Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Gottesdienst und Frömmigkeit

Beichtväter

1200-1450

Neben ihren vornehml. Tätigkeiten in Diplomatie und Schreibdienst – in Hofkapelle und Kanzlei – übernahmen Hofgeistliche bereits im hohen MA auch seelsorgerl. Tätigkeiten am Hof. Dennoch kam es erst ab dem 14. Jh. allmähl. zu einer engeren Anbindung der Hofgeistlichen an den Hof. Die Tätigkeiten in den Schreibstuben und Kanzleien traten in den Hintergrund und die Geistlichen, v. a. die Beichtväter, übernahmen nun Funktionen als Berater der Fs.en. Zur Rolle der Beichtväter im SpätMA gibt es für den Prager Hof einige Untersuchungen, die den Einfluß der Deutschherrenritter unter Premysl hervorheben; unter Wenzel wurden dann böhm. Zisterzienseräbte zu Hofdiensten herangezogen. Am ebfl. Hof in Prag hatten v. a. Augustiner-Chorherren aus Raudnitz das Amt des Beichtvaters inne. Unter Karl IV. war der Prager Ebf. der engste Berater des Herrschers; er übernahm in Abwesenheit des Ks.s stellvertretend auch Herrschaftsfunktionen.

1450-1550

Es ist wohl davon auszugehen, daß sich das Amt des Beichtvaters als Hofamt Anfang des 16. Jh.s etablierte. Allerdings ist weiterhin kaum zw. der Benennung Hofprediger und Beichtvater zu unterscheiden. Am ksl. Hof in Wien gab es unter Ks. Maximilian I. offenbar noch keine Institutionalisierung der Position des Beichtvaters. Die Kartäuser Gregor Reisch, Johannes Geiler von Kaisersberg und Johannes Trithemius wurden als Beichtväter herangezogen. Erst unter Ferdinand I. übernahm in den 1520er Jahren der Wiener Bf. Johann Fabri Aufgaben des Beichtvaters. Er reiste im Gefolge des Ks.s mit und predigte anläßl. der Reichstage, bspw. 1526 in Speyer. Im frühen 16. Jh. ist noch kein Orden als vorherrschend zu bezeichnen, aus dem Beichtväter rekrutiert würden, meist übernahmen Franziskaner und Dominikaner die Position. Generell zählten das Abnehmen der Beichte, die Austeilung des Sakraments, die Mitsprache bei der Nachbesetzung geistl. Ämter in der Hofkapelle sowie die Erziehung des adeligen Nachwuchses und die Begleitung auf Reisen zu den Aufgaben der Beichtväter.

Für das 16. Jh. ist eine noch als ambivalent zu bezeichnende Integration der Beichtväter in die polit. Entscheidungsfindung festzustellen. Karl V. bezog seine Beichtväter weitreichend in Entscheidungen mit ein; v. a. durch den aus der frz. Gft. Maine stammenden Franziskaner Jean Glapion wurde die polit. Bedeutung des Beichtvaters offensichtlich. Dagegen gestand Ferdinand I. seinen Beichtvätern meist nur die Erfüllung geistl. Aufgaben zu und schränkte ihre polit. Beratertätigkeit ein.

Am Hof der Wittelsbacher in München übernahm der Jesuit Dominikus Menghin unter Hzg. Wilhelm V. die Position des Beichtvaters. In Bayern ist gegenüber anderen kathol. Höfen eine recht frühe Kontinuität von Jesuitenpatres in der Funktion der Beichtväter festzustellen.

