Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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OTTO IV. (1198-1218)

I.

Röm.-dt. Kg. und Ks.; * 1175/76, ⚭ 1. 1212 Beatrix von → Staufen, Tochter Kg. → Philipps; ⚭ 2. 1214 Maria von Brabant, Tochter Hzg. Heinrichs I.; kinderlos. † 19. Mai 1218 Harzburg. Belehnung als Gf. von Poitou und Hzg. von Aquitanien 1196; Königswahl 9. Juni 1198 (Krönung in Aachen 12. Juni 1198); Kaiserkrönung in Rom 4. Okt. 1209.

Sohn des Hzg.s Heinrich von Sachsen und Bayern und der Mathilde von England (Tochter Kg. Heinrichs II. und der Eleonore von Aquitanien). Als Bruder Heinrichs des Langen und Wilhelms von Lüneburg verschwägert mit den stauf. → Pfgf.en bei Rhein und den Kg.en von Dänemark. Durch seine Mutter Mathilde von England war O. der Neffe der Kg.e Richard I. und Johann I. von England sowie Vetter von Mitgliedern verschiedener Königshäusern (Aragonien, Kastilien, Léon, Portugal, Frankreich).

II.

Der 1198 nach schismat. Wahl zum röm.-dt. Kg. gekrönte O. brachte durch seine Herkunft neue herrschaftl. Elemente an den von Mobilität geprägten dt. Königshof. Nachdem er von Kg. Richard I. von England am angevin., sich überwiegend auf dem normann.-frz. Festland aufhaltenden Hof herangebildet worden war, hatte ihn sein Onkel offenbar als Teilherrscher seines ausgedehnten Reich vorgesehen. Versuche, ihn mit der Gft. York auszustatten bzw. mit der Erbin des Kgr. Schottland zu verloben, scheiterten 1190 bzw. 1194/95. So belehnte Richard ihn 1196 mit demPoitou, wodurch O. zugl. die Würde eines Hzg.s von Aquitanien erlangte.

Die dt. Königswahl O.s durch mehrere Fs.en der antistauf. Partei war durch eine große Abhängigkeit vom Ebf. von → Köln sowie von Kölner Hochfinanzkreisen erkauft, stützen konnte er sich auf das welf. Erbe in → Sachsen und Westfalen. Im Thronstreit mit dem Staufer → Philipp konnte O keinen entscheidenden Vorteil gewinnen, doch erkannte Papst Innozenz III. ihn um die Jahreswende 1200/01 an, nachdem er versprochen hatte, der röm. Kirche das Mathildische Gut in Oberitalien zu erstatten (sogen. Neußer Eid).

1204/06 war O. weitgehend isoliert. Aus dieser auswegslos scheinenden Situation befreite ihn der ohne sein Wissen und Zutun am 21. Juni 1208 vollführte Mord an Kg. → Philipp. Gegen die Zusicherung, Philipps Älteste Beatrix zu heiraten und die Königsmörder (Pfgf. Otto von Wittelsbach und die mit ihm verbündeten Andechs-Meranier) zu verfolgen, wurde O. von der Reichsministerialität und sodann von allen Rfs.en anerkannt. Gegen die (eingeschränkte) Bestätigung des Neußer Eides mit der Speyerer Erklärung sicherte O. sich 1209 die Kaiserkrönung, geriet aber hauptsächl. wg. seinerBeanspruchung des Kaiserrechtes an Sizilien (ius imperii ad regnum), aufgrund dessen er 1210/11 Apulien und Calabrien eroberte, mit der päpstl. Politik in Konflikt, weshalb er am 18. Nov. 1210 von Papst Innozenz III. exkommuniziert wurde, was dieser am 31. März 1211 öffentl. bekräftigte. Bei Gelegenheit der Krönung nahm O. in der Stille das Kreuz und schickte 1211 eine Gesandtschaft nach Palästina, Armenien und Zypern, die im Dienste der ksl. Diplomatie das Terrain für einen Kreuzzug rekognoszieren sollte und die ksl. Lehnsabhängigkeit der Kg.e von Armenien und Zypernwiederherstellte.

Innenpolit. trat O. durch eine expansiveMünzpolitik gegenüber den Bf.en und Plänen zu einer Steuerreform und zur Säkularisation von Kirchengut hervor. Die ersten Ansätze zu einer Säkularisation von Bistumsgut sind 1214 in → Lüttich zu erkennen, während die Befestigung von Kl.n (→ Quedlinburg, Walbeck) wohl eher milit. begründet war.

