Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Festliche Anlässe und Festformen

Jahreslauf (Jahrtage, Gedenken an die Vorfahren)

Der Rhythmus der Feiern im Laufe des Jahreszyklus war in erster Linie vom kirchl. Kalender bestimmt. Fast ein Drittel des Jahres bestand aus Festen, und erst die Reformation minderte die Zahl der Feiertage wesentlich. Jeder fromme Fs. mußte die kirchl. Feste an seinem Hof feiern lassen. Die Feste des Kirchenjahres wurden mit feierl. Messen, aber auch öfters mit nachfolgenden Festmahlen begangen. Was die Hochfeste Ostern, Pfingsten und Weihnachten angeht, bestimmten sie Termine für wichtige polit. Entscheidungen und Ereignisse, seien es etwa Krönungen, Fürstenversammlungen usw. Das kirchl. Hochfest wurde zum Rahmen und Hintergrund vieler polit. Angelegenheiten. Kein Zufall, daß die ma. Chronisten sorgfältig festhielten, an welchem Ort der Herrscher dieses Jahr Ostern oder Weihnachten feierte. Die Anwesenheit des Fs.en und seines Hofes beim Gottesdienst steigerte die Pracht sowohl der kirchl. Feierlichkeit als auch der Herrscherrepräsentation. Das Kirchenfest gab dem Fs.en gute Gelegenheit, einerseits seine Frömmigkeit und christl. Demut, anderseits seine Herrschaftsansprüche öffentl. zu demonstrieren. Dem letzten Zweck diente der seit Karl IV. dokumentierte Brauch, daß der Ks. (Kg.) in den Matutinen an Weihnachten in vollem Ornat und mit bloßem Schwert in der Hand einen Vers im Lucas-Evangelium alte voce las. Dieser Vers Exiit edictum a cesare Augusto, ut discreberetur universus orbis (ein Gebot von dem Ks. Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde) präsentierte den Ks. als den Nachfolger des Augustus (Heimpel 1982, Heimpel 1983).

Zu einigen Kirchenfeiern gehörten auch die Prozessionen, wie v. a. am Fronleichnamstag. Auch an ihnen nahmen die Fs.en gern teil, wie z. B. 1500 in Augsburg während eines Reichstages (Schmugge 1987, S. 72). Bei einigen Kirchenfesten war es üblich, Essen und Wein unter den Armen zu verteilen. An vielen Höfen feierte man mit Festmählern und gelegentl. Turnieren den 1. Jan., obwohl gerade diese Praxis in den Augen der Kirchenväter eher bedenkl. war. Zum Feiern an diesem Tag gehörte auch die gegenseitige Beschenkung (Hirschbiegel 2003, S. 37-69) und die Geldvergabe unter den Höflingen und dem Hofpersonal. Anlaß für ein Fest, etwa ein Turnier, konnte durchaus noch Fastnacht geben. Außerdem feierte man Geburts- und Namenstage der Mitglieder der fsl. Familie. So beging man den fünfzigsten Geburtstag von Hzg. Johann Friedrich von Württemberg 1597 in Tübingen mit Ringreiten (einer späteren Turnierform) und achtstimmigem Lobgesang. Die Trauerfeierlichkeiten, welche noch vor dem Begräbnis eines verstorbenen Fs.en begannen, erreichten ihren Höhepunkt üblicherweise am »Dreißigsten« (dieser Tag mußte übrigens nicht unbedingt tatsächl. der dreißigste nach dem Tod oder der Bestattung gewesen sein; so hat der dreyssigste für Ks. Friedrich III. in Wien 1493 erst dreieinhalb Monate nach seinem Tode stattgefunden). Der Dreißigste eröffnete die Reihe der Erinnerungsfeiern, welche jährl. am Sterbe- oder Begräbnistag stattfinden mußten. Sie bestanden v. a. aus Trauermessen, gelegentl. auch Prozessionen. In einigen Fällen veranstaltete man an einem solchen Tag auch ein Turnier. Die Gedächtnismessen wurden nicht nur in der Res. selbst (etwa in der Schloßkapelle) gefeiert. Zum Hauptträger der entspr. Feierlichkeiten wurden normalerweise Kirchen und Kl., welche von der fsl. Familie bes. favorisiert wurden. Sowohl die Dreißigsten als auch die Anniversarfeiern sind außerdem in den Kirchen der Städte des Fsm.s gefeiert worden. Solche Erinnerungsfeiern konnten aber auch sehr weit entfernt vom Sterbe- bzw. Begräbnisort begangen werden. So wurden die Exequien für Ks. Karl V. nicht nur in Brüssel, Augsburg und Bologna (Aurhammer und Däuble 1983), sondern selbst im entfernten Mexiko (Die Totenfeiern, 1980) 1558-59 veranstaltet.

