Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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HEINRICH RASPE (1246-47)

I.

Heinrich Raspe (Raspe, Raspo), Lgf. von Thüringen, Pfgf. von → Sachsen, princeps Hassie (1241), dominus Hassie (1241), seit 22. Mai 1246 Romanorum rex. - * um 1203/04; ⚭ 1. vor 16. Mai 1228 Elisabeth (Tochter Mgf. Albrechts II. von Brandenburg, † vor Jan./Sept. 1231, ⚰ Reinhardsbrunn); 2. Febr. 1238 Gertrud (Tochter Hzg. Leopolds VI. von Österreich, † nach Juli 1239/vor Anfang 1241); 3. Beatrix (Tochter Hzg. Heinrichs II. von Brabant,⚭ in zweiter Ehe vor 19. Nov. 1247 mit Gf. Wilhelm III. von Flandern, † 11. Nov. 1288, ⚰ Marquette [Frankreich, Dep. Nord, Arr. et C. Lille]). - † 16. Febr. 1247 auf der Wartburg, bestattet im Zisterzienserinnenkl. St. Katharinen in → Eisenach. - 1227-47 Lgf. von Thüringen, Pfgf. von Sachsen, 1227/31, 1234/38, 1241/47 Herr von → Hessen; 1242/43 Reichsverweser im Auftrag Ks. → Friedrichs II. für Kg. → Konrad IV.; am 22. Mai 1246 in Veitshöchheim Wahl zum röm. Kg. - Drittgeborener Sohn Lgf. Hermanns I. von Thüringen(1190-1217) und dessen zweiter Gemahlin Sophia von Wittelsbach (Tochter Hzg. Ottos I. von Bayern).

H. R. war über seine Großmutter väterlicherseits, Ks. Friedrichs I. Halbschwester Jutta, mit dem stauf. Hause (→ Staufer) und über seine Mutter Sophia mit den → Wittelsbachern verwandt. Entferntere Verwandtschaftsbeziehungen bestanden zu Kg. Ottokar I. Přemysl von Böhmen (1198-1230) (→ Přemysliden), dessen Mutter Jutta eine Schwester H. R.s Großvaters Lgf. Ludwig II. (1140-72) gewesen war. Weitere wichtige Verwandtschaftsverbindungen ergaben sich für H. R. außer durch seine eigenen, mit Angehörigen der askan. Mgf.en von → Brandenburg(→ Askanier), des österr. Herzogshauses der Babenberger und der Hzg.e von → Brabant eingegangenen Ehen v. a. durch die Ehen seiner Geschwister. Sein ältester Bruder Lgf. Ludwig IV. von Thüringen (1217-27) war durch seine Gemahlin Elisabeth († 16./17. Nov. 1231), die Tochter Kg. Andreas' II. von Ungarn und Gertruds, mit dem ungar. Königshaus der Arpaden und den zum europ. Hochadel zählenden Andechs-Meraniern versippt. Durch seine Halbschwester Jutta, die in erster Ehe mit Mgf. Dietrich von Meißen († 1221) und in zweiter Ehe mit Gf. Poppo (VII.) von Hennebergverh. war, war H. R. Oheim des wettin. Alleinerben Mgf. Heinrich des Erlauchten von → Meißen (1218-88). Über seine Schwestern Hedwig und Irmgard bestanden Verwandtschaftsbeziehungen zu den Gf.en von Weimar-Orlamünde und den Gf.en von → Anhalt, seine Schwester Agnes war in erster Ehe mit dem Babenberger Heinrich († 1228) und in zweiter Ehe mit Hzg. Albrecht I. von Sachsen verh. Über seinen Neffen Lgf. Hermann II. und dessen Gemahlin Helene knüpfte H. R. 1238/39 Heiratsbeziehungen zu dem welf. Hzg. Otto I. von Braunschweig an.

