Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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WELFEN

Keines der heute noch lebenden dt. Hochadelshäuser hat zw. hohem MA und Früher Neuzeit eine solch wechselvolle Geschichte durchlebt, wie das der W., die älteste der bis heute existierenden dt. Dynastien. Zw. den Jahreszahlen 1218 (dem einsamen Tod des entmachteten Ks.s Otto IV. auf der Harzburg) und 1701 (als das engl. Parlament mit der Act of Settlement die künftige Thronfolge der W. festlegte) liegt ein dramat. Abstieg von europ. Geltung zur zersplitterten Herrschaft von nur noch regionaler Bedeutung und einem zu Ende unseres Berichtsraumes sich erst anbahnenden Aufstieg, der 1692 zurKurwürde des Hauses Hannover und zur 1701 verbrieften engl. Thronfolge führte.

Die Herrschaft Heinrichs des Löwen wirkt noch in die Geschichte seines Hauses im 13. Jh. hinein. Die von ihm geschlossene Heiratsverbindung mit dem engl. Königshaus war die wohl wichtigste Voraussetzung für die Königswahl Ottos IV. gewesen und das von ihm in jungen Jahren okkupierte Erbe der Stader Gf.en bildete noch bis 1236 einen Zankapfel zw. W. und → Bremer Ebf.en. v. a. aber war durch den Sturz Heinrichs des Löwen 1180 die landes- und reichsrechtl. Stellung seines Hauses eine offene, für die W. durchaus krit. Frage geworden, eine Frage, die selbst Ks. Otto IV. zu den Zeiten,da er auf der Höhe seiner Macht stand, nicht zu lösen vermochte.

Wie unsicher die Stellung der W. im sächs. Hzm. geworden war, spiegelt der Sachsenspiegel für die Zeit um 1220 wider. Bis in die Lausitz dehnt Eike den Raumbegriff → Sachsen aus, aber unter den Fsm.ern zählt er nicht die Herrschaft der W. auf. Das ist für die Zeit, in der der Sachsenspiegel entstand, durchaus korrekt, denn damals war über die Fürstenwürde der W. noch gar nicht entschieden. Unter dem Hzm. → Sachsen versteht Eike, ebenso wie die ksl. Kanzlei, den Titel der → Askanier. Keine eigenmächtige Interpretation: Nicht »Sachsen«, sondern »Braunschweig« war dasFeldgeschrei, mit dem 1256 die Mannen Hzg. Albrechts gegen → Mainz kämpften. Dieser Feldruf - wie übl. für die Identität der Herrschaft aufschlußreich - läßt auch erkennen, daß das Ksm. des W. Ottos IV., obwohl seit Leibniz als Beleg für die Würde der welf. Dynastie angeführt, dieses Haus nahe an den Untergang geführt hat; allein dem in seiner Bedeutung verkannten Bruder des Ks.s, dem Pfgf. Heinrich, hat dieses Haus seine Rettung zu verdanken.

Otto IV., 1175 oder 1176 in Braunschweig geb., war im angevin. Reich aufgewachsen; der engl. Hof hatte für ihn ebenso wie für seine Geschwister Verantwortung übernommen. Er war der Lieblingsneffe des Richard Löwenherz und hat sich 1194 für ihn, damit er aus der Gefangenschaft Heinrichs VI. gelöst werden konnte, in die Geiselhaft des Ks.s begeben. Dank und Verwandtenbegünstigung: 1196 wird er von Richard mit der Gft. Poitou belehnt. Die Königswahl Ottos war keineswegs ein Sieg des welf. Hauses. Schon daß Pfgf. Heinrich, als ältester Sohn des Löwen Haupt der Familie, etwa ein Vierteljahrzögerte, bis er sich Otto anschloß, läßt auf Reserven gegenüber dem Abenteuer eines welf. Kgtm.s schließen. Pfgf. Heinrich, der für sein friedensicherndes Regiment im väterl. Erbe höchstes Lob durch Arnold von Lübeck erfahren hatte, konnte die Schwäche von Ottos Kgtm. nicht übersehen. Er hatte als Teilnehmer des Kreuzzugs 1197 die Weite und die Festigkeit der stauf. Gefolgschaftsbindungen im Vergleich zu den welf. abzuschätzen gelernt.

Würde des Hauses und geringe Ressourcen aus dem welf. Allodialgut - diese Diskrepanz scheint dem Pfgf.en deutl. als seinem jüngeren Bruder bewußt gewesen zu sein. Die Familiensolidarität siegte, als er sich Otto IV. anschloß, und Familiensolidarität war es schließl. auch, die zur oft sog. ersten welf. Landesteilung i. J. 1202 führte. Diese Paderborner Teilung war im Kern ein Hausvertrag. Das Ziel war eine Abgrenzung der Nutzungsbereiche, nicht eine Aufteilung des Landes. Der Anlaß war die Heirat Wilhelms von Lüneburg mit der dän. Königstochter Helene. Diese, für die Anerkennung von OttosIV. Kgtm. überaus wichtige Heiratsverbindung, verlangte nach einem eigenen Herrschaftsbereich Wilhelms, der um Lüneburg gebildet wurde. Der Pfgf. stellte seine Ansprüche als Ältester hinter die seines kgl. Bruders zurück; dieser erhielt Braunschweig, das Herz der welf. Lande; denn nur Braunschweig konnte die einem Kg. angemessene Res. sein, nicht aber Hannover, wo der Pfgf. Münzen prägen ließ oder Stade, wo er bevorzugt sein Hoflager aufschlug. Nach dem Tode Ottos IV. wird Heinrich Braunschweig zum Mittelpunkt seiner Herrschaft machen, wird in Dankwarderode urkunden inpalatio nostro. Die besonnene Politik des Pfgf.en Heinrich sicherte 1219, nach dem Tode Ottos IV., die Stammlande dem welf. Haus. Gegen Auslieferung der Reichskleinodien erreichte er 1219 in Goslar die Bestätigung der Allodien seines Vaters, Heinrichs des Löwen, aber er mußte auf die → Pfgft. bei Rhein verzichten. Mit einer Zahlung von 10 000 Mark Silber machte ihm der Ks. diesen Verzicht schmackhaft. Die Wiederherstellung des sächs. Hzm.s war nicht durchzusetzen gewesen. Der älteste Sohn Heinrichs des Löwen hat, anders als sein Vater, Augenmaß bewiesen, hat aus den Verhältnissen,die ihm aufgezwungen waren, für sein Haus das Beste gemacht.

