Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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ALFONS X. VON KASTILIEN (1257-75)

I.

A, »der Weise« (el Sabio), Kg. von Kastilien und León (seit dem 1. Juni 1252), röm. Kg. seit dem 1. April 1257, Anspruch auf die röm. Kaiserkrone seit 1256, Verzicht im Sommer 1275, * 23. Nov. 1221 in Toledo, † 4. April 1284 in Sevilla, ⚰ im Kl. Las Huelgas in Burgos, obwohl er testamentar. eine andere Grablegen (Santa María la Real in Murcia, die Capilla Real in Sevilla) bestimmt hatte. Seine 1244 vollzogene Eheschließung mit Violante (Yolante) von Aragón, der Tochter Kg. Jakobs I. von Aragón und der Yolante vonUngarn, eröffnete ihm schon früh wichtige polit. Perspektiven. Aus dieser Ehe sollten fünf Söhne und sechs Töchter, aus illegitimen Verbindungen zwei weitere Söhne und Töchter hervorgehen, darunter: Ferdinand (de la Cerda, 1255-75), ⚭ Blanche von Frankreich, der Tochter Kg. Ludwigs IX.; Sancho IV. (1258-95), ⚭ Maria de Molina, einer Enkelin Kg. Alfons IX. von León; Pedro (1261-83), ⚭ Marguerite de Narbonne, Johann (1264-1319), ⚭ Johanna von Montferrat, Jakob (1267-84), Beatrix (1254-80), ⚭ Wilhelm IX., Mgf. von Montferrat;Violante (* 1266), ⚭ Diego López de Haro; und Beatrix (1242-1303) als bedeutendste illegitime Tochter, ⚭ Kg. Alfons III. von Portugal und Mutter Kg. Dinis' von Portugal.

II.