H. R.s jüngerer Bruder Konrad, der seit 1231 gleichfalls den Titel eines Lgf.en von Thüringen und Pfgf.en von → Sachsen führte, übernahm 1231/34 die Herrschaft → Hessen, trat aber 1234 in den → Deutschen Orden ein. Er wurde nach dem Tod Hermanns von Salza (20. März 1239) als dessen Nachfolger zum Hochmeister des → Deutschen Ordens gewählt, starb aber schon kurze Zeit später als Leiter einer Vermittlungsaktion dt. Rfs.en zw. Papst Gregor IX. und Ks. → Friedrich II. am 24. Juli 1240 in Rom (bestattet in der Elisabethkirche in→ Marburg).

II.

H. R., der unter seinem Bruder Lgf. Ludwig IV. von Thüringen (1217-27) weitgehend von der Herrschaft ausgeschlossen worden war, folgte diesem nach dessen Kreuzfahrertod am 11. Sept. 1227 vor Otranto zunächst als Vormund und Regent für dessen als Alleinerbe vorgesehenen minderjährigen Sohn Hermann fakt. in der Regierung nach und wurde spätestens 1231 unter Übergehung Hermanns auch reichsrechtl. als legitimer Nachfolger Ludwigs IV. anerkannt. Anders als Hermann I. Ludwig IV. hielt er nicht an der Alleinregierung des großen, aus den Fsm.ern Lgft. Thüringen undPfgft. Sachsen sowie der Herrschaft → Hessen bestehenden ludowing. Herrschaftskomplexes in der Hand des regierenden Lgf.en fest, sondern er beteiligte 1231 seinen Bruder Konrad und 1238 seinen Neffen Hermann an der Herrschaft, indem er ihnen unter Wahrung ihrer persönl. fsl. Qualität und mit der Perspektive eigener Dynastiegründung die → Marburg und → Kassel umfassende nichtfsl. Herrschaft → Hessen überließ. Durch den Ordenseintritt Konrads im Herbst 1234 und den frühen, kinderlosen Tod Lgf. Hermanns II. am 3. Jan. 1241 fiel die Herrschaft→ Hessen jedoch 1234/38 vorübergehend und 1241 endgültig wieder an H. R. zurück.

Obgleich H. R. in → Hessen während seiner Alleinherrschaft bis 1231 und anschl. gemeinsam mit seinem Bruder Lgf. Konrad eine intensive und zunächst auch erfolgr. Territorialpolitik führte, die sich v. a. gegen den Ebf. von → Mainz als den mächtigsten territorialen Konkurrenten richtete, und obgleich er im Zusammenwirken mit Lgf. Konrad, Papst Gregor IX., Ks. → Friedrich II. und dem Hochmeister des → Deutschen Ordens Hermann von Salza 1234/36 die Heiligsprechung seiner in → Marburg bestatteten Schwägerin Elisabeth, die Niederlassung des→ Deutschen Ordens über dem Grab der hl. Elisabeth in → Marburg und den Ausbau → Marburgs zu einem neuen kirchl. und Wallfahrtszentrum im ludowing. → Hessen betrieb, lagen die Schwerpunkte seiner Herrschaft und seiner landesherrl. Aktivitäten doch eindeutig in Thüringen. Hier gelang es ihm wie keinem seiner Vorgänger, den Anspruch auf die lgfl. Oberherrschaft gegenüber nahezu sämtl. Herrschaftsträgern durchzusetzen, die zahlr. thüring. Gf.en weitgehend auf seine Seite zu bringen und mit der verstärkten Ausübung der lgfl. Gerichtsbarkeit in demthüring. Landgericht Mittelhausen (nördl. Erfurt) und der Konzentration der lgfl. Aufenthalte auf das Zentrum Wartburg/ → Eisenach eine bemerkenswerte Herrschaftsverdichtung vorzunehmen. Seiner weit über seine unmittelbaren territorialen Positionen hinausreichenden Herrschaftsintensivierung in der Lgft. Thüringen entsprach es, daß H. R. als erster und für lange Zeit letzter Lgf. 1234 in einem Konflikt zw. dem Ebf.von → Mainz und der ebfl. Stadt Erfurt als Schiedsrichter berufen wurde, daß der → Mainzer Ebf. während der Regierung H. R.s kaum eigene territorialeAktivitäten in Thüringen entfalten konnte und daß H. R. mit der Gründung einer den gesamten Stifts- und Pfarrklerus der Lgft. ein-schließenden Bruderschaft mit Sitz an St. Nikolai in → Eisenach 1239 und mit dem Predigtauftrag an seine Prälaten und die Mendikanten in seinem Herrschaftsgebiet zum Kampf gegen die Tataren 1241 erste Vorformen eines »landesherrlichen Kirchenregiments« erkennen ließ. Neben seine Förderung des alten ludowing. Hauskl.s Reinhardsbrunn und des von seinem Vater Lgf. Hermann I. um 1208 gegründeten Zisterzienserinnenkl.s St. Katharinen in → Eisenach zeigte H. R. eine bemerkenswerte Offenheit gegenüberden neuen Orden und religiösen Laienbewegungen seiner Zeit. So förderte, wenn nicht sogar veranlaßte er 1239/42 die Niederlassung der Dominikaner in → Eisenach - es handelte sich um den zweiten Dominikanerkonvent in Thüringen nach Erfurt -, und er erbat sich 1239 von Papst Gregor IX. den Beistand für ein Leben ad instar fratrum, qui dicuntur de Poenitentia sowie die Bestellung eines Beichtvaters für sich und seine Gemahlin durch den Provinzial der franziskan. Ordensprovinz Saxonia.