Der Sohn Wilhelms von Lüneburg, Otto das Kind, so benannt, weil nach dem söhnelosen Tod seiner Onkel auf ihm allein die Zukunft der welf. Dynastie ruhte, der Erbe also der welf. Allodien, war von so großer Gestalt, daß sein Erscheinen in London Aufläufe von Menschen verursachte. Nominell seit 1218 selbständig regierend, stürzte er sich nach dem Tod des Pfgf.en Heinrich (1227) in ein Abenteuer, das fast verhängnisvoll geendet hätte. Im Bündnis mit dem dän. Kg. Waldemar II., seinem Onkel mütterlicherseits, wurde er 1227 in dessen Katastrophe in der Schlacht von Bornhöved hineingezogen und vonJuli 1227 bis Jan. 1229 auf der Burg → Schwerin in Haft gehalten. Seine Herrschaft geriet in der Zwischenzeit in große Gefahr. Die Nachbarn versuchten sofort, Nutzen aus der Situation zu ziehen. Nur durch die Stellung von Bürgen für die Zahlung des horrenden Lösegeldes konnte Otto seine Freiheit wiedergewinnen. In der Bürgenstellung der Lüneburger Burgmannen drückt sich aus: Die Burg ist Zentrum und entscheidendes Machtmittel der Herrschaft. Nimmt man dazu noch die Garantien führender Bürger von Braunschweig und Lüneburg für die Zahlung von Ottos Lösegeld, so zeichnet sich im Vertrag von1228 genau jener Verfassungszustand ab, auf den das ksl. Privileg 1235 die Herzogswürde des W. gründen wird.

Nach seiner Freilassung führte Otto die Politik seines Onkels weiter, bemühte sich, die seinem Haus entfremdeten Rechte zurückzugewinnen. Schritt für Schritt, von Dorf zu Dorf, von Gericht zu Gericht, von Stadt zu Stadt ist ihm das gelungen. v. a. gelang es ihm, auf dem Mainzer Hoftag von 1235 die reichsrechtl. Stellung seines Hauses, die seit 1180 stets rechtl. anfechtbar gewesen war, zu sichern. Entscheidend war nicht der Herzogstitel, entscheidend war, daß 1235 der rfsl. Rang des W. bestätigt wurde. Der Ks. hatte, wie die Urk. prononciert festhält, einen Hzg. und Fs.en(ducem et principem) gemacht. Der ehrenvolle Titel eines Hzg.s war auf zwei Burgen bezogen. Das war reichsrechtl. derart ungewöhnl., daß dieser Titel nicht in der Urk. von 1235 verwendet wurde, sondern sich erst in dem ksl. Mandat an die Ministerialen in der Gft. Stade von 31. Okt. 1235 findet.

Die Abstammung der W. von Billungern und Brunonen hatte zu einer bipolaren Herrschaftsstruktur geführt. Die Urk. von 1235 hatte die Herzogswürde auf die beiden Burgen Braunschweig und Lüneburg gegr., die inmitten der Machtbereiche der Brunonen bzw. der Billunger gelegen waren, und Otto das Kind hatte sich noch nicht wie seine Nachfolger Hzg. von Braunschweig und Lüneburg gen., sondern sich häufiger nur als dux de Brunswic bezeichnet oder nuanciert: Otto dux de Brunswic et dominus de Luneborg. Ohne reichspolit. Ambitionen arbeitet Otto an derKonsolidierung seines Hauses. Dazu gehört eine dezidierte Städtepolitik in der Gestalt, daß er durch Privilegien die Kommunen an sich bindet und deren Leistungskraft sichert. Privileg ist dabei von Privileg unterschieden; der Hzg. nivellierte keine Gewohnheitsrechte; aber als Ganzes hat die erstaunl. hohe Zahl seiner Stadtrechtsverleihungen einen Sinn: Der Landesherr ist Schöpfer und Garant des städt. Lebens.

Die Schritt für Schritt erfolgenden Rückerwerbungen sind nur der sichtbarste Teil einer umfassenden Tätigkeit des Hzg.s. Die Hofkapelle seines Großvaters und seines Onkels wird Otto wesentl. vergrößern. Dies dient nicht nur liturg. Zwecken, sondern bildet den Hintergrund für die Ausweitung des Urkundenwesens. Auffallend, aber letztl. der Herzogsurk. von 1235 entspr., daß unter Otto anders als unter seinem Großvater, Braunschweig nicht mehr der einzige zentrale Ort ist, sondern daß Lüneburg ebenfalls als Res. hervortritt. Eine künftige Landesteilung zeichnet sich bereits ab.