Am 27. Juli 1214 erlitt O. an der Brücke von Bouvines zusammen mit seinen ndl.-engl. Verbündeten eine Niederlage gegen Kg. Philipp II. von Frankreich. Damit waren seine frz. Okkupationspläne gescheitert, die ähnl. wie in Sizilien darin bestanden, dem Kg. ein lehnsabhängiges Kleinkgr. zu belassen und weite Teile Nordfrankreichs an edelfreie und gfl. Vasallen des Kaiserreichs zu verleihen. Johann I. von England mußte mit Philipp Frieden schließen und stellte seine Subsidienzahlungen an O. im Mai 1215 ein.

Zum IV. Laterankonzil schickte O. Ende 1215 Gesandte, die zwecks Lösung aus dem Kirchenbann an das Kardinalskollegium und die Konzilsväter appellierten und in seinem Namen Gehorsam versprachen. Innozenz III. verhinderte eine Verhandlung darüber und ließ das Konzil der Wahl → Friedrichs II. zum »römischen Kaiser« zustimmen. O.s Macht war, wenigstens in Dtl., weitgehend zusammengebrochen, dazu kam, daß durch den Tod seines Neffen Pfgf. Heinrich d. J. (1214) die bis dahin vorgesehene Nachfolgeregelung im Ksm. weggefallen, womit ein welf. Herrschertum keine Zukunft mehrhatte.

Dennoch verdankt die welf. Familie O. die Sicherung ihres Erbes, wozu er mit seinen Testamentsbestimmungen die Weichen stellte. Sein Bruder, Pfgf. Heinrich, war zum Haupterben und Testamentsvollstrecker eingesetzt, und auch sein Neffe Otto, späterer Hzg. von → Braunschweig-Lüneburg, wurde bedacht. O.s Ende ermöglichte → Friedrich II. die Kaiserkrönung und die Einsetzung seines Sohnes → Heinrich (VII.) zum röm.-dt. Kg. Im Ostseeraum konnte das Imperium des dän. Kg.s Waldemar II. unumschränkt emporwachsen. Ihm unterstellten sich 1218 die jungen»Kreuzfahrerstaaten« in Livland und Estland.

Im weiteren sächs. Einflußbereich der Welfen brach deren bisherige Vorherrschaft völlig zusammen. Die Vögte Pfgf. Heinrichs wurden aus dem erstiftbrem. → Bremervörde, aus → Verden und aus Oldenburg sowie die Gf.en von Roden aus dem Mittelweserraum verdrängt. Die Gf.en von Wernigerode und die Edelherren von Diepholz zogen sich aus den Sitzen ihrer Vorfahren (in Heiligenberg, Gft. Hoya bzw. Midlum Kr. Cuxhaven) zurück und stifteten dort Kl. Den Gf.en von Wölpe nahmen die Ebf. von → Bremen Ottersberg fort.

Im Umkreis der Zisterzienser verehrte man Ks. O. als Otto pius. Zu seiner memoria gründete O.s Wwe. Maria später das Zisterzienserinnenkl. Locus imperatricis (Binderen) bei Helmond in Nord-Brabant.

Die Beurteilung von O.s Herrscherleistung wurde bis gegen Ende des 20. Jh.s stark durch die stauf. Propaganda (stultus et superbus) beeinflußt, ist aber durch Forschungen der letzten zehn Jahre deutl. revidiert worden. Zwar ist O.s Königsherrschaft zweimal (1204/06 und 1214) gescheitert, auch ließen sich seine imperiale Politik, die Aufteilung Frankreichs und der Kreuzzugsplan nicht verwirklichen. Doch das unterscheidet ihn nicht von seinen stauf. Vorgängern. Innenpolit. sind O.s Städtefreundlichkeit, die Initiativen für eine allg. Besteuerung und die Gründung zweierMünzvereine hervorzuheben. Seine konsequente Durchsetzung des Landfriedens schuf die Voraussetzung für eine anhaltende wirtschaftl.-kulturelle Blütezeit von 1208/09 an, wobei O. sich als Gönner von Kunst und Literatur hervortat und über seinen Hof westeurop. Kultureinflüsse vermittelte (siehe auch unten in III). Ferner wurden die Pfalzen in Aachen, Frankfurt und Goslar sowie die Harzburg und die Feste Lichtenberg (Salzgitter) ausgebaut, Kathedralen und Stiftskirchen u. a. mit Reliquiaren ausgestattet (Aachen, Goslar, → Hildesheim, → Köln und → Lüneburg).