Die exponierte Lage des weiten ludowing. Herrschaftskomplexes in der Mitte des Reiches, die unlösbare territoriale Verflechtung und Konkurrenzsituation sowohl in → Hessen wie in Thüringen mit dem Erzstift → Mainz, bei der es letztl. um die Vorherrschaft in dieser zentralen Region des Reiches ging, sowie seine weitgespannten dynast. Verbindungen begründeten wie bereits für seine lgfl. Vorgänger so auch für H. R. eine herausgehobene reichspolit. Stellung. Diese gewann unter H. R. um so größere Bedeutung, als in der bes. Situation des dt. Kgtm.s der Söhne Ks.→ Friedrichs II., → Heinrichs (VII.) und → Konrads IV., der zweimaligen Exkommunikation Ks. → Friedrichs II. 1227 und 1239 durch Papst Gregor IX., der päpstl. Kg.s-Neuwahlpläne von 1228/30, 1239/41 und 1244/46 in Dtl., mehrfacher Fürstenopposition gegen → Friedrich II. und der deutl. Herausbildung eines antistauf., kurialen Lagers unter den dt. Rfs.en nach 1239 die polit. Haltung des thüring. Lgf.en und sein Verhältnis zum Ebf. von → Mainz wachsendes Gewicht besaßen. H. R., der sich in seinen ersten Regierungsjahren nochweitgehend der Reichspolitik entziehen und sich im wesentl. der Stabilisierung seiner Herrschaft in Thüringen und → Hessen widmen konnte, wurde seit dem Konflikt zw. Ks. → Friedrich II. und seinem Sohn Kg. → Heinrich (VII.) 1234/35 und vollends seit dem zweiten Dtl.-Aufenthalt → Friedrichs II. 1235/36 zunehmend in das Reichsgeschehen involviert und trat schließl. seit 1238/39 immer stärker als einer der reichspolit. führenden weltl. Rfs.en auf. Hierbei stand sein Handeln in der Reichspolitik stets in unmittelbarer Interdependenz zu seinerterritorialen Konfliktsituation mit dem Erzstift → Mainz und seinem Ringen mit dem → Mainzer Ebf. um die Vormachtstellung in Thüringen und → Hessen.

