Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Turm

Torturm

Der Torturm bildet eine recht häufig gewählte Form des Schloßtors. Dieses markiert den Hauptzugang in den engeren Bereich einer Res. Abgesehen von kleineren Nebenzugängen wie etwa Ausfallpforten führt in der Regel kein anderer Weg ins Schloß hinein. Diesem Rang entspricht auch meist die architekton. und ikonograph. Ausstattung, die einerseits wehrhaft und andererseits repräsentativ erscheint. Hierzu tragen sowohl architekton. Elemente bei, die unverkennbar der Wehrarchitektur entlehnt sind, als auch Dekorum, Bildwerke und herald. Zeichen, die das Schloßtor als Schwelle zw. inner- und außerhöf. Bereich kennzeichnen. Dabei ist es zunächst nicht weiter von Belang, in welchen architekton. Kontext das Schloßtor eingebunden ist. Unabhängig davon, ob es als schlichte Durchfahrt durch einen Schloßflügel, als eigenständiges Torhaus oder als hochaufragender Torturm ausgebildet ist, kann es allein durch die ikonograph. Ausstattung seine grenzziehende Funktion nach außen sichtbar werden lassen.

Dennoch besaß die Wahl eines Torturms, der auch einfach nur durch einen Turmaufsatz auf einem Schloßflügel angedeutet werden konnte, auch im Residenzenbau der frühen Neuzeit Priorität, vermochte doch bereits seine baul. Gestalt zeichenhaft Distanz zu schaffen. So erhielt noch Anfang des 17. Jh.s das fränk., bei Scheinfeld gelegene Schloß Schwarzenberg (Farbtafel 105) einen neuen, hochaufragenden Torturm, der in seiner Gestalt und Proportion sowie seinem bossierten Mauerwerk wie ein altertüml. Wachtturm vor dem Schloß steht. Ein in seiner Zeit exponiertes und mit seinem ikonograph. Programm singuläres Beispiel verkörperte bis zu seinem Abbruch der als »Wappenturm« titulierte Torturm der Innsbrucker Res. (1494-96): Dieser mächtige, von vier Ecktürmchen flankierte Torbau, der zugl. auch die Funktion eines Stadttores ausübte, zeigte auf der Außenwand oberhalb der Durchfahrt in drei Reihen die Habsburger Wappen, die von den Wappen Maximilians I. und seiner Ehefrau, Maria von Burgund abgeschlossen wurden. Unmittelbar darüber bot eine Scheinarchitektur aus Altan, dahinter liegendem kielbogenbekröntem Maßwerkfenster und seitl. Baldachinen, die mit Porträts der Herrscherfamilie ausgestattet waren, die Möglichkeit zur permanenten herrschaftl. Repräsentation. Daß dieser Altan die zivile, bildhafte Umdeutung eines ursprgl. milit. genutzten Wurferkers verkörpert, bleibt heutigen Betrachtern allerdings verborgen. Häufig wird die distanzschaffende Funktion zusätzl. durch Graben und Zugbrücke unterstrichen, die gleichzeitig wieder daran erinnern, daß der Torturm bis zur Errichtung befestigter Wallanlagen ursprgl. ein Element des Wehrbaus gewesen ist.

Unter den reichsfsl. Schlössern besaßen bzw. besitzen bspw. die Albrechtsburg in Meißen, die Moritzburg in Halle (Farbtafel 106), die anhalt. Schlösser Bernburg und Köthen sowie das Dresdner Schloß hochaufragende Tortürme, die durch Gräben und Zugbrücken zusätzl. gesichert waren. Mit Turmaufsätzen müssen sich hingegen die kastellartigen Schlösser von Augustusburg, Schmalkalden oder Aschaffenburg begnügen, da ihre Tore unmittelbar in die Schloßflügel integriert sind. Doch auch zu diesen Schloßtoren gehörten ursprgl. Gräben und Zugbrücken als weitere Ausstattungsmerkmale.

