Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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ANSICHTEN, PLÄNE UND MODELLE

A.

Bildliche Quellen, die zuverlässig Auskunft geben über die architektonischen Verhältnisse und räumlichen Strukturen deutscher Residenzanlagen, d. h. der fürstlichen Schlösser und ihrer Pertinenzien in der näheren und weiteren Umgebung des Herrschaftsmittelpunktes, sind rar vor der Mitte des 16. Jahrhunderts. Frühe Stadtansichten geben erste, noch tastende Proben topographischer Genauigkeit und können nur selten zur Rekonstruktion des tatsächlichen Erscheinungsbildes herangezogen werden. Neben denen der Schedelschen Weltchronik (›Liber Chronicarum‹, 1493, siehe unten B.I. mit Abb. 1) oder dem Nürnbergprospekt von H. Wurm (1520) mit der dortigen Kaiserburg sei hier vor allem die aus Anlaß der Krönung (→ Feste zu besonderen Anlässen – Krönung) Maximilians II. zum König von Böhmen von Jan Kozel und Michael Peterle geschaffene große Prager Panoramavedute von 1562 genannt (Kozák, Szkyuła, Prag).

Sieht man von Albrecht Dürers frühen Aquarellen der Innsbrucker Erzherzogsburg, die bereits während seiner ersten Italienreise 1494/95 entstanden, einmal ab, so war es insbesondere Lucas Cranach d. Ä., der die Schlösser seiner Auftraggeber präziser »portraitierte«. Um 1540/45 hielt er etwa minutiös die unmittelbar zuvor fertiggestellte Elbfront des kursächsischen Torgauer Schlosses Hartenfels in mehreren Gemälden fest (z. B. Madrid, Prado; Hoppe, Struktur des frühen Schloßbaus, Abb. 31), die im Vordergrund detailreich Jagden wiedergeben. 1542 hatte er in einem Holzschnitt das Schloß Wolfenbüttel während der Beschießung und Teilzerstörung im Vorfeld des Schmalkaldischen Krieges dokumentiert (siehe unten B.II. mit Abb. 2). Eine Tierhatz in Anlehnung an die Cranach-Bilder zeigt auch ein Buntmarmor-Relief in der Tafelstube des von Ottheinrich von der Pfalz-Neuburg errichteten Jagdschlosses Grünau, wobei dort das soeben neu erbaute nahe Residenzschloß Neuburg den Bildhintergrund einnimmt. Die Schlösser bleiben allerdings weitgehend Staffagemotive, die noch klein und eher diskret auf ihren Bauherrn hinweisen. Autonome Ansichten, die die architektonische Gestalt der Residenz in den Vordergrund rücken, finden hingegen erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreicher Verbreitung. Gerne treten nun einzelne Fassadenabschnitte als Kulisse von Festlichkeiten in Erscheinung, wie es etwa die Feuerwerksdarstellungen vor den Schlössern von Düsseldorf (1585), Berlin (1591) oder Küstrin (1596) zeigen (Schütte, Wehranlage, Abb. 76, 191 und 80). Aufzüge und Ringrennen aus Anlaß der Taufe (→ Feste im Lebenslauf – Geburt und Taufe) Sigismunds von Brandenburg waren 1592 vor der zur Stechbahn gewandten Hauptfassade des kurfürstlichen Berliner Schlosses bildwürdiges Thema (siehe unten B.III. mit Abb. 3). Ein Vogelschießen am Stuttgarter Lustgarten war Anlaß, die nähere Umgebung, also den formalen Renaissancegarten, das darin ab 1584 neu errichtete Große Lusthaus und das Schloß im Hintergrund, präzise festzuhalten (Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. 1913.63).