Otto das Kind: Zieht man die Summe aus der Vielzahl von einzelnen urkundl. überlieferten Vorgängen, so entsteht das Bild eines ungewöhnl. tatkräftigen und zielbewußten Herrschers, der aus einer tiefen Krise heraus sein gefährdetes Erbe nicht nur zu wahren, sondern auch auf sichere Grundlagen zu stellen wußte. Die von ihm begonnene Politik gab für mind. drei Generationen seinen Nachfolgern die beiden verschiedenen Richtungen vor: Die Entwicklung einer hegemonialen Stellung im Weserraum, die planmäßige Arrondierung von welf. Herrschaftsrechten im Lüneburg. mit dem Ziel, die Elbe als Grenze zugewinnen.

Es wäre ein Rückfall in die älteren Vorstellungen einer »Territorialpolitik«, würde übersehen, daß im Mittelpunkt des fsl. Denkens die fsl. Familie, das fsl. Haus stand. Otto war seit etwa 1222 mit der Askanierin Mechthild verh. Bemerkenswert für das Selbstbewußtsein einer Fs.in, zugl. aber auch ein Ausdruck dafür, wie Mechthild ihre Ehe verstand, ist ihr Siegel: Der Braunschweiger Löwe, das Wappen ihres Mannes, steigt zu ihrem Thron empor und legt ihr die Tatze in die Hand. Es lag wohl an dieser Ehe, daß die dynast. Konflikte zw. W. und → Askaniern für ein Jh. beruhigt wurden.

Aus der Ehe mit Mechthild gingen neun Kinder hervor. Es entsprach hochadeligem Verhalten, wenn von den vier Söhnen nur die beiden älteren, Albrecht und Johann, weltl. blieben und die beiden jüngeren für die kirchl. Laufbahn bestimmt wurden: Otto, von 1261-79 Bf. von → Hildesheim, und Konrad, von 1269-1300 Bf. von → Verden. Vollends erweist sich, daß Otto einer der mächtigsten Fs.en im Reich war, an den glänzenden Partien seiner fünf Töchter - keine von ihnen war gezwungen, Kanonisse oder Nonne zu werden. Elisabeth heiratete Kg. → Wilhelm von Holland, Mechthild Heinrich vonAnhalt, Helena Lgf. Hermann von Thüringen und in zweiter Ehe Hzg. Albrecht von Sachsen, Adelheid Lgf. Heinrich von Hessen und Agnes den ritterl. Fs.en Wizlav von Rügen. Als Otto am 9. Juni 1252 starb, hinterließ er ein wohlbestelltes Haus.

Ottos Sohn, Albrecht I., vermutl. 1236 geb., wurde wg. seiner körperl. Länge - ein väterl. Erbe - von den Zeitgenossen »der Große« gen.; einer der ganz wenigen Fälle, wo histor. »Größe« eindeutig zu definieren ist. Er gestaltete seinen Hof viel stärker als sein Vater nach Maßgabe ritterl. Ideale. Der Braunschweiger Reimchronist rühmt ihn deswg.: Diesem Fs.en habe es zwar bisweilen an weltl. Gütern gemangelt, nie aber an hohem Mute. Albrecht I. war der letzte seines Hauses, der polit. Orientierungen Heinrichs des Löwen verfolgte und enge Verbindungen zu Dänemark und zum engl.Königshaus aufrecht erhielt, und er war († 1279) der letzte Welfe gewesen, der alle Allode seines Hauses, der das Erbe Heinrichs des Löwen in seiner Hand vereinigte. Als er mit seinem Bruder Johann in den Jahren 1267/69 zu einer Landesteilung schritt, war eine grundlegende Entscheidung für die Zukunft gefallen. Nie wieder sollten seitdem die welf. Lande zusammenkommen. Zugl. war diese Teilung der Anfang einer Geschichte von weiteren Landesteilungen, welche die spätma. Geschichte der W. so unübersichtl. machen. Diese Teilungen bewirkten - das sollte man nicht übersehen -, daß daswelf. Haus überlebte. Wenn dieses Geschlecht erst 1682 ein Primogeniturgesetz schaffen konnte, so lag das keineswegs an allzu später Einsicht, sondern daran, daß sich in früheren Jh.en nie die genealog. Konstellation ergeben hatte, ein solches Hausgesetz durchzusetzen; denn auch in anderen dt. Herrschaften konnte eine solche Nachfolgeregelung immer erst dann erfolgen, wenn die Dynastie nicht in mehreren Linien aufgespalten war. Das Überleben der W. aufgrund von Landesteilungen, die verschiedene Zweige dieses Hauses entstehen ließen, wurde mit polit. Ohnmacht bezahlt. Mochten im regionalenUmfeld Fs.en wie Otto der Strenge eine bisweilen bedeutende Macht entwickeln, so blieben sie doch reichspolit. ohne jeden Einfluß.

Schon 1267/69 galt als Prinzip, daß der Ältere teilt und der Jüngere wählt; das wurde auch bei allen folgenden Landesteilungen beachtet. Und ebenfalls als Prinzip wurde für die Folgezeit verpflichtend: Traditionsrechte des Hauses in Braunschweig blieben ungeteilt gemeinsamer Verantwortung unterstellt. 1267 mochte man gehofft haben, damit eine Klammer für die Einheit des Hauses gefunden zu haben; aber die Folgen waren doch ganz andere. Durch den gemeinschaftl. Besitz aller Linien fehlte ein unmittelbares herrschaftl. Verantwortungsbewußtsein; stattdessen verpfändete oder veräußerte jedeLinie die ihr zustehenden Einkünfte; das trug entscheidend dazu bei, daß die W. Braunschweig verloren. Dankwarderode war um 1400 ein verfallendes Schloß, weil sich keine Linie zur Herrschaft aufgerufen fühlte. Man kann es auch so sagen: Mit dem Teilungsvertrag von 1267/69 war die künftige Autonomie der Stadt Braunschweig angebahnt.