1550-1650

Im späten 16. Jh., nach dem Konzil von Trient, lassen sich die Position eines kathol. Beichtvaters und eines protestant. Hofpredigers unterscheiden. Seit dem Ende des 16. Jh.s setzten sich die Jesuiten als vorherrschender Orden durch, aus dem Beichtväter rekrutiert wurden – sowohl an weltl. als auch an geistl. Fürstenhöfen. In der Münchner Res. der Wittelsbacher übernahm Kaspar Torrentinus in den 1590er Jahren das Amt des Beichtvaters; auch an der Konversion des Pfgf.en Wolfgang Wilhelm in Neuburg (1613/14) waren Jesuitenpatres beteiligt. In München kommt der polit. Einfluß der jesuit. Beichtväter u. a. dadurch zum Ausdruck, daß diese im »Geheimen Rat« saßen und zudem die Oberaufsicht über alle »Policey«-Angelegenheiten hatten.

Am Kaiserhof konnten sich die Jesuiten erst etwas später etablieren. Seit Ks. Rudolf wurde eine Trennung zw. dem Amt des Beichtvaters und dem Amt des Hofpredigers vorgenommen. Sowohl unter Rudolf als auch unter Matthias übernahmen Jesuitenpatres ledigl. die Stelle des Hofpredigers, etwa Georg Scherer (1540-1605), während die Beichtväter aus dem Minoritenorden kamen (Joanni Bernardino unter Matthias) oder Weltgeistliche waren, bspw. Johannes Pistorius (unter Ks. Rudolf). Hofprediger war der einflußreiche Kard. Melchior Khlesl. Erst unter Ks. Ferdinand II. bzw. Ferdinand III. etablierten sich mit Balthasar Villery, Martin Beccanus und Wilhelm Lamormaini sowie Johann Gans Jesuiten als Beichtväter der habsburg. Ks. Auch die übrigen Mitglieder des Kaiserhauses, die Ehzg.e und Ehzg.innen, hatten eigene Beichtväter, so daß die habsburg. Res.en Graz und Innsbruck ebenfalls fast ausnahmslos von jesuit. Patres betreut wurden.

Die Ernennung von Beichtvätern geschah entweder aufgrund einer Vorschlagsliste, die der Provinzial oder General der Jesuiten an den Ks. bzw. den Fs.en sandte und aus der dieser dann auswählte. In anderen Fällen wurde der Beichtvater auf den Wunsch des Fs.en hin berufen. Neben dem Landesfs.en nahmen auch andere am Hof residente Adelige bei den Beichtvätern geistl. Dienste und Hilfe in Anspruch. Als herausragende Persönlichkeiten unter den Beichtvätern an den bedeutendsten kathol. Höfen des Reiches können Wilhelm Lamormaini in Wien und Adam Contzen in München gen. werden. Sie stehen beispielhaft für den ausgeprägten Einfluß auf die regierenden Fs.en, für die weitreichende Einbeziehung in die polit. Entscheidungsfindung und in diplomat. Angelegenheiten. Beide waren unmittelbar in Auseinandersetzungen zw. Ks. Ferdinand II. und Kfs. Maximilian I. involviert, etwa 1632 in Streitigkeiten über die Führung der Liga. Über Adam Contzen liefen zudem alle Gesandtenschreiben, diplomat. Bemühungen nahmen ihren Anfang häufig bei den Beichtvätern. Auch als Autoren wichtiger kathol. bzw. polit. Werke sowie als Verfasser von Gutachten zu staatsrechtl., auch nicht-religiösen Angelegenheiten waren Beichtväter gefragt.

Der dominante Einfluß der Beichtväter auf ihre Fs.en ist immer wieder hervorgehoben und bereits von den Zeitgenossen kritisiert worden; Intrigen und Angriffe waren die Folge. Eine Ordnung für die fsl. Beichtväter »De Confessariis Principium« des Jesuitengeneral Claudia Aquaviva (1602) sollte einen gewissen Codex für das Verhalten am Hof vorgeben. Der Orden reagierte damit auch auf Vorwürfe, die Patres würden sich zu stark in der Politik und Diplomatie engagieren. So forderte die Ordnung grundlegend, die Beichtväter sollten gegenüber den Fs.en ihre Unabhängigkeit bewahren und sich auf geistl. Tätigkeiten konzentrieren. Auch die Integration in den Hofstaat, die eine räuml. Nähe zum Hof mit sich brachte, stieß auf Kritik. Der Beichtvater sollte, so die Ordnung von Aquaviva, weiterhin im Haus des Ordens wohnen und dessen Hausordnungen unterstellt bleiben. Bei Reichstagen, wo viele Beichtväter zusammenkamen, sollte man behandelt werden wie alle anderen Geistlichen und in einem gemeinsamen Speiseraum essen, nicht in Privatzimmern. Der Besitz von Luxusgegenständen sollte ebenfalls verboten werden.