Wiederholt kam es auch zu Darstellungen von Festbanketten, die insbesondere einen Einblick in die repräsentativen Säle der Schlösser gewährten, so etwa im Falle der Münchner Neuveste, wo der unter Herzog Albrecht V. (reg. 1550-79) neu eingerichtete Georgssaal während der Hochzeitsfeierlichkeiten (→ Feste im Lebenslauf – Hochzeit) anläßlich der Eheschließung seines Sohnes Wilhelm (V.) mit Renata von Lothringen am 22. Februar 1568 Gegenstand einer Radierung von Nikolaus Solis war (Langer, Möbel, 69), oder im Stuttgarter Schloß, dessen ebenfalls mit einer Kassettendecke versehener Festsaal 1579 von Christoph Friedel d. Ä. in einer Zeichnung überliefert ist (Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Inv.Nr. Z 259). Eine Rötelzeichnung aus dem Jahre 1620 gibt eine Vorstellung von dem über zwei Geschosse reichenden, riesigen Festsaal mit umlaufender Empore des sog. Neuen Baues der Stuttgarter Residenz, der 1599/1600 nach Plänen von Heinrich Schickhardt entstand und zwischen 1779 und 1782 niedergelegt wurde (Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Inv.Nr. 1954/353).

Auch Pläne, in der Regel Grundrisse, sind aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur ausnahmsweise überliefert, so etwa ein Entwurf für den Saalbau des Dessauer Schlosses (Johannbau), der um 1530 datiert werden kann (Hoppe, Struktur des frühen Schloßbaus, Abb. 66). 1555 skizzierte Erzherzog Ferdinand II. von Tirol einen geometrischen Grundriß für sein sechsstrahliges Jagdschloß Stern am Weißen Berg bei Prag, eine der frühesten fürstlichen Dilettantenzeichnungen, die sich in Deutschland zur residentiellen Architektur erhalten hat (siehe unten B.IV. mit Abb. 4). Einer idealen Zentralbauplanung ist auch Paul Buchners sauber angelegter Grundriß der Augustusburg zuzurechnen, der um 1570 entstanden sein dürfte (Hoppe, Struktur des frühen Schloßbaus, Abb. 60). Die beiden letzteren resultieren aus der Kenntnis einer rasch zunehmenden Anzahl von gedruckten und bald in die einzelnen Nationalsprachen übertragenen Architekturtraktaten, Anthologien und Musterbüchern, in denen systematisch Bauaufgaben und Dekorformen vorgestellt wurden (Serlio, Regole Generali […], 1537ff.; Palladio, Quattro libri, 1570; J. A. du Cerceau, Livre d'Architecture, 1559 und 1561; J. A. du Cerceau, Les Plus Excellents Batiments de France, 1576 und 1579 und andere mehr). Diese Schriften beförderten maßgeblich die zeichnerische Kultur und den architekturtheoretischen Diskurs an den Fürstenhöfen, die in ihren Bibliotheken die neue Literaturgattung sogleich eifrig zu sammeln begannen.

Um die Jahrhundertmitte tauchen – wie zuvor schon in Italien und Frankreich (z. B. Florenz, Palazzo Strozzi, um 1489; Chambord, um 1519) – zusätzlich erste Holzmodelle in maßstäblichen Proportionen auf, zunächst wiederum am Hof der Wettiner, der auch nach dem Machtwechsel an die albertinische Linie seine führende Stellung in architekturgeschichtlicher Hinsicht behaupten sollte. Anscheinend bereits um 1535 war in Dresden ein erstes Holzmodell realisiert worden, das, in seine einzelnen Geschosse zerlegbar, den mittelalterlichen Bauzustand des Stadtschlosses mit den nach einem Schadenfeuer von 1530 vorgenommenen Reparaturen zeigte (Reuther, Berckenhagen, Architekturmodelle, Kat.Nr. 121). Für das ab 1548 von Moritz von Sachsen erneuerte Dresdner Stadtschloß hatte sich zudem ein zweites Modell erhalten (Reuther, Berckenhagen, Architekturmodelle, Kat.Nr. 122), angefertigt um 1580 ebenfalls von Paul Buchner (1531-1607), dem kurfürstlichen »Schraubenmacher« und Baumeister. Beide Modelle sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Noch heute kann hingegen das jüngere Modell des Jagdschlosses Moritzburg, das wohl für einen ersten Umbau kurz vor 1600 entstand, eine mustergültige Vorstellung einer solchen dreidimensionalen Visualisierung geben (Kadatz, Renaissancebaukunst, S. 150-151; Reuther, Berckenhagen, Architekturmodelle, Kat.Nr. 242). Verloren ist leider auch das Holzmodell des Stuttgarter sog. Neuen Baues (1599/1600, siehe oben) von Heinrich Schickhardt (1558-1635), das in der im Obergeschoß dieses selbständigen Gebäudes untergebrachten herzoglichen Kunstkammer aufbewahrt wurde. Auch der am mecklenburgischen Hof Ulrichs III. (reg. 1556-1603) tätige Utrechter Baumeister Philipp Brandin hat nachweislich Architekturmodelle für seine Auftraggeber angefertigt, so 1588 für den dänischen König Friedrich II. (Schloß Nykøbing/Falster).