1269 entschied sich Johann für das Lüneburger Fsm., das einzige der welf. Hzm.er, das hinfort von den Wechselfällen der Teilungen verschont blieb und bis zum Aussterben der Lüneburger Linie der W. 1705 Bestand hatte. Das bedeutete aber nicht, daß unter »Herzogtum Lüneburg« stets der gleiche Raum verstanden werden kann. Das Fsm. reichte im 14. Jh. bis zum Deister, schloß Hannover und die Gebiete des späteren Hzm.s Calenberg noch mit ein. Die Teilungen von 1388 und 1409 dienten auch dazu, das in seiner Substanz schwache Land Braunschweig durch Abtretungen von Lüneburger Gebietengleichwertig zu halten. Aber trotz aller Veränderungen an den Grenzräumen blieb das Fsm. Lüneburg die einzige Konstante innerhalb der wirrnisvollen Geschichte welf. Landesteilungen.

Um 1400 konnten die W. keine wirkl. vornehmen, aber damit auch keine teuren Verwandtschaftsverbindungen mehr eingehen, wie sie einst ein Otto das Kind, wie sie ein Albrecht I. und selbst noch ein Otto der Strenge hatte verabreden können. Gemeinhin werden in der Forschung Landesteilungen als Schwächung der territorialen Basis einer Herrschaft verstanden. Das ist zugl. richtig und oberflächl. Landesteilungen bewirken im genealog. Verständnis der Zeit zunächst Einengung des finanziellen Spielraums bei Heiratsabreden; daß diese über Rang und Ansehen eines Hauses entschieden, daß man nichtungestraft »billig« heiraten durfte, wurde dem ältesten Hochadelsgeschlecht in dt. Landen, dem der W., unmißverständl. deutl. gemacht. Alle im 12. Jh. durch genealog. Memoria, alle durch die Braunschweigische Reimchronik noch beschworenen Rückbesinnungen auf Alter und Würde des welf. Geschlechts waren der Schonungslosigkeit des Vergessens anheim gefallen. Als sich i. J. 1399 die rhein. Kfs.en zusammen mit zehn weiteren dt. Rfs.en verbanden, einen neuen Kg. zu wählen, einigten sie sich darauf, daß dieser Kg. aus den Häusern → Bayern, → Meißen, → Hessen, → Nürnberg(Zollern) oder → Württemberg stammen sollte. Von den W. war nicht die Rede. Sie galten, obgleich viel älter als alle anderen genannten Dynastien, um 1400 nicht viel, und das nimmt nicht wunder, wenn man ihre Heiratskreise berücksichtigt; denn nicht »Territorium« oder abstrakte »Macht« zählten für den Rang eines Hauses im Reich, sondern das Konnubium.Und das der W. war um 1400 nur noch wenig angesehen. Sie scheuten sich nicht, in Grafenkreise einzuheiraten, was durchaus handgreifl. Vorteile mit sich brachte, und auch ihre Verschwägerungen mit fsl. Familien bezogen sich allein auf die im Reichsfürstenstand weniger angesehenen Geschlechter. Das trennte sie von den führenden Dynastien im Reich, von den → Wittelsbachern, → Wettinern und → Zollern.

Um 1300 wäre die hundert Jahre später erfolgte Zurücksetzung der W. noch nicht mögl. gewesen. Daß die spätma. Landesteilungen hinter der ständ. Verkürzung des welf. Heiratskreises stehen, lehrt der Blick auf das hoch angesehene Konnubium der Söhne und Töchter Ottos des Kindes, lehrt aber auch noch der Vergleich mit dem Jahr 1288, als Otto der Strenge, Mechthild, die Enkelin eines Kg.s, heiraten konnte.

Einer der ganz wenigen Fälle, in denen sich das Reichsoberhaupt in die Fürstenpolitik des dt. Nordens einmischte, hatte für Niedersachsen verhängnisvolle Folgen; denn der Grund für den langwierigen Lüneburger Erbfolgekrieg (1371-88) wurde am ksl. Hofe gelegt. Schon 1350 hatte → Karl IV. den → Askaniern den Titel der »Pfalzgrafen von Sachsen« zuerkannt. Der Titel allein besagte wenig, aber ein Anspruch war angemeldet. 1352 und 1355 versprach dann → Karl IV. dem askan. Hause → Sachsen-Wittenberg die Nachfolge im Lüneburger Fsm. Den Ks. werden wirtschaftl. Erwägungengeleitet haben, die Aufwertung der Elbe als Handelsstraße, die v. a. Karls Kgr. → Böhmen zugute kommen mußte. Die → Askanier, auf die der Ks. als Böhmenkg. unmittelbaren Druck ausüben konnte, erschienen ihm die besseren Garanten für seine handelspolit. Pläne als die königsfernen W.

