Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Gottesdienst und Frömmigkeit

Kapläne

Der Begriff Kaplan (capellanus, clericus de capella) läßt sich bis in die Zeit des fränk. Hausmeiertums in der ersten Hälfte des 8. Jh.s zurückverfolgen. Ursprgl. wurden damit die Hofgeistlichen bezeichnet, die den Mantel (cappa) des hl. Martin von Tours und dann allg. den kgl. Reliquienschatz hüteten und den Gottesdienst am Hof zelebrierten. Das geistl. Aufgabenspektrum der capellani erweiterte sich schon unter dem ersten Karolingerkg. Pippin, indem sie nun auch zur Ausstellung von Urk.n eingesetzt wurden. Kapläne werden deshalb im frühen und hohen MA Kleriker im kgl. Umkreis gen., die der geistl. Versorgung des Hofes dienten, die aber auch für Beurkundungen und andere Verwaltungstätigkeiten herangezogen wurden. Die als Hofkapelle bezeichnete Gemeinschaft der Kapläne am fränk.-dt. Königshof wurde seit Otto I. zudem zu einem wichtigen Rekrutierungspotential für die Besetzung von Reichsbm.ern (sog. otton.-sal. Reichskirchensystem).

Seit dem HochMA sind Kapläne in entspr. Funktion auch an den Höfen weltl. und geistl. Großer nachweisbar. Wohl beeinflußt von der kgl. Hofkapelle bestand seit dem frühen 11. Jh. an der päpstl. Kurie ebenfalls ein Kreis von Kaplänen. Capella wurde sowohl die Körperschaft der Kapläne, die ein Gremium von Geistlichen bildeten, als auch der Kirchenraum, dem sie zugeordnet waren, gen. Im Vordergrund stand im hohen MA jedoch noch die Beurkundungstätigkeit der Kapläne, die vielfach zugl. Angehörige von Kl.n oder Kollegiatstiften waren. In wachsender Zahl erscheinen seit dem hohen MA auch Kapläne im Dienste adeliger Herren, die mit einem Benefizium in der Burgkapelle (kirchenrechtl. stets als capellania sine cura) ausgestattet waren. Entspr. begegnen Kapläne vielfach auch als Geistliche in den Kapellen landesherrl. Amtsburgen, doch sind diese stets von den Hofkaplänen zu unterscheiden.

Im späten MA unterlagen die Kapläne am Hof einem Funktionswandel, indem sie wieder auf ihre rein geistl.-liturg. Aufgaben beschränkt wurden. Davon nun getrennt ging die Entwicklung der Kanzlei mit den für die Beurkundungstätigkeit zuständigen Notaren andere Wege. Die Entwicklung der geistl. Hofkapellen seit dem 12./13. Jh. ist allerdings »von der Forschung vernachlässigt worden, und speziell über die Kapellen der Herrscher und Fürsten des 15. Jahrhunderts ist kaum etwas bekannt« (Heinig 1997). Hauptaufgabe der Kapläne war nun wieder die Durchführung der Gottesdienste. Dabei wandelte sich die Zusammensetzung der Hofkapellen unter dem Einfluß ästhet. Veränderungen (Vordringen des mehrstimmigen Gesangs seit dem 14. Jh. aus Frankreich bei Ausgestaltung der Gottesdienste). Neben den geistl. Kaplänen wurden deshalb in wachsender Zahl auch Choristen oder Sänger in die Kapellen aufgenommen.

Kapläne als Hofgeistliche sind auch an den Höfen der Frühen Neuzeit nachweisbar (Abb. 44). Ausgehend von dem geistl.-liturg. Aufgabenbereich der Kapläne wird die Hofkapelle seit dem 16. Jh. jedoch funktional allmähl. zur Musik-Kapelle. Dabei wurde aber zunächst daran festgehalten, daß zum Gremium der Hofkapelle neben den Geistl. zwar die Sänger und Organisten gehörten, die nun aus dem Laienstand stammten, während die wachsende Zahl der übrigen Instrumentisten jedoch nicht zur Kapelle gerechnet wurde. Wie an den habsburg. Höfen im Laufe des 16. Jh.s zu beobachten ist, war der Vorsteher der Hofkapelle noch immer ein hoher Geistlicher, neben den aber ein leitender Musiker als Hofkapellmeister trat. An den protestant. Höfen ist seit der Mitte des 16. Jh.s die Tendenz zu beobachten, daß anstelle der herkömml. Hofkapellen Kantoreien neu geschaffen wurden, die ausschließl. Sänger und Instrumentisten umfaßten (z. B. Gründung einer Hofkapelle durch Kfs. Moritz von Sachsen 1548). Die Leiter dieser Musikkollegien wurden ebenfalls als Hofkapellmeister bezeichnet. Die führenden Kapellmeister an den dt. Höfen stammten seit der Mitte des 16. Jh.s zumeist aus den Niederlanden, z. T. aber auch aus Italien (z. B. Orlando di Lasso in München). Neben der Ausgestaltung der Gottesdienste gehörte es in der Frühen Neuzeit auch zu den Aufgaben der Hofkapellen, an der fsl. Tafel oder bei festl. Veranstaltungen wie Turnieren aufzuwarten. Mit dem Wandel der Hofkapelle verlor die Finanzierung ihrer Mitglieder durch geistl. Pfründen und kirchl. Einkünfte an Bedeutung, so daß die Mitglieder der Kapelle und die Instrumentisten aus den landesherrl. Einnahmen bezahlt werden mußten. Die Erforschung der Hofkapellen in der Frühen Neuzeit und deren Entwicklung zum Orchester ist vornehml. Aufgabe der Musikgeschichte.

Aber, Adolf: Die Pflege der Musik unter den Wettinern und wettinischen Ernestinern. Von den Anfängen bis zur Auflösung der Weimarer Hofkapelle 1662, Bückeburg u. a. 1921 (Veröffentlichungen des Fürstlichen Instituts für musikwissenschaftliche Forschung in Bückeburg, 4,1). – Eder, Karl: Zwischen Spätmittelalter und Reformationszeit. Der steirische Pfarrer Dr. Jakob Radkersburger, Hofkaplan Kaiser Maximilians I. (1480-1540), hg. von Helmut J. Mezler-Andelberg, Innsbruck 1960. – Haider, Siegfried: Das bischöfliche Kapellanat 1: Von den Anfängen bis in das 13. Jahrhundert (MIÖG Ergänzungsbd 25), Wien usw. 1977 (mehr nicht erschienen). – Heinig 1997, S. 801-804. – Kurze 2001. – Mörtzsch, Otto: »Unser hergot« in mittelalterlichen Amtsrechnungen, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 50 (1929) S. 225-228. – Müller, Edgar: Die Kapläne der Herren von Plesse im 13. Jahrhundert, in: Burgenforschung in Südniedersachsen, hg. von Thomas Moritz, Göttingen 2001, S. 127-141. – Müller, Wolfgang: Die Kaplaneistiftung (praebenda sine cura) als spätmittelalterliche Institution, in: Von Konstanz nach Trient. Festgabe für Albert Franzen, Freiburg 1972, S. 301-315. – Ruhnke, Martin: Beiträge zu einer Geschichte der deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jahrhundert, Berlin 1963. – Ruhnke, Martin: Art. »Kapelle«, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 2., neubearb. Ausg., Sachteil 4, Kassel 1996, Sp. 1788-1797 (mit umfassenden Literaturnachweisen zur Geschichte der Hofkapellen und -kantoreien).