Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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LOTHRINGEN, HZG.E VON

I.

Der volkssprachl. Begriff L./Lorraine bezeichnet im späteren MA gleichermaßen einen geograph. Raum, der in etwa durch Argonnen, Ardennen und Vogesen begrenzt wird, wie den territorialen Herrschaftsbereich der (ober-)lothring. Hzg.e, der davon ledigl. einen Teil einnahm. Nicht der kaum faßbare Gf. Adalbert, dem Ks. Heinrich III. 1047 die (ober-) lothring. Herzogswürde übertrug, aber sein Bruder Gerhard, der ihm im nächsten Jahr im Amt nachfolgte, wird bei Sigebert von Gembloux mit dem Herkunftsnamen de Alsatia belegt. Die Bezeichnung»elsässisches Herzogshaus« wird auch in der jüngeren Lit. teilw. beibehalten, obwohl die lothring. Herkunft zweifelsfrei feststeht. Diese Zubenennung ist möglicherw. damit zu erklären, daß der deutschsprachige NO L.s, der in der Begrifflichkeit der Quellen durchaus mitunter dem Elsaß zugerechnet wurde, einen frühen Besitzschwerpunkt der Familie bildete (Parisse 1982).

II.

Der Markgrafentitel der Hzg.e, der bereits im 11. Jh. Bestandteil der offiziellen Titulatur wird, ist wohl als ein Ehrentitel anzusehen. Mit ihm wird schon vor der Übernahme des Herzogsamtes Gf. Adalbert in den »Notitiae fundationis monasterii Bosonis-Villae« (Busendorf) belegt. Eine Belehnung mit dem Hzm. ist erst für 1259 überliefert. Sie läßt im conductus und in der Aufsicht über die zw. Maas und Rhein stattfindenden Zweikämpfe noch den (ober-) lothring. Amtssprengel des otton.-sal. Dukats erkennen. Der Hzg. galt als der vornehmsteweltl. Rfs. links des Rheins, wo er für den Kg. das Amt des Seneschalls übernahm (hier bestand eine gewisse Konkurrenz zum Truchsessenamt des → Pfgf.en bei Rhein.) Nach 1198 trat er aber als Königswähler nicht mehr in Erscheinung. Nachdem unter → Ludwig dem Bayern der Kontakt zum Kgtm. über viele Jahre völlig abgerissen war, wurde 1361 bei der Lehnshuldigung gegenüber → Karl IV. neben den Einzelrechten der Dukat samt den Ehrenpflichten nicht mehr erwähnt. Das lothring. Territorium selbst aber galt nicht als lehnsrührig. 1391 vertrat dann Hzg. Karl II. gegenüber dem frz. Kg.erstmals die Auffassung, L. sei überhaupt kein lehnspflichtiges Fsm. So argumentierte 1495 auf dem Wormser Reichstag auch Hzg. René II. Eine endgültige Klärung gegenüber dem Reich erfolgte 1542 im Vertrag von → Nürnberg; L. wurde als ducatus liber et non incorporabilis anerkannt und blieb ledigl. dem Schutz und Schirm des Reiches unterstellt mit Ausnahme des von Frankreich lehnsrührigen Barrois mouvant und der früheren Lehen der Gft. Champagne. Von der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts wurde es weitgehend befreit. - Die Hzg.e verfügten über umfangr.Eigengut im unteren Saargau, im Waldland um Bitsch, an der unteren Meurthe, im Saintois und im Soulossois um Châtenois sowie über ausgedehnte Vogteirechte in den Vogesen (St-Dié, Moyenmoutier, Etival u. a.). Kgl. Fiskalgut entstammte der Besitz an der oberen Mosel um Flörchingen und Sierck. Als Reichslehen hielten sie die Vogteien über die Metzer Abteien St-Pierre und St-Martin und die bedeutende Vogtei über das Kl. → Remiremont, dessen Besitz zu einem guten Teil dem Aufbau der lothring. bailliage de Vosges diente. Zu den Reichslehen zählte auch die Vogtei überdie Stadt → Toul, die freilich seit dem Beginn des 14. Jhs umkämpft war.