Die Absichten des Ks.s blieben den W. nicht verborgen. Sie reagierten mit einem herald. Argument. Anstelle des hergebrachten Löwen »springt plötzlich mit dem Jahr 1361 wie aus heiterem Himmel« das Pferd ins welf. Wappen. Zunächst hatte Albrecht II. von Grubenhagen, sodann, im gleichen Jahr 1361, sein Bruder Johann und im folgenden Jahr Otto der Quade das Pferd in Siegel und Wappen aufgenommen, und schließl. folgte 1369 auch Magnus Torquatus diesem Vorbild. Wenn zw. 1361 und 1369 die welf. Fs.en begannen, statt des hergebrachten Löwen das Roß in ihrem Siegel zu führen, und wenn diesdann nach 1370 allgemeiner Brauch in ihrem Hause wurde, dann war eine solche für die Adelswelt einschneidende Veränderung nur durch ein Motiv zu erklären, das die verschiedenen Linien des Hauses vereinte: Gegenwehr gegen die Ansprüche der → Askanier, die sich so stolz Hzg.e von → Sachsen nannten.

In dem bis 1388 währenden Lüneburger Erbfolgekrieg haben sich die W. behaupten können. Sie mußten dafür aber einen hohen Preis zahlen. Die Städte Lüneburg und Hannover gewannen in diesem Krieg eine Unabhängigkeit, die erst allmähl. seit dem ausgehenden 16. Jh. von den W. wieder eingeschränkt werden konnte. Durch ksl. Gebot und Rechtsgutachten legitimiert, leistete Lüneburg am Jahresende 1370 den askan. Fs.en die Huldigung. Aber natürl. stand gar nicht im Vordergrund, sich dem Ks. gehorsam zu erweisen, vielmehr nutzte die Stadt die Chance, ihren Freiheitsraum zu erweitern. Für die Huldigungließ sie sich die Bestätigung sämtl. Freiheitsbriefe zusagen. Dies lag im Rahmen eines normalen Huldigungsablaufs; aber weitgehender war die Erlaubnis der → Askanier, daß Lüneburg die Burg auf dem Kalkberg, das wichtigste Instrument der hzgl. Stadtherrschaft, schleifen dürfe, wie es auch geschah.

Fast als Parallele erscheint das Verhalten der Stadt Hannover. Auch sie beruft sich darauf, daß Hzg. Magnus sie nicht vor den Ansprüchen des Reiches sichergestellt habe, daß sie, wie zahlr. Rechtsgutachten begr. hätten, dem ksl. Gebot folgen müsse. Auch Hannover war mit Privilegien der askan. Hzg.e versorgt worden. Ebenso wie die Zerstörung der alten billung. Burg auf dem Kalkberg bedeutete die kurz danach erfolgte Erstürmung und Schleifung der stark ummauerten Burg Lauenrode durch die Bürger von Hannover die Vernichtung eines welf. Herrschaftszentrums. Auf dem Kalkberg stand »die Kronedes Landes«, und Lauenrode war zwar nicht von gleicher Bedeutung, aber immerhin der Mittelpunkt hzgl. Amtsverwaltung.

Am Ende des 15. Jh.s gab es vier welf. Hzm.er: Grubenhagen, Lüneburg, Braunschweig und Calenberg. Neu entstanden war Calenberg, in dem 1463 das Göttinger Fsm. aufgegangen war. Das weist bereits darauf hin, daß die Fsm.er Braunschweig und Lüneburg zwar in ihrem Kern der im 14. Jh. ausgebildeten Herrschaftsbildung entsprachen, aber keineswegs feste, in ihrer territorialen Integrität unantastbare Herrschaftsgebiete geworden waren; die Teilungspraxis führte immer wieder zu Gebietsabtrennungen und -zusammenlegungen. Aber nach den Erfahrungen des Lüneburger Erbfolgekrieges setztesich eine von G. Pischke beobachtete Betonung der Einheit des welf. Hauses in der Titulatur durch: Welchen Landesteil ein Fs. auch innehat, er nennt sich - direkter Hinweis auf die Gesamtbelehnung von 1235 - Hzg. von Braunschweig und Lüneburg.

Residenzbildung unter den Bedingungen von Teilungspraxis und der ihr im 16. Jh. folgenden Zusammenlegung von »Ländern« mit verschiedener Geschichte: In dem seit 1512 zusammengelegten Hzm. Calenberg-Göttingen schaffen Reformen von 1566 und 1572 eine geregelte Behandlung von Haupt- und NebenRes. Sitz der Regierung ist Münden; aber alle zwei bis drei Monate haben »gemeine Audienzen« in Neustadt am Rübenberge oder Calenberg für »das niedere Fürstentum« stattzufinden.

Die Herrschaftsteilungen hatten letztl. zur Folge, daß keine gesamtständ. Vertretung des Landes mit einem alle welf. Gebiet umfassenden Gemeinschaftsbewußtsein entstehen konnte. Vielmehr entwickelten die Landstände - die als Komplementärerscheinung zur Residenzbildung zu betrachten sind - eine bis in die ritterschaftl. Kreditkassen und Landschaften der Gegenwart hineinreichendes Sonderbewußtsein, das, im wesentl. spätma., aber nicht mehr frühneuzeitl. Landesteilungen folgte. Diese Feststellung ist für die Sonderentwicklung der welf. Lande wichtiger als die Auflistung der im SpätMA langeZeit nur episodären, mit der stets nur vorläufigen Residenzkultur - der bedeutendste Profanbau der W. im SpätMA ist das »Muthaus« in Hardegsen - verbundenen Behördenentwicklung.