III.

O. ließ sich mit dem bis dahin überwiegend mobilen Hof über längere, zusammenhängende Zeiträume in Braunschweig, zum Teil auch in → Köln nieder. Dagegen fehlen gesicherte Belege für die verbreitete Auffassung, O. habe (ständig oder zeitweilig) auf der Reichsfeste Harzburg am Nordostrand des Harzgebirges residiert, wenngleich er sich am Ende seines Lebens dorthin zurückgezogen hat. Nachdem sein Bruder Wilhelm 1213 (oder 1212?) gest. war, übernahm der Ks. für seinen elf- bis zwölfjährigen Neffen O. die Regentschaft. Eine Hofhaltung O.sin → Lüneburg ist jedoch nur einmal nachweisbar, sie dürfte also ebenfalls nur eine vorübergehende gewesen sein.

Von 1198 an erfolgte in Anknüpfung an die Bemühungen Heinrichs des Löwen die Ausgestaltung Braunschweigs zur Res. Die Braunschweiger Bürger wurden von O. gefördert. So erhielten sie Zollfreiheit »im gesamten Kaiserreich« und Gelände zum Stadtausbau (»Neustadt«), was sich neuerdings archäolog. bestätigte. Auch der sog. Sack, das fünfte Braunschweiger Weichbild, ist der städt. Überlieferung zufolge von O. gegr. worden. Der Ausbau dieser beiden Stadtteile ermöglichte den Ausbau und Abschluß einer kreisförmigen Stadtmauer mit zwölf Toren um alle fünf»Weichbilde« Braunschweigs. Die Notwendigkeit einer Erneuerung der Befestigung war durch die stauf. Belagerung der Stadt i. J. 1200 deutl. geworden. Auch später noch sah die Diplomatie und Militärplanung → Philipps Braunschweig als das Zentrum der Macht O.s an, das man angehen müsse, wenn man ihn endgültig besiegen wolle.

Die Ausschmückung der Stiftskirche St. Blasius (Dom) als der Grabeskirche seiner Eltern setzte O. durch die Ausmalung fort. Auch sein eigenes Begräbnis war hier vorgesehen, wie die Beisetzung der Ks.in Beatrix vor dem hohen Chor 1212 zeigt. Zum festl. Hoftag Pfingsten 1209 (siehe auch unten in III) lud O. seine Vertrauten unter den Fs.en, Gf.en, Edelherren und Ministerialen nach Braunschweig.

Zum Umkreis der urbs regia, wie O. Braunschweig nannte, gehörten zwei Zisterzen. Der Neubau der Zisterzienserabtei Riddagshausen 4 km östl. der Stadt wurde von O. gefördert; ein Marien-Kl. (wohl der Zisterzienser) in Scheverlingenburg 10 km nordwestl. der Stadt wurde 1212/13 von ihm gegr. und reich dotiert. In seinem Testament übertrug er es später dem St. Blasius-Stift.

In der Zeit seiner Ohnmacht (von 1214 an) ist bei O. und seinem Hof eine ausgeprägte Frömmigkeit zu verzeichnen. Er förderte die Niederlassung von Franziskanern in Braunschweig und viell. auch andernorts (→ Köln, Goslar, → Bremen). Für die Braunschweiger Niederlassung von Franziskanern (der Überlieferung zufolge aus Toulouse) veranlaßte er die Ministerialen von Bortfeld, ihre Kemenate am damaligen Rande der Altstadt zur Verfügung zu stellen. O. selbst und seine Ks.in huldigten einem christozentr. Hl. Blut- und Kreuzeskult. Aus dem Bann konnte Otto sich freilicherst auf dem Totenbett lösen.