III.

Nachdem im 12. und 13. Jh. zunächst die Zisterzen Stürzelbronn und Beaupré - und einmal auch Clairlieu - als Grablegen gedient hatten, übernahm nach dem Willen Hzg. Rudolfs I. die von ihm 1339 in Nancy begründete Kollegiatkirche St-Georges diese Funktion. Zu den Seelenmessen, die er hier für seine Vorfahren stiftete, gehörte auch eine Messe für den ritterl. Helden Garin le Loherain der Lothringerepen, qui fuit li uns des chies [chefs] de notre linaige. Sein Jahrtag wurde zu dieser Zeit auch im Metzer Stephansdombegangen. Die Stiftskirche wurde zum zentralen Gedächtnisort von Land und Dynastie. Als sich der herzogstreue lothring. Adel 1468 während der Burgunderkriege in einer compaignie au lion zusammenschloß, sollten hier die Wappenschilde der Mitglieder aufgehängt werden. Im Chor ließ René II. ein aufwendiges Grabmal für den vor Nancy erschlagenen Karl den Kühnen anlegen, dessen Inschriften den Lothringerhzg. als Schlachtensieger feierten. Als Siegesmal wurde auf dem Schlachtfeld ein Doppelkreuz errichtet. Unter diesem Zeichen hatten Renés Truppen gekämpft.Gedeutet als Emblem des ersten Kg.s von Jerusalem, Gottfried von Bouillon, wurde dieses sog. Lothringerkreuz zum Symbol der Dynastie und des Landes. - Erst in der Zeit Renés wird die genealog. Überlieferung des Hauses faßbar. Die »Brevis genealogia« Renés II., eine 1504/05 abgeschlossene Kompilation verschiedener Texte, stützt sich teilw. auf eine Galerie der lothring. Hzg.e, mit der einst ein Saal (wohl des hzgl. Palastes) in Nancy ausgemalt gewesen sein soll, die aber einer Renovierung zum Opfer gefallen sei. Die Tituli zu den einzelnen Bildern mit den Namen der lothring. Herrscherund ihrer Ehefrauen, die vor dem 12. Jh. einen fiktionalen Charakter tragen und mit einem gewissen Vasqueciens beginnen, entnahm der Redaktor einer Abschrift.

IV.

Das zweite lothring. Herzogshaus ist aus der Sippe der Matfriedinger hervorgegangen, die im Saar- und Niedgau sowie an der Mosel um → Metz verwurzelt war und im 10. Jh. die Gf.en von → Metz und mit Gottfried auch bereits einen Hzg. von (Nieder-) L. stellte. Die Verbindung der Anfang des 11. Jh.s auftretenden Geschwister Gerhard, Adalbert und Adelheid mit den Matfriedingern des 10. Jh.s konnte aber auch durch die Forschungen Hlawitschkas bisher nicht im Detail geklärt werden. Von einer Herkunft aus dem Hause Gottfrieds von Bouillon weiß im Gegensatzzur Wanddarstellung im Palast von Nancy erstmals die sog. »Chronique de Lorraine« zu berichten (1484/89), die sie für das Jahr 1475 auch René II. in den Mund legt. Nach dieser, im 16. Jh. durch die lothring. Hofgeschichtsschreibung weit verbreiteten Auffassung leiteten sich die Hzg.e in direkter Linie von Gottfrieds Bruder Wilhelm, Gf. von Boulogne, her.