War H. R. - darin an die bes. Nähe seines Bruders Ludwig IV. zu Ks. → Friedrich II. anknüpfend - dem Ks. bei dessen Konflikt mit Kg. → Heinrich (VII.) und bei der Neuordnung der Verhältnisse im Deutschen Reich nach dem Sturz Kg. → Heinrichs (VII.) 1235 zunächst eng verbunden - das Zusammenwirken gipfelte in der Mitwirkung → Friedrichs II. bei der Reliquienerhebung von H. R.s Schwägerin Elisabeth am 1. Mai 1236 in → Marburg und in der Teilnahme H. R.s bei der Wahl Kg. → Konrads IV. im Febr. 1237 in → Wien -,so ging er, wohl bewogen durch die Bevorzugung des Mainzer Ebf.s Siegfrieds III. durch dessen im Sommer 1237 erfolgte ksl. Bestellung zum Reichsverweser, Anfang 1238 mit seiner Heirat mit Gertrud, der Schwester Hzg. Friedrichs II. von Österreich, in das Lager der südostdt. Fürstenopposition über. Als diese nach → Friedrichs II. zweiter Exkommunikation am 20. März 1239 eng mit der Kurie und der kurialen Partei in Dtl. zusammenging und die Neuwahl eines Kg.s betrieb, wechselte H. R., offenbar unter dem Einfluß seines dem → Deutschen Orden angehörigen und bald zum Hochmeistererhobenen Bruders Konrad, erneut das Lager und schloß sich wieder der stauf.-ksl. Seite an. Als einem der damals wichtigsten weltl. Rfs.en und als einflußreichen Gegner des Mainzer Ebf.s Siegfried III. übertrug ihm → Friedrich II. nach dem im Herbst 1241 vollzogenen offenen Übergang des Mainzers in das kuriale Lager spätestens im Frühjahr 1242 gemeinsam mit Kg. Wenzel I. von Böhmen das Amt und die Würde des Reichsverwesers für den unmündigen Kg. → Konrad IV. H. R., der diesen Titel bis in das Frühjahr 1243 führte, verfolgte unter dem wachsenden, ihn auchterritorial unmittelbar bedrängenden Druck der vereinten, papsttreuen Ebf.e von → Köln und → Mainz allerdings eher eine neutrale als dezidiert staufernahe Politik und ließ sich 1243/44 schließl. durch umfangr. päpstl. Vergünstigungen und Garantien dazu gewinnen, erneut und nun endgültig auf die stauferfeindl.-päpstl. Seite überzugehen. Kurz zuvor war es ihm gelungen, von Ks. → Friedrich II. am 30. Juni 1243 für seinen Neffen Mgf. Heinrich den Erlauchten von Meißen als den Sohn seiner erstgeborenen Schwester Jutta die Eventualbelehnung mit der Lgft. Thüringenund der Pfgft. → Sachsen für den Fall seines - immer wahrscheinl. - kinderlosen Todes zu erreichen und damit weite Teile des großen ludowing. Herrschaftskomplexes zusammenzuhalten und seinem Hause zu bewahren.

Als einflußreichster päpstl. Parteigänger unter den weltl. Rfs.en war H. R. spätestens seit dem Spätsommer/Herbst 1245 der geeignetste Kandidat für die päpstl. betriebenen Neuwahlen in Dtl. nach der Absetzung Ks. → Friedrichs II. und Kg. → Konrads IV. auf dem Konzil von Lyon im Juli 1245. Seine von Innozenz IV. mit hohen Geldzahlungen geförderte und im engen Zusammenwirken der Ebf.e von → Köln und → Mainz und des päpstl. Legaten Philipp von Ferrara herbeigeführte Kandidatur führte am 22. Mai 1246 zu seiner Königswahl in Veitshöchheim bei→ Würzburg durch die Ebf.e von → Köln und → Mainz und die Bf.e von → Würzburg und → Speyer im Beisein des päpstl. Legaten und Gesandter der Stadt Mailand.

Basislandschaft seines Kgtm.s war zunächst die von ihm in den beiden Jahrzehnten zuvor zu einer sicheren Machtgrundlage ausgebaute Lgft. Thüringen und in bescheidenerer Weise die Herrschaft → Hessen. Als Hauptsitz und kgl. Res. fungierte mit fünf von insgesamt acht bezeugten bzw. erschlossenen Königsaufenthalten H. R.s in Thüringen die Wartburg. H. R. verließ Thüringen zunächst ledigl. kurz zu einem Kriegszug gegen Kg. → Konrad IV. nach Frankfurt im Juli/Aug. 1246, wo ihm am 5. Aug. infolge der Bestechung schwäb. Gf.en und Ritter in dessen Heere mit päpstl. Geldernein spektakulärer Sieg gelang, und zu seinem anschließenden ersten Reichstag in Frankfurt. Anfang Dez. 1246 zog er nach längerer Vorbereitung von Schmalkalden aus, nunmehr über → Nürnberg und Ulm in Richtung Schwaben, erneut gegen → Konrad IV., doch zwang ihn eine schwere Erkrankung zum Abbruch des Kriesgszuges und zur Rückkehr nach Thüringen, wo er am 16. Febr. 1247 auf der Wartburg starb.