Gesondert hervorzuheben sind auch die großen Stadtmodelle der wittelbachischen Residenzen München, Landshut, Ingolstadt, Straubing und Burghausen, die auf Geheiß Albrechts V. von dem Drechslermeister Jakob Sandtner zwischen 1568 und 1570 für die herzogliche Kunstkammer angefertigt wurden und heute im Bayerischen Nationalmuseum zu betrachten sind (zum Beispiel Ingolstadt siehe unten B.V. mit Abb. 5). Ihre staunenswerte Detailtreue läßt sie neben die nahezu gleichzeitig aufgelegten Städteansichten in den sechs Bänden der ›Civitates orbis terrarum‹ des Kölner Pfarrers und Verlegers Georg Braun (1540-1622) treten, der ab 1572 eine richtungweisende Kosmographie edierte, die – von führenden Zeichnern und Kupferstechern illustriert – eine unerschöpfliche Bildquelle für die Kenntnis frühneuzeitlicher Residenzstädte ist. Matthäus Merian d. Ä. (1593-1650) sollte ab 1635 mit den insgesamt 21 Bänden des ›Theatrum europaeum‹ diese bemerkenswerte Produktion noch vervielfachen.

Einzelne, in ihrer Zeit besonders spektakuläre Bauwerke und Außenanlagen erfuhren erhöhte Beachtung, so das zwischen 1605 und 1616 von Georg Ridinger entworfene neue kurmainzische Residenzschloß in Aschaffenburg, das der Baumeister selbst in einer Stichserie unter dem Titel ›Architectur Des Maintzischen Churfürstlichen neuen Schlossbawes St. Johannspurg zu Aschaffenburg‹ der interessierten Öffentlichkeit vorstellte (Ridinger, Architectur). 1620 brachte der Schöpfer des von Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, dem »Winterkönig«, in Auftrag gegebenen neuen Heidelberger Schloßgartens, der aus England berufene französische Ingenieur und Gartenarchitekt Salomon de Caus, ein Ansichtenwerk heraus (›Hortus palatinus a Friderico rege Boemiae, electore Palatino Heidelbergae exstructus‹), das mit Stichen von Wenzel Hollar (1607-77) aufwartete und bald großen Einfluß auf die fürstliche Gartenkunst des beginnenden Barockzeitalters auslöste (De Caus, Hortus Palatinus). Für Hessen und Sachsen ist der Baumeister, Zeichner und Kupferstecher Wilhelm Dilich (1571-1650) zu nennen, dem zahlreiche Veduten von Burgen, Schlössern und Städten verdankt werden, die vor allem in seinem 1591 erschienenen Band ›Synopsis descriptionis totius Hassiae tribus libris comprehensae‹ sowie in seiner ›Hessischen Chronica‹ von 1605 versammelt sind.

Präzise kartographische Darstellungen, die seit Philipp Apians 1556-61 im Auftrag Wilhelms V. erfolgter Landvermessung des Herzogtums Bayern einen hohen Standard erreicht hatten (Oehme, Entwicklung), enthielten gelegentlich ebenfalls zuverlässige Ansichten der Residenzstädte und ihrer wichtigen Baulichkeiten. Zu erwähnen wäre hier die Landtafel des Stuttgarter Amtes (Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Inv.Nr. E 750) von Hans Steiner nach Georg Gadner, die 1589 eine exakte Wiedergabe des herzoglichen Schlosses und Lustgartens bereithält.

Einige der in der Zeichenkunst besonders talentierten Fürsten versuchten schließlich eigene Entwürfe für Schlösser, Gärten und Festungsanlagen beizusteuern (Lippmann, Fürst als Architekt). Von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol war bereits die Rede; zahlreiche Blätter sind von der Hand des hessischen Landgrafen Moritz erhalten geblieben (Helm, Bauprojekte; Hanschke, Architekturzeichnungen; siehe unten B.VI. mit Abb. 6). Auch Pfalzgraf Johann Casimir von Zweibrücken griff um 1620 zeichnend in den Planungsprozeß seines letztlich nie von ihm bezogenen Schlosses Catharinenburg bei Birlenbach im Elsaß ein (Châtelet-Lange, Catharinenburg). Viele seiner Standesgenossen sollten es in der Folgezeit ihm gleichtun.