Die erst in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s Konturen gewinnende Zentralverwaltung, die nicht der Residenzbildung folgt, sondern diese im Ansatz erzwingt, war bis dahin in das von wechselnden Konstellationen abhängige Beziehungsverhältnis von Adel und Fs.en eingebunden gewesen. Konkret: Die Ratgeber des Fs.en, aus dem Adel stammend, waren zugl. die ersten Gläubiger der Fs.en. Gelehrte Räte zogen sie vor dem 16. Jh. nicht in ihre Dienste. Ansätze fsl. Behördenstruktur: Diese war vorbereitet durch eine verstärkte Schriftlichkeit, durch die seit 1344 einsetzenden Kopiare hzgl. Urk.n. DasAufkommen des Papiers gegen Ende des 14. Jh.s ermöglichte eine größere Verschriftlichung der Verwaltung. Wie in allen dt. Landen unterstand das Hofgesinde dem im 14. Jh. durchgesetzten Amt des Hofmeisters. Immerhin hatte sich der fsl. Rat, der im 14. Jh. noch nicht als eigene Institution in Erscheinung getreten war, bereits verfestigt: Der »heimliche Rat«, also ein geschlossener Beraterkreis, ist bereits seit 1401 bezeugt. Keineswegs später als in anderen dt. Landen erscheint in welf. Gebieten seit 1442 der Kanzler, was nicht nur eine Änderung der Titulatur, sondern auch einen Entwicklungder Institution anzeigte: Zunächst stand der Kanzler als oberster aller Notare oder Schreiber noch hinter den hzgl. Räten. Sein Einfluß aber wuchs schnell als Folge verstärkter Schriftlichkeit. Die in allen dt. Landen im ausgehenden MA erkennbare Residenzbildung, die Entwicklung eines Herrschaftsmittelpunktes, die zugl. den Ausbau ortsfester Institutionen bedingte, vollzog sich in welf. Landen mit deutl. Verspätung. Braunschweig, das unter Heinrich dem Löwen einen im damaligen Dtl. singulären Rang als Herrschaftsmittelpunkt gewonnen hatte, konnte aufgrund seiner im 14. Jh. erlangten Freiheitnicht mehr einem hzgl. Hoflager, geschweige denn einer Res. Raum gewähren, und Lüneburg war den W. nach 1371 verloren. Der von den Lüneburger Hzg.en begonnene Ausbau Celles zur Res. zog sich nach H. Dormeier länger hin, als bisher angenommen, ist in seinen Konturen erst um die Mitte des 15. Jh.s erkennbar. Zuvor spielte Winsen an der Luhe eine größere Rolle für das hzgl. Hoflager, als die fragwürdige Bezeichnung »NebenResidenz« vermuten läßt. Länger noch als der Ausbau Celles ließ die unter Heinrich d. Ä. sichtbar werdende EntwicklungWolfenbüttels vom Burgsitz zur Residenzstadt der Braunschweiger Fs.en auf sich warten.

Das Beispiel Braunschweigs läßt nach den spezif. welf. Bedingungen für die Residenzbildung fragen. Die dauernden Landesteilungen hatten tiefgreifende Folgen. Zunächst sei der naheliegenden Folge der Kleinräumigkeit gedacht, weil diese institutionelle Konsequenzen nach sich zog. Ausgangs des 13. Jh.s werden die ersten Umrisse eines fsl. Beraterkreises erkennbaren, die consiliarii, die auch als erste »gebeten« werden, dem Fs.en mit Krediten zu helfen. Obwohl um 1300 in welf. Landen eine neue Abgabe, die Bede durchgesetzt worden war, gibt es für die Existenz einerhzgl. Kammer, oder einer zentralen Finanzverwaltung im 14. Jh. noch nicht einmal Indizien. Denn - und darauf wollen wir hinaus - Kleinräumigkeit läßt mit ihrer tendenziellen Herrschaftspräsenz Institutionen als verzichtbar erscheinen. Verfolgen wir die Geschichte der W. vom 13. zum 14. Jh., so erweist sich: Landesteilungen können institutionellen Rückschritt bedeuten: Für die Kanzlei Ottos des Kindes waren noch 18 Notare tätig, unter seinen Söhnen noch 15. Aber unter den Hzg.en des 14. Jh.s ist von einer institutionalisierten Kanzlei keine Rede mehr. Ein Archiv des Hzg.s konnte einervereinzelten Nachricht zufolge 1327 in St. Blasius in Braunschweig bestanden haben; doch Konstanz gewann es nicht. Wenn Hzg. Balthasar von Grubenhagen wichtige Urk.n sichern möchte, hinterlegt er sie beim Göttinger Rat.

Landesteilungen und Residenzbildung: Bis in die Herrschaftsstrukturen wirkte die »Anomalie des Nordens« hinein, die O. Gierke aus stadtgeschichtl. Perspektive konstatiert hatte. Nach dem nicht zuletzt durch die Teilungen herbeigeführten Verlust Braunschweigs war der so oft zu beobachtende Zusammenhang zw. Stift und Residenzbildung abgebrochen. Bei keiner der welf. Res.en spielte die Kirche eine unterstützende Rolle - und das obwohl hier bis in das frühe 16. Jh. hinein der geistl. Charakter des Kanzleramtes bewahrt blieb.

Als »Anomalie des Nordens« hatte O. Gierke die weitgehenden Freiheitsrechte der formal landsässigen großen Städte verstanden, die - allerdings ergebnislos - um 1500 zu den Reichstagen geladen wurden: Braunschweig, Lüneburg, Hannover, Göttingen. Eine Resdienzbildung war in diesen Städten nicht möglich. Als Beleg sei nur darauf verwiesen, das zum Beispiel 1461 die sächs. Städte Hannover, Göttingen, Northeim, Braunschweig, → Hildesheim, Goslar und Einbeck einen Münzvertrag schließen, ohne lange nach ihrer Stadtherrschaft zu fragen. Wenn wir aber die für den welf. Herrschaftsraumtyp. Kleinres.en - ledigl. Münden stellt eine relative Ausnahme dar - in Beziehung zur Geschichte des welf. Hauses stellen, wird deutlich, welche Folgen das dynast. Bewußtsein für die Bildung von Herrschaftmittelpunkten hatte.