Die reguläre jährl. Seelmesse mußte der Fs. selbst rechtzeitig durch Gaben an Kirchen und Kl., sowie durch eigene Stiftungen absichern, wobei die Erweiterung der Gebetshilfe durch zusätzl. Beschenkungen von Verwandten des Verstorbenen durchaus mögl. war. Die Gedächtnismessen konnten ohne weiteres ohne Mitglieder der fsl. Familie gesungen werden, ihre Präsenz steigerte aber die Feierlichkeit des Gottesdienstes wesentl. Man rechnete mit ihr v. a. bei dem ersten Jahrgedächtnis, welches das familienbezogenen Trauerjahr beendete. Der Ablauf solcher Memorialfeiern konnte die »echte« Bestattungszeremonie oder den Dreißigsten weitgehend nachahmen. Um das Grab standen Kerzen, es selbst wurde mit dem teueren Tuch wie ein Sarg bedeckt. Falls die Grabplatte eine plast. Darstellung des Begrabenen trug, mußten die Konturen dieser Figur unter dem Tuch deutlich erkennbar werden, was zu einer realist. Illusion geführt haben dürfte, als ob die schon längst begrabene Leiche wieder präsent wäre.

→ vgl. auch Farbtafel 10; Abb. 144, 147, 148, 150, 151, 172, 258

Quellen

Als der […] Fürst und Herr, Herr Johann Casimir, Hertzog zu Sachsen […] Bey den zu Leipzig nachwärenden Evangelischen Churfl. Fürstl. und anderer Reichs- Stände Versammlung seinem Fürstlichen NamensTag begienge, Leipzig 1631. – Bojcov, Michail: Pogrebenie imperatora Fridricha III v 1493 g. [Begräbnis Kaiser Friedrichs III. 1493], in: Srednie veka 61 (2000) S. 254-289.

Aurhammer, Achim/Däuble, Friedrich: Die Exequien für Kaiser Karl V. in Augsburg, Brüssel und Bologna, in: Studien zur Thematik des Todes im 16. Jahrhundert, hg. von Paul Richard Blum, Wolfenbüttel 1983 (Wolfenbütteler Forschungen, 22), S. 141-190. – Heimpel, Hermann: Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Tradition als historische Kraft. Festschrift Karl Hauck zum 75. Geburtstag, hg. von Norbert Kamp und Joachim Wollasch, Berlin u. a. 1982, S. 388-411. – Heimpel, Hermann: Königlicher Weihnachtsdienst im späten Mittelalter, in: DA 39 (1983) S. 131-206. – Hirschbiegel, Jan: Étrennes. Untersuchung zum höfischen Geschenkverkehr im spätmittelalterlichen Frankreich der Zeit König Karls IV. (1380-1422), München 2003 (Pariser Historische Studien, 60). - Schmugge, Ludwig: Feste feiern wie sie fallen – Das Fest als Lebensrythmus im Mittelalter, in: Stadt und Fest: Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, hg. von Paul Hugger, Stuttgart 1987, S. 61-87. – Die Totenfeiern für Kaiser Karl V. in Augsburg und Mexiko, in: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock, Bd. 2, Augsburg 1980, S. 541-543 (Nr. 959-961).