Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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MATSCH

B. Matsch

I.

Das Tal M., ein linkes Seitental des Obervinschgaus, bildete seit dem 12. Jh. eine Eigenherrschaft der hochfreien Herren und Vögte von M., die hier mit den Burgen Oberm. und Unterm. ihre namengebenden Sitze errichteten, wobei Oberm. stets Eigenburg blieb, während Unterm. ab der Mitte des 14. Jh.s tirolisches Lehen war. Die Herrschaft M. umfaßte die ganze Talschaft vom Hochkreuz (1297: innerhalb Crutzis) in der Flur Zanezza einwärts bis zum Talschluß, nicht aber die wichtige Res. → Churburg am Ausgang des Tales über Schluderns, die im Landgericht Glurns lag.

Die Vögte von M. gehörten zur Gruppe der rätischen nobiles (Hochfreien), deren Stellung im 12. Jh. u. a. wahrscheinlich auf ehem. Reichsgut und auf Reichsrechten fußte. Darauf verweisen etwa der Besitz von Erz- und Eisenadern im Puschlav (Val Poschiavo) und in Valder (Val da Fuorn, Zernez). 1347 sprechen Ulrich III. (gest. 1366/67), Johann I. (gest. ca. 1358) und Hartwig III. (gest. 1360) von M. in Zusammenhang mit letzteren für das Gebiet zwischen Ofenpaß und Zernez explizit von ihrer »Gft.« (von dem joh Júfell hinwert gein Zarnetz, as verr vnd vnser grafschaft raiht).

Im Bereich der alten Gft. Vinschgau, dem Raum Unterengadin – Münstertal – Vinschgau, beanspruchten die Gft.srechte die Tiroler Gf.en, der umfangr. Immunitätsbesitz des Churer Bf.s war jedoch der Gerichtsherrschaft der Gf.en entzogen und unterlag der Vogtei der Herren von M., die diese als (erbliches) Churer Lehen innehatten. Im Vergleich mit ihren umfangr. Vogteirechten war der Eigenbesitz der M.er eher zweitrangig, konzentrierte sich zum einen im Unterengadin, hier v.a. in Schuls, Tarasp und Ardez, größere Besitzkomplexe der Vögte gab es noch in Algund und Passeier und eben in M., wo sie u. a. über zwölf Schwaighöfe und über Eigenleute verfügten. Hier besaßen sie den größten Teil des Bodens; Grund- und Leibherrschaft, Immunität und Vogtei über die churischen Gotteshausleute bildeten die Grundlage für die Gerichtsherrschaft über M., für das ein eigenes Gericht (mit Sitz auf der Burg Oberm.) erstmals 1297 belegt ist. Die Gerichtsrechte in M. bezogen sich zunächst auf die niederen Fälle, die mehrfach beanspruchte und – widerrechtlich – wohl auch geübte Blutgerichtsbarkeit wurde freilich erst Vogt Gaudenz (gest. 1504) im Juli 1498 von Kg. Maximilian zugestanden; aber bereits 1393 mußten sich Vogt Ulrich IV. (gest. 1402) und seine Söhne Ulrich V. (gest. 1396) und Johann II. (gest. 1397) den habsburgischen Landesherrn gegenüber verpflichten, Galgen und Schranne abzutun bis zum Beweis, daß sie die hohe Gerichtsbarkeit zu Recht innehaben. Zu den Zuständigkeiten des Gerichtes M. gehörte der äußere aigenstab, d.h. die Gerichtsbarkeit über die in den Gerichten Glurns, Schlanders und Nauders sitzenden Eigenleute der Vögte.

Seit 1349/51 gehörten die Vögte von M. zwar zum Tiroler Lehnverband, aber auch als Landsassen konnten sie in M. Eigenrechte wahren, womit das Tal einen von Landesherr und Landschaft respektierten bzw. tolerierten exemten Bezirk bildete: Gericht, Regalien, Steuer- und Mannschaftsrecht standen nach wie vor und bis zu deren Erlöschen 1504 den Vögten zu. Daran versuchten die Erben der M.er, die Herren (seit 1605 Frh.en, seit 1655 Gf.en) von Trapp, im 16. Jh. gegen den wachsenden Druck des Landesherrn anzuknüpfen, um ihr über M. beanspruchtes imperium merum et mixtum zu legitimieren – letzlich freilich vergebens: Zwar erwähnt Franz Adam Gf. Brandis (gest. 1695) in seinem Ehren-Kraͤntzel noch 1678 die freye Graffschafft Maͤtsch, 1605 findet sich das Gericht (tal Mätsch) allerdings erstmals im Anschlag der tirolischen Zuzugsordnung, ab 1783 schließlich galt auch hier das tirolische Grundsteuer- und Katastersystem.

Reichsrechtlich relevant für die Vögte waren neben der Herrschaft M. die seit 1366 zeitw. innegehabte, 1459 aber endgültig wieder abgegebene schwäbische Gft. → Kirchberg-Kirchberg und v.a. die nur von Mitte 1471 bis Ende 1477 währende Herrschaft über die zum Teil Reichslehen umfassenden Sechs (Acht) Gerichte in Nordrätien. Der ab 1366 (und bis 1504) geführte Titel »Vogt von M., Gf. zu → Kirchberg« wurde im 15. Jh. gelegentlich zu einem »Gf. von M.« verkürzt und das Gericht M. dementsprechend fallweise als »Gft.« bezeichnet. Beim Regensburger Reichstag von 1471 taucht Gaudenz in der Teilnehmerliste als grave von Metsch nach den Bf.en von Trient und Brixen als Erstgereihter der weltlichen Entourage Hzg. Sigmunds mit sieben Pferden auf, bei der Aufzählung der Teilnehmer bei Beendigung des Tages im Aug. 1471 wird comes Metschensis vor dem Gf.en von → Tübingen als vorletzter der Gruppe der comites gen., die als post principes primi in honore bezeichnet werden. Bei dem Mitte Juli 1471 erstellten Anschlag über 10 000 Mann für ein Heer zum Feldzug gegen die Türken wird der von Metsch (gemeint ist wohl Gaudenz' Vater Ulrich IX.) in der Gruppe der Herren und Gf.en mit einem Reiter und zwei Fußknechten veranschlagt. Bei den Reichsanschlägen von 1486 (Frankfurt) und 1495 (Worms) findet sich Gaudenz von M. in der Matrikel. Im Kölner Anschlag von 1505, also unmittelbar nach Aussterben der M.er, wird Erhard von → Polheim, der zunächst konkurrierend mit den Trapp das M.er Erbe angetreten hatte, mit der gft. Metsch angeführt und mit drei Fußknechten veranschlagt. Selbst in der Wormser Matrikel von 1521 wird M. noch als Relikt geführt, ohne daß damit eine tatsächliche Reichsunmittelbarkeit verbunden gewesen wäre.

Quellen

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