Machtpolit. standen die Hzg.e bis ins frühe 13. Jh. ganz im Schatten der Gf.en von → Bar. Sie nahmen in dieser Zeit weder an einem der Kreuzzüge teil, die seit den Tagen Gottfrieds von Bouillon gerade auf den lothring. Adel eine bes. Anziehungskraft ausübten, noch machten sie überhaupt viel von sich reden. Eine territoriale Expansion und Verdichtung setzte erst mit den Hzg.en Matthäus II. (1220-51) und Friedrich III. (1251-1303) ein. Es gelang, die Gf.en von Lunéville von der unteren Meurthe völlig zu verdrängen. Mit der Erwerbung von Rosières erlangten die Hzg.e Zugang zu denSalzquellen des Saulnois und damit zum wichtigsten Wirtschaftsgut der Region. Friedrich begann mit dem Ausbau von Nancy zur Res., wo auch der erste bailli des Landes, der bailli le duc, seinen Sitz hatte. Daneben wurden der bailliage de Vosges sowie aus dem Besitzkomplex an der Saar der bailliage d'Allemagne gebildet, der mit dem Erwerb von Schaumburg aus der Erbmasse der Blieskasteler Gf.en und von Saargemünd bereits in etwa seine spätere Größe erreichte.Seit dem späten 14. Jh. profitierten die Hzg.e vom Machtverfall des → Metzer Hochstifts, das im 15. Jh. die Stiftsstädte Saarburg und Epinal abtreten mußte.

Als folgenr. erwiesen sich die Lehnsauftragungen an die Gf.en von Champagne im 12. und 13. Jh., darunter 1218 auch Neufchâteau, lange Zeit die wirtschaftl. bedeutendste Stadt des städtearmen Hzm.s. Sie dienten zunächst den Champagnegf.en und nach dem Anfall der Champagne an Frankreich dem frz. Kg. als polit. Druckmittel. Dieser unterwarf mittels der ehemaligen Champagnelehen die lothring. Hzg.e seiner Gerichtsbarkeit. Der frz. Einfluß erreichte 1335 mit der Regentschaft des Gf. von → Bar für den unmündigen Hzg. Rudolf, der mit Marie von Blois verh. wurde, seinen Höhepunkt. Seitdieser Zeit verfügten die Hzg.e über ein hôtel in Paris. In der zweiten Jahrhunderthälfte läßt sich eine gegenläufige Tendenz beobachten, die ihren Anfang nimmt von der Regentschaft des Gf. von → Württemberg für seinen Schwiegersohn Johann, im Land vertreten durch einen lieutenant aus dem lothring. Adel. Nicht zuletzt durch dessen Eigenmächtigkeiten verschärften sich die Konflikte um die Champagnelehen. Hzg. Karl II. ging dann auf Distanz zum frz. Königshof und lehnte sich an die → Wittelsbacher an. Er hatte keine überlebenden Söhne,konnte aber durch die Verbindung seiner Tochter Elisabeth mit René von Anjou nichtnur die Unabhängigkeit des Hzm.s von Frankreich langfristig sichern, sondern auch die 1431 wirksam gewordene Personalunion mit dem Hzm. → Bar einleiten. Der Gf. von Vaudémont, der 1473 als Hzg. René II. die Nachfolge der → Anjou antrat, vereinigte das gesamte Erbe des ersten und des zweiten lothring. Herzogshauses in einer Hand. Die Besetzung L.s durch Karl den Kühnen von Burgund und die des Barrois mouvant durch Ludwig XI. von Frankreich blieben Episode. Die Versuche Renés, auch in Italien das Erbe der → Anjouanzutreten, scheiterten allerdings an der Obstruktion Frankreichs.