B.

I. Das ungarische Residenzschloß von Buda zu Ende des 15. Jahrhunderts

→ Abb. 1

II. Das Schloß Wolfenbüttel während der Belagerung durch den Schmalkaldischen Bund, 1542

→ Abb. 2

III. Das Kurfürstliche Berliner Schloß Joachims II. von Brandenburg. Aufzüge und Ringrennen auf der Stechbahn anläßlich der Taufe (→ Feste im Lebenslauf – Geburt und Taufe) Markgraf Sigismunds von Brandenburg, 1592

→ Abb. 3

IV. Schloß Stern bei Prag. Querschnitt und Grundriß des ersten Obergeschosses, 1555/56

→ Abb. 4

V. Die wittelsbachische Residenzstadt Ingolstadt, 1573

→ Abb. 5

VI. Schloß Rotenburg an der Fulda, um 1616

→ Abb. 6

C.

Quellen

Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. 1913.63. – Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Inv.Nr. Z 259. – Georg Ridinger, Architectur Des Maintzischen Churfürstlichen neuen Schlossbawes St. Johannspurg zu Aschaffenburg […], Mainz 1616. – Hartmann Schedel, Liber Chronicarum, Nürnberg 1493. – Hessisches Staatsarchiv Marburg, C 106. – Jacob Francus, Historicae relationis continuatio, Frankfurt am Main 1593. – Prag 1562. Das Prager Stadtpanorama aus dem Jahre 1562 von Jan Kozel und Michael Peterle nach dem Exemplar der Universitätsbibliothek Wrocław/Breslau, hg. von Jan Kozák und Krystyna Szkyuła, Weißenhorn 1995. – Salomon de Caus, Hortus palatinus a Friderico rege Boemiae, electore Palatino Heidelbergae exstructus. Die Entwürfe zum Heidelberger Schloßgarten. Reprint der Ausgabe Frankfurt, de Bry, 1620, Worms 1980 (Grüne Reihe, 1). – Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Inv.Nr. 1954/353; Inv.Nr. E 750.

Châtelet-Lange, Liliane: Die Catharinenburg. Residenz des Pfalzgrafen Johann Casimir von Zweibrücken. Ein Bau der Zeitenwende 1619-1622, Stuttgart 2000 (Residenzenforschung, 12). – Hanschke, Ulrike: »…uns ein BIBLIOTHECAM ARCHITECTONICAM zu machen« – Die Architekturzeichnungen des Landgrafen Moritz, in: Moritz der Gelehrte. Ein Renaissancefürst in Europa, hg. von Heiner Borggrefe, Vera Lüpkes und Hans Ottomeyer, Eurasburg 1997, 265-286. – Helm, Rudolf: Bauprojekte des Landgrafen Moritz, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 75/76 (1964/1965) S. 185-190. – Hoppe, Stephan: Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland. Untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470 und 1570, Köln 1996 (Veröffentlichungen der Abt. Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln, 62). – Kadatz, Hans-Joachim: Deutsche Renaissancebaukunst von der frühbürgerlichen Revolution bis zum Ausgang des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 1983. – Langer, Brigitte: Die Möbel der Residenz München, München 2002. – Lippmann, Wolfgang: Der Fürst als Architekt. Überlegungen zu Wertung und Bedeutung des Architekturdilettantismus während des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, in: Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunstgeschichtlichen Institutes der Universität Zürich 8 (2001) S. 111-135. – Oehme, Ruthardt: Die Entwicklung der Kartographie Süddeutschlands in der Renaissancezeit, in: Die Renaissance im deutschen Südwesten zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg (Ausstellung im Heidelberger Schloß 1986), Karlsruhe 1986, S. 63-80. – Reuther, Hans, Berckenhagen, Ekhart: Deutsche Architekturmodelle. Projekthilfe zwischen 1500 und 1900, Berlin 1994. – Schütte, Ulrich: Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schloßbauten der frühen Neuzeit im alten Reich, Darmstadt 1994.