Die Entwicklungen im 17. Jh. verdeutl. jedoch, daß die jesuit. Beichtväter immer stärker zu wichtigen, manchmal zu den wichtigsten Beratern der Fs.en aufstiegen und viele am Hof ihre Wohnung nahmen. Sie verfügten über einen eigenen kleinen Hofstaat, der, so läßt sich dies für den Kaiserhof in Wien belegen, aus den Mitteln des Kaiserhauses bezahlt wurde. In Wien umfaßte der Hofstaat des Beichtvaters einen, ebenfalls jesuit., Sozius, einen auswärtigen Diener und, unter Ks. Ferdinand II., bspw. zudem einen Tafeldecker. Gegenüber Klagen, daß ein solcher Hofstaat gegen das Armutsgebot verstieße, rechtfertigten sich die Beichtväter mit dem Hinweis, ein auswärtiger, vom Hof gestellter Diener sei nötig, damit sie sich ins Zeremoniell einfinden und wichtige Kontakte knüpfen könnten.

Quellen

Roberto Bellarmino, De Officio principis christiani libri tres (frz.: Le Monarque parfait, ou Le devoir d'un prince chrétien. Comp. en lat. par le Cardinal Bellarmin. Et mis en franç. par Iean de Lannel), Paris 1625. – Adam Contzen, Daniel aulae speculum. Sive de statu, vita, virtute aulicorum atque magnatum, Coloniae Agrippinae 1630. – Antonio de Guevara, Der Hofleut Wecker, darinn […] angezeyget würd, welcher massen sich eyn Hofman gegen menniglich erzeygen soll (etc.), Straßburg 1582. – Antonio de Guevara, Institutiones vitae aulicae, oder Hof Schul. Anfangs in Hispanischer Sprach componiert. Anjetzo aber durch Aegidium Albertinum verteutscht, München 1602. – Christophorus Schreiner, Oculus, hoc est; fundamentum opticum in quo ex accurata oculi anatome […] raidius visualis eruitur, sua visioni in oculo sedes decernitur, anguli visorii ingenium aperitur, Oeniponti 1619.

Bireley, Robert: Maximilian von Bayern, Adam Contzen S.J. und die Gegenreformation in Deutschland 1624-1635, Göttingen 1975 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 13). – Duhr, Bernhard: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge im XVI. Jahrhundert, 1. und 2. Tl., Freiburg 1907 (Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 1 und 2). – Hlaváček, Ivan: Geistlich und weltlich am Hofe der letzten Přemysliden und der Luxemburger, in: Erziehung und Bildung bei Hofe, 2002, S. 157-166. – Klewitz, Hans-Walter: Cancellaria. Ein Beitrag zur Geschichte des geistlichen Hofdienstes, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 1 (1937) S. 44-79. – Kovács, Elisabeth: Einflüsse geistlicher Ratgeber und höfischer Beichtväter auf das fürstliche Selbstverständnis, auf Machtbegriffe und politische Entscheidungen österreichischer Habsburger während des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Cristianesimo nella storia 4 (1983) S. 79-102. – Seils, Ernst-Albert: Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater Kurfürst Maximilian I. von Bayern, Lübeck u. a. 1968 (Historische Studien, 405). – Wolfsgruber, Cölestin: Die k.u.k. Hofburgkapelle und die k.u.k. Geistliche Hofkapelle, Wien 1905.