Rückhalt besaß sein Kgtm. außer bei der Kurie und einer Reihe thüring.-hess. Gf.en und Herren v. a. bei den drei rhein. Ebf.en, den Bf.en von → Speyer, → Lüttich, → Münster, → Osnabrück und → Verden, den für die Einflußnahme auf Franken wichtigen Bf.en von → Würzburg und → Bamberg und den Gf.en von → Henneberg, bei seinem Schwiegervater Hzg. Heinrich II. von Brabant und dessen niederrhein. Verbündeten, bei Pfgf. Rapoto III. von Bayern, sowie bei den zahlr. Staufergegnern in Schwaben, im Elsaß undin Italien, an der Spitze Mailand und Genua. Die Kürze seiner Regierung läßt keine Aussagen zu, welche Chancen H. R., der bei einigen Zeitgenossen wie Albert von Stade als rex clericorum galt, auf dieser Machtgrundlage für die Durchsetzung seines Kgtm.s besessen hätte.

Der kinderlose Tod H. R.s am 16. Febr. 1247 brachte nicht nur ein rasches Ende des Kgtm.s H. R.s, mit dem H. R. das Landgrafenhaus der Ludowinger gleichsam an die Spitze seines Ansehens geführt und erstmals die dt. Königswürde nach Thüringen geholt hatte. Er bedeutete v. a. das Aussterben der Ludowinger im Mannesstamm und damit den Zerfall des großen Herrschaftskomplexes, den diese im 11./12. Jh. in dem weiten Raum zw. mittlerer Saale, oberer Lahn und oberer Weser aufgebaut hatten. Die beiden Fsm.er Lgft. Thüringen und Pfgft. Sachsen fielen 1247/50 an den → Wettiner Heinrich denErlauchten, der sie mit den Mgft.en → Meißen und Lausitz vereinte und damit die Grundlage für die dominierende Stellung der → Wettiner in dem weiten mitteldt. Raum zw. Werra und Oder schuf. Die Herrschaft → Hessen fiel an H. R.s Nichte und Tochter der hl. Elisabeth, Sophie von Brabant, unter deren Sohn Heinrich dem Kind sie 1292 zum Rfsm. erhoben wurde. Mit Blick auf diese Entwicklungen bedeutete der Tod H. R.s eine der tiefsten Zäsuren in diesem Raum im Verlauf des MA.

III.