Es gab in der Geschichte des Herzogshauses nur zwei größere Abschichtungen: Bereits in der Frühzeit der Herrschaft wurde 1070/73 mit der Ausstattung des zweitgeborenen Gerhard im nördl. Saintois um die Burg Vaudémont (südl. von Nancy) das Grafenhaus Vaudémont etabliert. Es erlosch zwar 1346 im Mannesstamm, doch kam die Gft. 1393 durch die Heirat Friedrichs, des jüngeren Bruders Hzg Karls II., wieder an das Stammhaus. Friedrich erkannte die Erbfolgeordnung von 1410 an, die den Töchtern Karls die Nachfolge im Hzm. zusicherte. 1425 wurde diese Regelung durch den Adel des Landes bestätigt.Trotzdem versuchte Friedrichs Sohn Gf. Anton von Vaudémont nach Karls Tod 1431 die Nachfolge anzutreten. In der Schlacht von Bulgnéville gegen René von Anjou noch siegreich, mußte der Gf. von Vaudémont nach dem Wegfall der burgund. Unterstützung auf seinen Anspruch vorläufig verzichten. - Zu einer weiteren Abschichtung kam es 1179, als der nachgeborene Friedrich (von Bitsch) eine fakt. Teilung des Hzm.s durchsetzte, bei der ihm v. a. der Besitz im deutschsprachigen NO zufiel. Friedrich erscheint in Kaiserurk.n mitunter als dux. Die Teilung aber blieb ohne Folgen,da sein erstgeborener Sohn Alleinerbe des gesamten Hzm.s wurde. Apanagierte nachgeborene Söhne Friedrichs von Bitsch begründeten die Linien Bayon und Châtelet (wohl illegitim). In ähnl. Weise gingen aus der hzgl. Hauptlinie hervor die Herren von Flörchingen/Florange und die Gf.en von Toul, aus diesen wiederum die Herren von Ennery, von Coussey und von Montreux (en Ferrette) sowie aus den Gf.en von Vaudémont die Herren von Deuilly. Diese Herrschaften waren eher unbedeutend, die einzelnen Linien meist kurzlebig. - Bitsch hatte bereits Anfang des 12. Jh.s der Versorgung eineszweitgeborenen Sohnes des Herzogshauses gedient, der jedoch 1127 als Erbe seiner Mutter die Gft. Flandern übernehmen konnte. Er und sein nachfolgender Sohn regierten in Flandern bis 1191.

Heiratspolit. waren die Hzg.e lange Zeit nur bedingt erfolgreich. Die Verbindung mit den → Staufern schuf die Voraussetzungen für die Emanzipationsbestrebungen Friedrichs von Bitsch, der sich häufig am ksl. Hof aufhielt und in das poln. Königshaus einheiratete. Anfang des 14. Jh.s verbanden sich die L.er mit den → Habsburgern und Ende des 14. Jh.s mit den → Wittelsbachern. Beider Kgtm. scheiterte wenige Jahre später. Zahlr. waren die Heiratsverbindungen mit gfl. Familien, die aber nur im Fall der Harcourt Ende des 15. Jh.s einen nennenswerten Gebietszuwachs einbrachten; beider Dagsburger Erbschaft zu Beginn des 13. Jhs gingen die Hzg.e ganz leer aus. Der mit den Gf.en von → Württemberg 1367 geschlossene wechselseitige Erbvertrag blieb folgenlos. Erst die Anjouheirat eröffnete 1420 durch die Erbvereinigung mit → Bar eine ganz neue Perspektive.

Quellen

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Duvernoy, Emile: Les Etats généraux des duchés de Lorraine et de Bar jusqu'à la majorité de Charles III (1559), Paris 1904. - Hlawitschka, Eduard: Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen. Genealogische Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches im 9., 10. und 11. Jahrhundert, Saarbrücken 1969 (Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 4). - Marot, Pierre: Le Duc de Lorraine René II et la Bataille de Nancydans l'historiographie et la tradition lorraines, in: Cinqcentième anniversaire de la bataille de Nancy (1477). Actes du colloque organisé par l'Institut de Recherche Régionale en Sciences Sociales, Humaines et Économiques de l'Université de Nancy II (Nancy, 22-24 sept. 1977), Nancy 1979 (Annales de l'Est. Mémoire, 62), S. 83-126. - Mohr, Walter: Geschichte des Herzogtums Lothringen, Bd. 3: Das Herzogtum der Mosellaner 11.-14. Jahrhundert, Trier 1979; Bd. 4: Das Herzogtum Lothringen zwischen Frankreich und Deutschland14.-17. Jahrhundert, Trier 1986. - Parisse 1976. - Parisse 1982. - Poull 1991. - Thomas, Heinz: Die lehnrechtlichen Beziehungen des Herzogtums Lothringen zum Reich von der Mitte des 13. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, in: RhVjbll 38 (1974) S. 166-202. - Thomas 1973.