Als ältester Sohn Ferdinands III. von Kastilien und León und der Stauferin Beatrix, Tochter Kg. → Philipps von Schwaben, folgte A. 1252 seinem Vater, der aus zwei Ehen insgesamt 13 Kinder hatte, auf den Thron, nachdem er schon in den Jahren zuvor polit. und milit. Erfahrungen bei Unternehmungen im Zuge der Reconquista hatte sammeln können. Zu Beginn seiner Regierung mit zahlr. Problemen der Staatsfinanzen sowie der Herrschaftsinteressen des Adels, die sich in Aufständen entluden, und mit krieger. Verwicklungen mit der Krone Aragón um dieThronfolge in Navarra konfrontiert, wurde er nach dem Tod → Konrads IV. (21. Mai 1254) zunehmend in die europ. Politik hineingezogen, als er das Hzm. Schwaben als Erbe seiner stauf. Mutter reklamierte und dafür päpstl. Unterstützung gewinnen konnte. Nach dem Tod → Wilhelms von Holland ließ er sich dann von einer Gesandtschaft pisan. Ghibellinen am 18. März 1256 in Soria unter Berufung auf okzidentale und byzantin. Traditionen zum Ks. wählen, richtete sein Trachten auf den fecho del imperio und das stauf. Erbe in Italien, um sich 1257 in Frankfurtin Konkurrenz zu → Richard von Cornwall von einem Teil der dt. Fs.en zum röm. Kg. erheben zu lassen, wodurch ihm v. a. ein Rechtstitel zufiel, um gegen die Machtposition des als Usurpator betrachteten Staufers Manfred, des illegitimen Sohns Ks. → Friedrichs II., in Italien angehen zu können. Ohne jemals Reichsboden betreten zu haben - die Wahl wurde ihm im Aug. 1257 in Burgos duch Gesandte verkündet - und die Mehrzahl der Rfs.en in irgendeiner Weise seinem Einfluß unterwerfen zu können, hielt er seinen Anspruch bis zur Wahl → Rudolfs von Habsburg aufrecht,setzte Seneschall sowie Kanzler ein und scheint ohne größere Wirkung immer wieder konkrete Amtshandlungen in die Wege geleitet zu haben. Sein Hauptaugenmerk galt indes weniger dem Reichals dem Ksm. und den Optionen, die es ihm nicht nur in Italien sondern im gesamten Mittelmeerraum bis hin zur mögl. Eroberung Siziliens und Nordafrikas eröffnete, wenn auch das Papsttum durch die Belehnung Karls I. von Anjou mit der sizil. Krone gerade dort eine Nachfolge stauf. Provenienz ausschließen wollte. Insgesamt gesehen, sollte A. jedoch seine Mittelmeerpläne v. a. nicht gegen seinen Hauptrivalen, die Krone Aragón unter Kg. Jakob I. dem Eroberer, durchsetzen, da dieser geschickt die Schwächen seinerPosition nutzte und selbst, nicht zuletzt aufgrund wirtschaftl. Interessen, die Grundlage für die Errichtung eines mittelmeer. Imperiums unter Führung seiner eigenen Dynastie schuf. Der Verzicht A. auf die röm. Königskrone, zu dem er sich im Gefolge der Wahl des Habsburgers → Rudolfs I. durch die Rfs.en nach zähen Verhandlungen schließl. im Sommer 1275 gegenüber dem Papst durchrang, bedeutete letztl. für Jakobs Sohn, Peter III. von Aragón, Gemahl von Manfreds Tochter Konstanze von Sizilien, die Gelegenheit, 1282 das Inselkgr. infolge des von ihm angezettelten Aufstands der»Sizilianischen Vesper« seiner eigenen Herrschaft zu unterwerfen und der Krone Aragón als Sekundogenitur anzugliedern. In Kastilien war die Stellung A.s zu dieser Zeit trotz wichtiger Eroberungen in Andalusien, darunter neben dem Reich von Niebla v. a. Jérez, Medina Sidonia und Cádiz, längst schon entscheidend durch immer wieder ausbrechende Aufstände geschwächt, da der Adel sich zunehmend gegen die für ihn und seine Besitzrechte ungünstigen Zentralisierungsversuche zur Wehr setzte und dabei das gesamte polit. Spektrum bis hin zum Zusammengehen mit auswärtigen Mächten einschl. derNasridendynastie in Granada und dem aragon. Rivalen nutzte, obwohl Jakob I. bei der Niederwerfung des bedrohl. Aufstands der Mudéjares von Murcia seinem Schwiegersohn noch entscheidende Hilfestellung geleistet hatte, doch sollte am Ende der Auseinandersetzungen der Verlust des Algarvereiches an Portugal stehen. Instrumente A.s zum Ausbau seiner herrschaftl. Stellung waren die zahlr. Versammlungen der Cortes, auf denen immer wieder von Seiten des Adels und der Kirche Gravamina vorgebracht wurden, andererseits durch die Durchsetzung von Steuern die finanziellen und wirtschaftl. Grundlagender kostspieligen Unternehmungen abgesichert wurden, sowie die Erneuerung der Gesetzgebung, durch die alle Rechtsebenen auf die Königsgewalt bezogen und so der monarch. Spitze, die sich als emperador en su reino verstand, verfügbar gemacht werden sollten. Die weitreichendsten Rechtskodifikationen waren der »Fuero Real« für die Städte, der »Espéculo de las Leyes«, der "Setenario" und schließl. der »Libro del Fuero« (»Libro de las Leyes«), später nach einer Überarbeitung bekannter geworden als »Siete Partidas«, ohne daß es aufgrund des adligenWiderstands gelingen sollte, dieser Gesetzgebung unter der Regierung A.s allg. Gültigkeit zu verschaffen. Neben seiner gesetzgeber. Tätigkeit begründeten die wissenschaftl., literar., musikal. und historiograph. Interessen des Kg.s seinen bleibenden Ruhm für die Nachwelt als Initiator einer »kastilianischen Renaissance« und verdienten ihm seinen ehrenden Beinamen, obwohl A. trotz seiner vielfältigen Bildungsinteressen mehr Auftraggeber und Koordinator zahlr. Werke war, die von einem umfangr., an seinem Hof tätigen Kreis von z. T. konvertierten jüd. und muslim. Mitarbeitern als Übersetzer,Kompilatoren, Redaktoren, Astronomen, Mathematiker, Dichter und Musiker geschaffen wurden. Die bekanntesten dieser Werke waren auf literar. Gebiet die auf Gallego verfaßten »Cantigas de Santa María« sowie der »Libro de Calila e Digna«, oriental. Geschichten, deren Übersetzung A. wahrscheinl. schon als Infant in Auftrag gegeben hatte, daneben Schriften und Tafeln über Astronomie, Astrologie, Kosmogonie und Zeitrechnung, Bücher über die Kunst des Schachspiels, etc. Bes. Maßstäbe, die das gesamte kastil. SpätMA beeinflussen sollten, setzten zudem die auf kgl. Initiative entstandenealfonsin. Geschichtsschreibung, deren bedeutendste Erzeugnisse neben den großen chronikal. Kompilationen der um 1272 begonnenen »Grande e General Estoria« und der »Primera Crónica General de España« mit ihrem Bemühen, die iber. Geschichte als Teil der röm. Geschichte aufzufassen, wahrscheinl. auch eine Darstellung der »Gran conquista de Ultramar«, eine bis 1271 reichende Kreuzzugsgeschichte, waren Zeugnisse für den Stellenwert, den die Kaiseridee für A. bis zum endgültigen Verzicht auf die Kaiserkrone einnahm.

Die eigentl. Schwierigkeiten der Herrschaft A. in Kastilien setzten ein, als mit Ferdinand de la Cerda 1275 unerwartet der älteste Sohn und Thronfolger bei einem Unternehmen gegen die aus Nordafrika in Andalusien eingefallenen Banū Marīn ums Leben kam, so daß die seit 1253 bestehende Nachfolgeordnung in Frage gestellt wurde, da die auf Erbfolge und Primogenitur beruhenden Rechte der Söhne Ferdinands zugunsten des Zweitgeborenen Sancho beiseitegeschoben wurden, dies eine unversöhnl. Parteienbildung innerhalb des Adels auslöste und zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen, ja sogar zuReichsteilungsplänen führte. Schließl. setzte Sancho (IV.) seinen zögerl. Vater 1282 ab, okkupierte mit Unterstützung von Adel und Klerus sowie in Einungen (Hermandades) organisierten Städten, Kl.n und Ritterorden die Regierungsgewalt und nahm den Titel eines Gobernador General del Reino an, um nicht als Thronusurpator zu gelten. Zwar enterbte A. umgehend seinen ungehorsamen Sohn und setzte ein neues Testament zugunsten der Söhne Ferdinands, der Infanten de la Cerda, auf, doch sollte er sich bis zu seinem Tod am 4. April 1284 nicht mehrentscheidend durchsetzen können.