Zum Hof H. R.s liegen sowohl aus seiner lgfl. Zeit wie aus der kurzen Zeit seines Kgtm.s nur wenige Nachrichten vor. Auffallend gegenüber seinen lgfl. Vorgängern ist die bemerkenswerte Konzentration der Aufenthalte des lgfl. Hofes unter H. R. auf das Zentrum Wartburg/→ Eisenach.Von den knapp über 30 bezeugten bzw. erschlossenen Aufenthalten H. R.s in Thüringen während seiner lgfl. Herrschaft 1227-46 entfallen acht auf die Wartburg und sieben auf → Eisenach, während die übrigen lgfl. Burgen und Städte wie Creuzburg, Weißensee, Neuenburgund Sangerhausen mit je einem Aufenthalt deutl. zurücktreten. In dem knappen Jahr seines Kgtm.s 1246/47 setzte sich diese Konzentration mit fünf Aufenthalten auf der Wartburg (bei insgesamt acht bezeugten Aufenthalten in Thüringen) weiter fort. → Eisenach als die mit Abstand größte lgfl. Stadt, in der die Lgf.en mit dem sog. Landgrafen- oder Steinhof über ein Stadtschloß verfügten und in dem mit den beiden lgfl. Frauenkl.n St. Nikolai (OSB) und St. Katharinen (OCist), der lgfl. Stadtkirche St. Georg, den beiden unter lgfl. Einfluß 1225 und 1239/42 gegründeten Franziskaner- undDominikanerkl.n und mit St. Nikolai als Zentrum der 1239 von H. R. eingerichteten, die Lgft. umfassenden Priesterbruderschaft sich bis in die Zeit H. R.s eine einzigartige Konzentration lgfl. oder lgfl. geförderter geistl. Institutionen herausgebildet hatte, und die darauf bezogene, repräsentativen wie milit. Zwecken dienende Wartburg besaßen in ihrer Kombination mit über der Hälfte aller bekannter Aufenthalte H. R.s in Thüringen durchaus Residenzcharakter. Dies war weniger in ihrer Mittellage zw. Thüringen und → Hessen begr., sondern entsprach vielmehr dem auch in anderenBereichen zu beobachtenden Streben H. R.s nach Konzentration und Verdichtung seiner Herrschaft in der Lgft. Thüringen. Zu der bemerkenswerten Aufwertung des Zentrums Wartburg/→ Eisenach zählte auch, daß H. R. sich in St. Katharinen in → Eisenach, der Grablege seines Vaters Lgf. Hermann I. und seiner Mutter Sophie von Wittelsbach († 1237), bestatten ließ, während unter seiner Regierungszeit das alte ludowing. Hauskl. Reinhardsbrunn als Begräbnisort für seinen Bruder Lgf. Ludwig IV. (1228), seine erste Gemahlin Elisabeth von Brandenburg (1231) und seinen Neffen Lgf.Hermann II. (1241) seine Funktion als wichtigste lgfl. Grablege weiter bewahrte.

Personell setzte sich der lgfl. Hof H. R.s neben häufig wechselnden Vertretern der thüring. Geistlichkeit und den thüring. Gf.en und Herren, von denen die meisten den Hof mind. einmal aufsuchten und zu einem nicht geringen Teil Lehnsleute des Lgf.en waren, v. a. aus der lgfl. Ministerialität zusammen. Neben einer großen Zahl häufig wechselnder Ministerialen treten in fast ständiger Präsenz die Inhaber der vier Hofämter, die Schenken von Vargula, die Truchsessen von Schlotheim, die Kämmerer von Fahner und die Marschälle von Eckartsberga/Ebersburg sowie als bes. Vertrauenspersonen Friedrichvon Treffurt d. Ä. und d. J. und seit 1243 der Marschall Helwig von Goldbach als fester Kern des Hofes entgegen. Hinzu kamen die Kapläne Dietrich, Heinrich und Konrad (letzterer Priester von Creuzburg und offenbar Kaplan von H. R.s erster Gattin Elisabeth) und die lgfl. Protonotare und Notare Magister Heinrich von Weißensee, Tuto und Witigo, unter denen 1235/40 »die offenkundige Ausbildung der landgräflichen Schreibstube zu einem stetigen bzw. stetigeren Herrschafts- und Verwaltungsinstrument« erfolgte (Hägermann 1980, S. 534). Seine beiden lgfl. Reitersiegel(erster Stempel [1227] 1231-40, zweiter Stempel 1241-45) zeigen H. R. auf rechts gewandtem Pferd mit dem lgfl. Löwen auf dem Schild.