Daß i. J. 1495 die - nach G. Pischke - zwölfte Teilung im welf. Haus stattfand, weist auf die Häufigkeit dieser Teilungen zurück. Daß die Vereinbarung von 1495 aber erst 1512 ihren rechtl. Abschluß fand, läßt die nicht nur territorial-, sondern auch dynastiegeschichtl. Problematik erkennen. Diese war damals v. a. den Ständen bewußt geworden.Residenzbildung und Stände. Diese formieren sich im 15. Jh. nach Maßgabe der entstehenden Teilhzm.er. Die bis heute bestehende - allerdings erst 1801 vereinigte Calenbergisch-Grubenhagensche Landschaft - ist dafür der beste Zeuge. Daß aber die ständ.Entwicklung sich nach der Entwicklung der Teilhzm.er im 15. Jh. orientierte, hängt mit einer Entwicklung zusammen, die ebenfalls komplementär zur Residenzbildung betrachtet werden muß: Die Ämterbildung.

Die Bildung von Ämtern, von Vogteien, stellte auch in welf. Landen ein langgestreckten vom späten 13. bis ins 15. Jh. reichenden Prozeß dar, dieser brachte im Ergebnis im 16. Jh.: Flächenstaatlichkeit. Aber das Ergebnis war nicht von Anfang an gewollt. Vielmehr wurden Ämter geformt, um sie als berechenbare Einheit verpfänden zu können. Denn das 14. Jh. ist die große Zeit der Verpfändung von Herrschaftsrechten. Hatten die Welfen des 13. Jh.s nur 10 Verpfändungsurk.n ausgestellt, so finden sich im 14. Jh. insgesamt 584 solcher Diplome.

Die Geschichte der Ämter muß in welf. Landen auch im Zusammenhang mit der Residenzbildung und d. h. konkret: unter dynastiegeschichtl. Perspektive betrachtet werden. Die durch Erbteilungen herbeigeführte Kleinräumigkeit der eigenen Herrschaften ließ, die Sonderstellung der Leibzucht, das Wittum der Ehefrau eines regierenden Hzg.s deutl. hervortreten als in anderen dt. Landen. Ein Beispiel: Hzg. Otto Cocles, der 1435 sein Göttinger Hzm. aufgab, mußte auf drei Hofhaltungen Rücksicht nehmen, auf seine eigene in Uslar, auf die seiner Mutter in Hardegsen und auf die Leibzucht seinerFrau in (Hann.) Münden. Das hieß konkret: Die Ämter, welche diese Hofhaltungen sicherten, durften nicht verpfändet werden.

Im späten MA und in der frühen Neuzeit hatte sich nie die günstige polit. und v. a. nie die günstige genealog. Situation ergeben, um ein welf. Hausgesetz bzw. eine Erbfolge- oder Primogenitur-Ordnung zu schaffen. Das Teilungsprinzip des späten MA aber ließ sich dennoch nicht mehr im 16. Jh. fortsetzen. Es kam mit erhebl. Auswirkungen auf die Bildung von Res.en zu Zwischenformen, welche den rechtl. Variantenreichtum von einer »Abteilung« wie im bäuerl. Bereich, über die Abfindung bis zur Apanage ausschöpfen, aber die Separierung eines eigenen Fürstenhauses vermeiden wollen. Die Lösungen,die im lüneburg. Hause gefunden wurden - Fsm.er Harburg, Dannenberg und Gifhorn - sahen bei allen Unterschieden im einzelnen im Kern folgendes vor: Eine »Abteilung«, die zwar eine eigenständige personale Herrschaft in einem Amtsbezirk zuließ und sich von einer Apanage dadurch unterschied, daß sie vererbbar war, hingegen reichsrechtl. nie ein selbständiges, reichslehnbares Fsm. bildete. Eine »Abteilung« des 16. Jh.s unterschied sich auch darin von einer spätma. Teilung, daß der Adel der »abgeteilten« Gebilde die allgemeinen Landtage des Fsm.s besuchte. Weiterhin war jeweils beidiesen Abteilungen der Anfall bei Erbenlosigkeit an die Hauptlinie verbrieft worden. Es entstanden auf diese Weise in Harburg, Danneberg und Gifhorn Kleinres.en, welche sich im wesentl. nur durch ein repräsentatives Schloßgebäude und ein bei etwa 30 Personen liegendes Hofpersonal von einer Amtsverwaltung unterschieden. Ob welf. Nebenlinien in Harburg, Dannenberg oder Gifhorn regierten: stets nannten sie sich Hzg.e von Braunschweig und Lüneburg.

