Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Stiftungen

Im Bestreben, eine Stiftung zu errichten, spiegelt sich ein »alter« Traum des Menschen: Denn der zentrale und prägende Gesichtspunkt stifter. Handelns liegt wohl seit jeher im Wunsch des Einzelnen, über den Tod hinaus fortzuwirken, indem man etwas Bleibendes und – wie man hofft – Unvergängl. erschafft (Liermann 1963, S. 1). Dabei verschränken sich zwei nahezu konträre Leitziele: Einerseits soll eigenes Vermögen auf Dauer einem karitativen Zweck zugeführt werden, womit Werte wie Nächstenliebe und karitative Verantwortung angesprochen werden; doch geht damit zugleich die Zielsetzung einher, die Erinnerung an die Stifterpersönlichkeit und dessen Familie aufrecht zu erhalten – sei es aus persönl. oder polit. Gründen.

Diesen Gestaltungswillen eines Individuums trägt der moderne Stiftungsbegriff Rechnung, wie er im 19. Jh. ausgebildet wurde (Ebersbach 1972, Liermann 1963). Dabei schreibt man der Stiftung den »Status einer juristischen Person« zu, »die mit Rechtsfähigkeit und rechtlicher Handlungsfähigkeit ausgestattet ist« (Ebersbach 1972, S. 72). Damit ist gemeint, daß eine durch Stiftung errichtete Anstalt, eine Kirche etwa oder ein Hospital, ein Museum oder eine Universität, rechtl. so handeln kann wie ein Mensch, eine natürl. Person. Die Anwendung des so gefaßten Stiftungsbegriffs auf ältere Zeiten gestaltet sich nach dem momentanen Forschungsstand unterschiedl. Denn nach der Rechtswissenschaft bildet sich ein »Stiftungsrecht im eigentlichen Sinn« im christl. dominierten Kaiserrecht der Spätantike heraus. Dagegen geht die moderne sozialhistor. Forschung davon aus, daß ein dem Begriff der »Stiftung« entspr. Terminus nicht bekannt ist. Auf beide Stiftungsbegriffe soll im folgenden eingegangen werden.

Im spätantiken röm. Recht verdienen die Zuwendungen an Häuser ad pias causas Beachtung, wobei es spätestens mit Justinian ein umfassendes Schutzsystem gibt, wobei nun von »Stiftungsrecht« gesprochen werden kann. Ausgehend vom modernen Stiftungsrecht, können aber die sog. piae causae noch nicht als selbständige Rechtsträger, doch als Ansatzpunkte eines dogmat. Denkens gewertet werden.

Im frühen MA sorgte v. a. die Kirche für rechtl. Kontinuität: Die Xenodochien, das sind Häuser für Bedürftige, unterstanden kirchl. Einrichtungen, waren Teil des Kirchenvermögens und wurden der Jurisdiktion des Bf.s unterstellt. Zudem blieben die röm. Regelungen zu Testamenten und Vermächtnissen ad pias causas bewahrt, indem man sie ebenfalls der kirchl. Jurisdiktion unterstellte.

Der wirtschaftl. Aufschwung im städt. Bereich erfaßte auch das Stiftungswesen, das einen Wandel durchläuft. Gerade das ma. Hospital – als Nachfolger der spätantiken piae causae – kann weltl. Organisationsformen durch adelige oder bürgerl. Spitalbruderschaften annehmen, wobei anstelle des Bf.s der Stadtrat als Aufsichtsorgan fungierte.

In dieser Zeit entwickelt das gelehrte Recht des MA – angelehnt an römischrechtl. Texte – Vorstellungen, die an die sog. Fiktionstheorie jurist. Personen erinnern. Gestützt auf Sinibaldus Fliscus, den späteren Papst Innozenz IV., etabliert sich die Auffassung, man habe bei stiftungsartigen Konstruktionen, ebenso wie bei Körperschaften und universitates, von personae repraesentatae auszugehen, die das ihnen zugeordnete Vermögen unabhängig vom Wechsel der Verwaltungsorgane oder Begünstigten als abgesondertes Gut bewahren können.

Diese Sicht begünstigt die Ausprägung weiterer Stiftungstypen, so daß das röm. Recht in der Folgezeit selbständige (fundatio autonoma) und unselbständige Stiftungen (fundatio non autonoma) unterscheidet. Die selbständige Stiftung ist eine von der zuständigen kirchl. Autorität als jurist. Person errichtete Sachengesamtheit und hat damit Organisationsstruktur, Rechte und Pflichten einer Rechtsperson. Für die Rechtsfähigkeit im weltl. Bereich sind die staatl. Vorschriften zu beachten. Bei einer unselbständigen Stiftung (Zustiftungen, Fiduziarstiftungen) sind Temporalien einer öffentl. Rechtsperson der Kirche übergeben mit der Auflage, bestimmte Zeit aus den Erträgen (reditus) einen frommen Zweck zu verfolgen, insbes. die Meßfeiern (Meßstiftungen). Hier zeigt sich auch, daß nun zahlreiche weitere Stiftungszwecke zu den piae causae gezählt werden, wie Vorhaben im öffentl. Interesse, das sind Schulen, Straßenbau etc.

Der Stiftungsbegriff des Sinibaldus Fiesci verdeutlicht übereinstimmend mit vielen Urk.n der Zeit aber auch eine korporative Grundhaltung, wobei der Stifter als ein »metaphysisch fortexistierendes« Mitglied der von ihm ins Leben gerufenen Gemeinschaft darstellt. Darüber hinaus betont gerade die sozialgeschichtl. Forschung eine Stifterperspektive, die quellenkundl. nicht immer zu erschließen sei. Demnach hat Stiftung mit Memoria zu tun, d. h. Überwindung des Todes und des Vergessens durch »Gedächtnis« und »Erinnerung«. Dies geschieht durch Gabenaustausch zw. dem »toten« Stifter und der von ihm kreierten Gemeinschaft. Die Verschmelzung beider Aspekte von Stiftung, dem rechtsgeschichtl. sowie dem sozialgeschichtlichen, entspricht der zeitgenöss. Praxis und stellt ma. sowie frühneuzeitl. Stiftungswirklichkeit dar.

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