Daß diese Sicherungsmöglichkeit im höf. Alltagsleben neben der bereits angesprochenen symbol. Funktion v. a. der Kontrolle des Publikumsverkehrs und der Aufrechthaltung der höf. Ordnung diente, belegen anschaul. und durchaus amüsant die Hofordnungstexte für den Torwärterdienst. In ihnen wird das Schloßtor als wichtigstes baul. Element für die alltägl. Aufrechterhaltung eines streng regulierten Zu- und Abgangs in den Bereich der Hofhaltung und für die Grenzziehung des Burgfriedens charakterisiert und damit zugleich als Sinnbild für die Exklusivität des Hofes und die Unantastbarkeit seiner Ordnungsstruktur definiert. Bes. das Auf- und Zuschließen des Tores (gelegentl. verbunden mit dem Hochziehen und Herunterlassen der Zugbrücke) während der gemeinsamen Mahlzeiten und Gottesdienste und die anschließende Abgabe der Torschlüssel beim Schloßherrn oder seinem Hofmarschall bildeten Handlungen mit starkem Symbolgehalt, in denen die Semantik der Torarchitektur ihre anschaul. Ergänzung fand. In dieses Bild fügt sich auch der durchgängig geäußerte Wunsch, neben der durchaus fürsorgl. Kontrolle über die am Hof lebenden Menschen auch die Kontrolle über die mobilen Gegenstände und Sachen einer Hofhaltung zu behalten: Die dringl. Mahnung an den Torwächter, darauf zu achten, daß ein jeder [sich] des abtragens an Speise, auch Schußeln, trinckgeschirr oder anders gentzlich enthalten möge, verweist auf die spezif. Sorgen nicht nur frühneuzeitl. Schloßherrn.

Die genannten symbol. und funktionalen Aufgaben des Schloßtors werden eindrucksvoll überhöht vom Gebot der Friedenssicherung im Bereich der Hofhaltung. Hierfür war der sog. Haus- und Burgfrieden maßgebl. Der Frieden einer Burg bzw. eines Schlosses begann am äußersten Tor: Das Tor war gleichsam Rechtssymbol der intakten Burg. So waren die Adressaten des Schloßtors und seines jeweiligen architekton. Erscheinungsbildes weniger gelegentl. feindl. Belagerer als vielmehr die alltägl. Benutzer des Schlosses: Hofangehörige und Besucher. Ihnen sollte das Schloßtor – nicht zuletzt in der Form des Torturms – als Sinnbild für die ordnungspolit. und jurist. Aspekte einer herrschaftl. Hofhaltung und die hier unumschränkte (Schlüssel-) Gewalt des Schloßherrn dienen.

Die zur Schau getragene Wehrhaftigkeit des Schloßtors (bes. in der Form des Torturms) muß daher v. a. als architekton. Bild fsl. Justitia aufgefaßt werden. Wenn dabei bevorzugt die Form des Torturmes gewählt wurde, so geschah dies v. a. unter Berücksichtigung der mit ihr behafteten Bedeutungsmuster. Diese ließen bes. den Turm zur symbol. Form für herrschaftl. Gerichtsbarkeit, Wehrhaftigkeit und die hiermit verbundene Tugend der Fortitudo werden, weshalb es nahe liegt, die wehrhafte Schloßarchitektur generell stärker als bisher aus dem Blickwinkel spätma. und frühneuzeitl. Rechtlichkeit zu betrachten.

→ vgl. auch Abb.176

Maurer, Hans-Martin: Rechtsverhältnisse der hochmittelalterlichen Adelsburg vornehmlich in Südwestdeutschland, in: Die rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Burgen im deutschen Sprachraum, hg. von Hans Patze, 2 Bde., Sigmaringen 1976 (VuF, 19), S. 77-190. – Müller 2004. – Popp, Dietmar: Das Skulpturenprogramm des Schloßportals in Brieg/Schlesien (um 1550-1556). Zur Selbstdarstellung eines Fürsten im Spannungsfeld der territorial-politischen Interessen der Großmächte Mitteleuropas, in: Bildnis, Fürst und Territorium, München u. a. 2000 (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur, 2), S. 111-125. – Schütte 1994. – Werkner, Patrick: Der Wappenturm Maximilians I. in Innsbruck, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 34 (1981) S. 101-113.