Herrschaftsteilungen sicherten letztl. das Überleben der Dynastie. Verwiesen sei auf das Schicksal der 1291 begründeten und 1596 ausgestorbenen Grubenhagener Linie. In acht Generationen hatte sie 41 männl. und 27 weibl. Angehörige gezählt. Wenn aber vier Jahre vor ihrem Aussterben im Haus der Lüneburger Hzg.e alle erbberechtigten Brüder einen noch zu würdigenden Herrschaftsvertrag schließen, dann zeigt sich, daß die Teilungspraxis des SpätMA nicht mehr problemlos im16. Jh. weiter geführt werden konnte. Eine Gratwanderung zw. machtpolit. und dynast. Erwägungen, welche die auf den erstenBlick verwirrenden Genealogie der W. im 16. Jh. als Ausdruck eines bisher noch nicht gewürdigten Kunstwerks erscheinen lassen. »Machtpolitik« gilt uns in diesem Zusammenhang nur als Chiffre für das materielle Substrat, das jeder Herrschaft inhaerent war und das die Teilungspraxis schon deshalb in Frage stellte, weil sie den Kredit einer Herrschaft (Schulden gehören generell zum spätma. Fsm.) gefährdet. Ein Beispiel: Hzg. Erich I. von Calenberg-Göttingen, der 1540 in ksl. Diensten in Hagenau verstarb, konnte erst nach einem Jahr nach (Hann.) Münden zur Beisetzung überführt werden, nachdemseine Schulden in der elsäss. Reichsstadt bezahlt worden waren.

Die »Abteilungen« des 16. Jh.s - auch Heinrich d. J. hatte 1552 in seinem Testament für seinen Jüngsten eine solche Ausstattung mit dem Amte Greene vorgesehen - stellen einen (unseren Begriff von »Kunstwerk« bestätigenden) Versuch dar, zw. den ma. Traditionen und der schemat. Apanage-Losung des 18. Jh.s zu vermitteln. Elemente der Apanage tauchen bereits auf, wenn bei »Abteilungen« Jahrgelder bzw. einmalige Zahlungen für den fsl. Hausrat gestellt werden. Aber solche Zahlungen weisen auch in die Vergangenheit zurück: Bei Erbteilungen wurden territoriale Ungleichheiten mitGeldzahlungen ausgeglichen. Sodann ist bei den »Abteilungen« des 16. Jh.s zu berücksichtigen, daß sie an Stelle der spätma. Gemeinschaftsregierung bzw. der Mutschierung traten. Daß in welf. Landen nicht Institutionen - Kammer, Kanzlei, Archiv -, sondern Personen mit ihren Bedürfnissen der Hofhaltung im 16. Jh. entscheidend für die Residenzbildung wird,daß also nicht Staat, sondern Dynastie sich in der Residenzentwicklung spiegelt, hängt mit einer Mischung von Berechenbarkeit des Amtes und dynast. Familienrecht zusammen. Es kann kein Zufall sein, daß in Gifhorn, Harburg und Münden die Residenzbildung in Ämtern stattfand, die zuvor - rechtl. von Verpfändungen freigestellt - Leibzucht von Fs.innen waren.

Selbst unter den Bedingungen der Abteilung erwies sich im ausgehenden 16. Jh. das Fsm. Lüneburg als zu klein, um alle erbberechtigten Brüder zu versorgen. Diese schlossen deshalb 1592 einen bemerkenswerten Vertrag, der Einsicht in die Probleme des Gesamthauses verrät, in dem die Brüder vereinbaren, daß immer nur der jeweils älteste regieren, daß aber nur einer von ihnen, der durch das Los zu bestimmen sei, heiraten und damit die Herzogslinie fortsetzen dürfe. Das Los fiel auf Hzg. Georg, der sich als hervorragender Administrator und - im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges bes. wichtig -als befähigter milit. Führer erwies. Der in der Forschung kaum berücksichtigte Vertrag von 1592, zu erschließen aus den ständ. Landtagsakten und aus der Herrschaftsnachfolge im Hzm., wo ein (unverheirateter) Bruder dem anderen folgte, bildete - während die braunschweig. Linie ihre eigene (Wolfenbüttel), für die dt. Literatur- und Kulturgeschichte zentrale Bestrebungen verfolgten - die genealog. Voraussetzung für den eingangs erwähnten Aufstieg des Welfenhauses zur europ. Dynastie.

So wichtig der Vertrag von 1592 für die künftige Konzentration welf. Macht im »Haus Hannover« war, so darf doch nicht übersehen werden, daß damals - die Ende des 17. Jh.s aufbrechende Rivalität zw. »braunschweigischer« und »hannoverscher« Linie andeutend - das Hzm. Wolfenbüttel das administrativ am weitesten entwickelte aller welf. Hzm.er war. Hier wirkten im Vergleich zu Lüneburg oder Calenberg-Göttingen siebenmal so viel studierte Räte am Hof.

Wer, was in der Geschichtsschreibung selten genug geschieht, die Dynastie in den Mittelpunkt des regionalen Geschichtsverlaufs stellt, wird notwendigerweise die aus allgemeingeschichtl. Perspektive auf die Landesgeschichte übertragenen Verlaufsschilderungen relativieren. Ein Beispiel: Es überrascht nach dem Bisherigen nicht, daß die Reformation unter dynastiegeschichtl. Perspektive eine den Zusammenhalt des Hauses zwar irritierende, aber keineswegs belastende Bedeutung zukommt. Der dezidierte Vorkämpfer der alten Kirche im dt. N, Hzg. Heinrich d. J. von Braunschweig (-Wolfenbüttel)wurde zwar 1542 durch einen Kriegszug des Schmalkaldischen Bundes aus seinem Hzm. vertrieben, aber die welf. Vettern verhinderten eine vollständige Depossidierung. 1547 wieder in sein Hzm. eingesetzt, verzichtet er darauf, die luther. Konfession in seinem Lande, jene Konfession, der seine Verwandten bis auf den abenteuernden Erich II. anhingen, zu unterdrücken. Der alternde Hzg., von Luther einst als »Hans Wurst« bekämpft, fügte sich widerstandslos in die Herrschaftsnachfolge seines dezidiert luther. Sohnes Hzg. Julius und wiegte, glückl. in Großvaterfreuden, seinen Enkel.