Entsprechend seiner überwiegenden Präsenz in Thüringen blieb der kgl. Hof H. R.s von 1246/47 sowohl hinsichtl. der Wartburg als bevorzugtem Aufenthaltsort wie in seiner personellen Zusammensetzung weitgehend mit dem lgfl. Hof identisch. Der Kreis der Anwesenden blieb nahezu völlig unverändert, wobei jedoch der Marschall Helwig von Goldbach als Leiter der Hofverwaltung gemeinsam mit dem als consiliarius H. R.s titulierten Friedrich von Treffurt d. J. die führende Rolle am nunmehr kgl. Hof spielte. Während eine Reihe als Kleriker und Familiare des Kg.s bezeichneteGeistliche, für die H. R. päpstl. Vergünstigungen erwirkte, nicht näher einzuorden ist, bestand deutl. personelle Kontinuität auch von der lgfl. Schreibstube zur kgl. Kanzlei H. R.s. Der Kreis der lgfl. Notare, die nach dem 22. Mai 1246 in der kgl. Kanzlei tätig wurden, wurde ledigl. um einen weiteren Protonotar, zwei z. T. schon früher in der lgfl. Kanzlei tätige Notare sowie zeitw. um einen für die ital. Mandate zuständigen Diktator offenbar aus dem Umkreis des päpstl. Legaten Philipp von Ferrara erweitert. Die Leitung der Kanzlei übernahm mit dem Propst des Stifts St. Peter inFritzlar Burkhardt ein enger Vertrauter des Mainzer Ebf.s Siegfried III.; ihm sollte nach seiner geplanten Erhebung zum Ebf. von → Salzburg Bf. Heinrich von → Bamberg als Leiter der Reichskanzlei H. R.s folgen, wozu es jedoch wg. des frühen Todes H. R.s nicht mehr kam. Folgt das Kg.s-Siegel H. R.s dem Ks.-Siegel → Friedrichs II., so ist seine nur in einem einzigen Exemplar an einer Urk. vom 23. Mai 1246 erhaltene Goldbulle, die auf der Vorderseite den thronenden Herrscher, auf der Rückseite eine erstmals um die Häupter der Apostel Petrus und Paulus erweiterteRomdarstellung zeigt, als singuläres Zeugnis seines von der Kurie propagierten und gestützten Kgtm.s zu werten.

Bemerkenswerte Einzelheiten zum kgl. Hof H. R.s überliefert die Abrechnung des Magisters Hugo, Kantor der Erfurter Stifts St. Marien, über päpstl. Gelder in Höhe von knapp 14 000 Mark Silber für Kg. H. R. und seine Helfer vom Dez./Jan. 1246/47. Neben Auslagen von 100 Mark pro vestibus domini regis, von 4 Mark für Seide und Samt der domine regine und umfangr. Ausgaben für Wein sowie pro equo et vestibus des Küchenmeisters sind insbes. die herausragende Stellung des Marschalls Helwig von Goldbach und die wichtige Funktionder beiden Küchenmeister Hartung und Heidenreich in der Hofverwaltung sowie die hohen Geldzuweisungen an die kgl. Kammer aufschlußreich.

Nähere Details sind - als Ausnahmefall - auch zur Ausstattung und zur Hofhaltung von H. R.s dritter Gemahlin Beatrix von Brabant bezeugt. Als durchaus stattl. Dotalgut überließ ihr H. R. am 10. März 1241 die Burgen Neuenburg und Eckartsburg, die Städte Sangerhausen und → Gotha sowie den Distrikt Berka. Zwei Urk.n, die Beatrix nach H. R.s Tod im März und April 1247 als quondam Romanorum regina bzw. als relicta domini H. quondam Romanorum regis auf der Wartburg (!) ausstellte, ist zu entnehmen, daß ihr neben einem eigenen Kaplanauch ein eigener Truchseß, ein eigener Notar und eine Schaffnerin zugeordnet waren.

Quellen

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Caemmerer, Erich: Zur Charakteristik Heinrich Raspes, Landgrafen von Thüringen und Deutschen Königs († 1247), in: BDLG 89 (1952) S. 56-83. - Diemar 1903. - Hägermann, Dieter: Studien zum Urkundenwesen König Heinrich Raspes (1246/47), in: DA 36 (1980) S. 487-548. - Heinrich Raspe, 2003. - Hillen, Christian: Rex Clericorum - Wahl und Wähler Heinrich Raspes 1246, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 55 (2001) S. 57-76. -Malsch, Rudolf: Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen und Deutscher König († 1247), Halle/Saale 1911 (Forschungen zur thüringisch-sächsischen Geschichte, 1). - Patze 1962. - Patze 1968. - Petersohn 1993. - Petersohn 2002. - Reuling, Ulrich: Von Lyon nach Veitshöchheim: Die Wahl Heinrich Raspes zum rex Romanorum im Jahre 1246, in: Heinrich Raspe, 2003, S. 273-306. -Schaller, Hans Martin: Heinrich Raspe, Gegenkönig, Landgraf von Thüringen, in: NDB VIII, 1969, S. 334-336. - Siegel der Wettiner, 1888. - Werner 2003.