdern Jörg, Jakob V. und Karl Trapp umstritten, erst 1537/39 fiel die Burg endgültig an die Trapp.

III.

Bereits die Anlage des 13. Jh.s läßt in ihrer Weitläufigkeit erkennen, daß C. als Dynastenburg konzipiert war. Zur ma. Kernburg gehört der auf quadratischem Grundriß (8,60 : 8,60 m) errichtete, 28 m hohe, ursprgl. freistehende fünfgeschossige Bergfried mit auskragender Wehrplatte und einem Kranz schwalbenschwanzförmiger Kerbzinnen. Talseitig angelegt war der 25 m lange und 11 m breite, im 16. Jh. als »Großer Stock« bezeichnete Palas, der über zwei Stuben verfügte (1364: in stupa superiori) und im ausgehenden MA aufgehöht und mit einem Zinnenkranz versehen wurde. Bergfried und Palas umgab eine etwa 120 m lange und in ihrem im 16. Jh. nicht verbauten, aufgehenden Teilstück 10 m hohe Ringmauer. Aus der Entstehungszeit stammen auch der den Burgweg sichernde Vorturm (»Pfaffeneck«) und die an die Südostecke der Ringmauer gesetzte, im 14. Jh. eingewölbte zweischiffige alte Burgkapelle, die dem Hl. Nikolaus von Myra geweiht war (im 16. Jh. profaniert, 1960 neu geweiht). Erst 1334 wurde sie von Bf. Ulrich V. von Chur geweiht und mit einem Ablaß versehen, 1388 erfolgte eine Neuweihe durch den Churer Weihbf. Von den heute vorhandenen Ausstattungsstücken der Kapelle sind zu erwähnen eine um 1270 entstandene spätromanische Madonnenskulptur, v.a. aber ein um 1415/20 entstandenes Klappretabel, ein Diptychon mit Szenen aus der Herrenpassion (Innenseite), das Elisabeth von → Matsch (gest. 1446) und ihr Mann Gf. Friedrich VII. von → Toggenburg (gest. 1436) nach C. stifteten. In der Nähe des alten Burgtores, das im Bereich des heutigen Hinteren Tores zu vermuten ist, befand sich auch die zweigeschossige alte Rüst- und Harnischkammer. Die C.er Rüstungen- und Waffensammlung ist bei allen Verlusten (v.a. zu Beginn des 19. Jh.s) in seltener Vollständigkeit auf uns gekommen. Von den Stücken aus → Matscher Zeit seien erwähnt: ein um die Mitte des 14. Jh.s gefertigtes Zimier (Hörner) aus Rindsleder, ein für Vogt Ulrich IV. von → Matsch (gest. 1402) um 1360/70 u. a. vom Mailänder Plattner Petraiolo Negroni da Ello gen. Missaglia gearbeiteter Harnisch (Hundsgugel mit Absteckvisier, Bruststück, Armzeug und Handschuhe), der Mitte des 15. Jh.s von Antonio Missaglia, Innocenzo da Faerno und Giovanni Negroni in Mailand hergestellte hünenhafte Harnisch (über 2 m) für Ulrich IX. von → Matsch (gest. 1480/81), der um 1445/50 ebenfalls in Mailand von Tommaso Negroni gefertigte, aber erst im 20. Jh. in die C.er Sammlung gekommene Feldharnisch des Galeazzo von Arco (gest. 1482) und eine vom Innsbrucker Plattner Jörg Wagner um 1480/85 getriebene sog. Deutsche Schaller für Gaudenz von → Matsch (gest. 1504).

Die heutige Gestalt der C., die zu den besterhaltenen Burganlagen im Tirolischen zählt, ist das Ergebnis eines umfassenden, mehrphasigen Um- und Ausbaus zwischen etwa 1510 und 1580 im Stile der spätesten Gotik, v.a. aber – nach den Vorbildern Castel del Buonconsiglio und Ambras – der Renaissance und des Manierismus unter den Nachfolgern der → Matscher, den nachmaligen Frh.en und Gf.en Trapp.

Quellen

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