Ist die Absicht O.s, Braunschweig als feste Res. eines welf. König- und Kaisertums auszugestalten, auch unübersehbar, so bleibt der Stellenwert, den → Köln in dieser Hinsicht hatte, unklar. Zwar hielt O. sich in der rhein. Metropole → Köln immer wieder über längere Zeiten auf, doch läßt sich nicht sagen, ob er weitergehende Absichten damit verband. Auch nach dem altfrz. »Roman de la Rose« (um 1215) hat der Ks. seine gewöhnl. Res. in → Köln (Verse 2968, 3065). Der Bau der neuen Stadtmauer wurde ab 1200 von O. gefördert, außerdem privilegierten dieengl. Kg.e und O. selbst die Stadt mehrfach. Auch 1213, 1214 und 1215 hielt O. sich jeweils über längere Zeit in → Köln auf, ehe die Stadt im Aug. 1215 auf die Seite → Friedrichs II. übertrat. Allerdings erklären sich diese Aufenthalte z. T. daraus, daß O. hier - insbes. nach der Niederlage von Bouvines - Zuflucht suchte. 1215/16 ließen sich anscheinend erstmals Franziskaner in der Stadt nieder, und zwar bot einer der Anhänger O.s, Gf. Heinrich III. von Sayn, ihnen Wohnstatt in seiner Klostergründung Sion, ehe sie 1220 in eigene Gebäude umzogen. Der Umstand, daß mehrereDignitäre des Domkapitels hier Mönche wurden, könnte mit der am 29. Febr. 1216 erfolgten Wahl des Stauferanhängers Engelbert von Berg zum Ebf. zusammenhängen, indem für Domherren, die dem gebannten Ks. nahestanden, ein Ausscheiden aus ihren Ämtern unvermeidl. geworden war.

O.s Braunschweiger Wohnsitz war die roman. Pfalz seines Vaters, in → Köln dürfte es der ebfl. Palas gewesen sein. Über die Organisation und die Verwaltung des ksl. Hofes existieren keinerlei Nachrichten.

Wie seine Vorgänger hatte O. 1198 Hofamtsträger ernannt und eine Kanzlei aufgebaut. Eine Besonderheit war dabei, daß er außer einem Truchseß (Gunzelin von Wolfenbüttel) nachengl. Vorbild für Konrad von Wijlre, einem rhein. Reichsministerialen, das Amt einen Seneschalls schuf. Das Amt des Hofkanzlers konnte von ihm während des Thronstreites nicht immer besetzt werden. 1208 übernahm O. von seinem ermordeten Gegenspieler → Philipp sämtl. Hofamtsträger und Mitarbeiter der Kanzlei. Von den neuen Amtsträgern sind zu nennen → Philipps Protonotar Konrad von Scharfenberg, Bf. von → Speyer, den O. zu seinem Hofkanzler machte, Marschall Heinrich von Kalden und derKämmerer Kuno II. von Münzenberg. Hofamtsträger und Kanzlisten finden sich ständig in der Umgebung O.s, sofern sie nicht mit diplomat. oder Stellvertretungsaufgaben betraut waren, wie Konrad von Wijlre am engl. Königshof oder Gunzelin von Truchseß als Staathalter in Thüringen. Nach dem Parteiwechsel Konrads von → Speyer wurde der Andechs-Meranier Ekbert von Bamberg Hofkanzler, blieb es aber nicht lange. Wahrscheinl. konnte die Funktion danach nicht wiederbesetzt werden.

In der Zeit des Thronstreites mit → Philipp waren O.s Mittel eher beschränkt. Mehrfach erhielt er engl. Subsidien. Nach seiner allgemeinen Anerkennung verfügte O. unbeschränkt über die Einnahmen des Kgtm.s in Dtl. und Italien. Die Münzprägung seiner stauf. Vorgänger wurde unter seinem Namen überall fortges. Auch nach der verlorenen Schlacht von Bouvines verfügte O. noch über bedeutende Geldmittel, die sich vermutl. teils aus den reichen Einnahmen eines bäuerl. Wunderheilers im Herrschaftsbereich des Pfgf.en Heinrich (Otbert von Bockel), teils aber auch aus einer Intensivierungdes Harzer Bergbaus unter der Regie der Zisterzienser von Walkenried herleiteten.

Da sich die Reichsinsignien im Besitz → Philipps befanden, ließ O. sich 1198 neue anfertigen, wovon das Reichsschwert und der Reichsapfel noch erhalten sind. Durch die zunehmende Münzprägung, insbes. von Brakteaten in Braunschweig, die Reliquienstiftungen an Kirchen und Kl.n sowie das Schneiden von Siegelstempeln erlebte das Kunsthandwerk ab 1208/09 einen Aufschwung.

Zum Hofkreis O.s gehörten u. a. die Literaten Eilhart von Oberge, Henry von Avranches und der am engl. und sizil. Königshof gebildete Gervasius von Tilbury. Ihm hatte O. die Marschallswürde des arelat. Reiches verliehen. Gervasius widmete dem Ks. 1214/15 den Liber de mirabilibus mundi. Er ist der mutmaßl. Autor der darauf textl. beruhenden Ebstorfer Weltkarte. Der Parzival Wolframs von Eschenbach wurde wohl vor dem Hintergrund des Doppel-Konnubiums der Welfen O. und seines Neffen Pfgf. Heinrich d. J. mit zwei Prinzessinnen aus dem Hause→ Brabant/Boulogne (1214) und Ottos imperialer Kreuzzugsziele entworfen. Im Versroman »Der guote Gêrhart« des Rudolf von Ems (1211/14) sind O. und sein Kölner Wahlfinanzier Gerhard Unmaze in die Rollen »Kaiser Otto der Rote« und »Gerhard von Köln, gen. Der Gute« gekleidet. Walther von der Vogelweide, der 1212 noch den Willkommensspruch u. a. polit. Sprüche in O.s Auftrag verfaßt hatte, scheint zuletzt im Jan. 1213 als Gesandter zw. O. und dessen Verbündeten im Alpenraum hin und her gegangen zu sein. Im Sommer hielt er sich in → Köln auf, wo einige seinerSprüche gegen Kreuzzugsablaß und -steuern (»Opferstocksprüche«) entstanden sein dürften, ehe er 1214/15 zu → Friedrich II. überwechselte. Der Bericht Wilbrands von Oldenburg über die Gesandtschaftsreise nach Palästina, Syrien, Armenien und Zypern für O. ging verloren; doch ist ein Auszug für die Hildesheimer Domherren nahezu vollständig erhalten.

Drei große Feste O.s haben ihren Niederschlag teils in Chronistik und Literatur, teils in herald. Zeugnissen gefunden: Die Aachener Krönungs- und Verlobungsfeier von 1198 gaben Anlaß zur Anfertigung einer Wappenrolle, dem bisher ältesten Zeugnis dieser Art, in der alle in Aachen anwesenden Fs.en vorkommen. An ihr und am Quedlinburger Kästchen sind anglonormann. Einflüsse abzulesen. Wohl anläßl. des Braunschweiger Hoftages Pfingsten 1209, über den Arnold von Lübeck ausführl. berichtet, wurde der erstmals von Berent Schwineköper datierte und interpretierte Quedlinburger Wappenkastenangefertigt. Er ist möglicherw. zugl. ein Denkmal der von O. initiierten Rittergesellschaften, da das Wappen des Ks.s und der Fs.en neben denen von Ministerialen erscheint. Die unter dem Einfluß des Artuskultus am angevin. Hof nachgebildeten Rittergesellschaften O.s haben offenbar in mehreren regionalen Zusammenschlüssen existiert. Von diesen ist die Harzer »Provinz« 1216 urkundl. bezeugt - sie wurde mit der Jakobskirche zu → Osterode ausgestattet. Weitere Rittergesellschaften scheinen an der 1213 gegründeten Zisterze Mariensee (um den Gf.en Bernhard von Wölpe) undan dem 1210/11 erbauten Palas Osterlant (um den Mgf.en Dietrich von Meißen) gruppiert gewesen zu sein. Der diesbezügl. Charakter von Osterlant hat sich erst 1991/92 infolge einer archäologisch-bauhistor. Untersuchung ergeben. Eine weitere gebietsweise organisierte Rittergesellschaft hat die Wappen ihrer Mitglieder möglicherw. am 1215 fertiggestellten Karlsschrein im Aachener Münster anbringen lassen.

Außer über den Braunschweiger Hoftag sind wir auch über das große frz.-dt. Turnier von St-Trond (Gft. Looz) von 1213 gut unterrichtet, da es seinen Niederschlag in einer verlorenen Dichtung (estoire) gefunden hat, die wiederum dem um 1215 von Jean Renart verfaßten verfaßten altfrz. »Roman de la Rose« zugrundelag. Dieser literar. Quelle zufolge hatte der Ks. außer seinem Bruder Heinrich, dem »Herzog von Sachsen«, und Hzg. Heinrich III. von Limburg sächs., lothring. und burgund. Ritter geladen. Außerdem waren viele frz. und fläm. Gf.en, Barone und Rittergekommen, der vornehmste unter ihnen war zweifellos Gf. Thiébaut IV. von Champagne. Der Text enthält außerdem zahlr. nur hier überlieferte Liebeslieder, einige vom Ks. selbst vorgetragen. Der Beschreibung des Turniers geht die eines galanten Ritter- und Jagdfestes des Ks.s voraus, wo ebenfalls Trouvères auftraten und dessen reales Vorbild zeitl. und geogr. im Umkreis von O.s Nürnberger Hoftag (Mai 1212) gesucht werden darf.

Quellen

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