Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

Zurück zur Liste

Familie (weitere)

Favoriten

Begrifflichkeit und Grundlagen

Der Günstling des Herrschers, der eine ungewöhnl. enge, andere Ratgeber tendenziell marginalisierende persönl. Vertrautheit mit dem Fs.en mit einer dominierenden Stellung am Hof und in der Regel auch einem starken Einfluß auf die Patronagepolitik seines Herren verbindet, ist eine Figur, die sich in den meisten monarch. Herrschaftssystemen episod. findet, deren Position sich jedoch im Übergang vom MA zur Neuzeit deutlich wandelte. Die Macht des Favoriten konnte zum Teil auf amtl. Kompetenzen beruhen, auf Verwaltungs- und Hofämtern, aber sie erschöpfte sich nicht in solchen Kompetenzen, fast immer kamen fakt. ausgeübte Befugnisse hinzu, die keine klare rechtl. Grundlage hatten, und die auf einer impliziten Stellvertretung des Herrschers in allen Fragen, in denen dieser nicht direkt selber handelte, beruhte. Die Position des Favoriten findet ihr Fundament in der Regel nicht zuletzt in seiner Fähigkeit, beständig Zugang zum Herrscher zu erlangen und den Zugang anderer Personen zum Fs.en zu kontrollieren. Diese Kontrolle konnte wiederum zum Teil mit einer mehr oder weniger offiziellen Position bei Hofe verbunden sein, etwa als Hofmeister oder Oberstkämmerer, konnte aber auch rein informeller Natur sein. Die Macht des Favoriten stand dabei zum Teil in einem ausgeprägten Spannungsverhältnis zum Einfluß von Kollegialgremien, v. a. ständ. Vertretungen oder von Ratsorganen, in denen Magnaten oder andere hochrangige Adlige den Ton angaben. Dabei ist der Favorit aus der Sicht seiner meist zahlreichen Kritiker oft der klass. »böse Rat«. Gegen den Favoriten spricht die Vorstellung, daß ein Herrscher sich seine Ratgeber nicht willkürl. aussuchen dürfe, daß es geborene Ratgeber gebe und daß es zumindest in bestimmten Politiksphären, bes. außerhalb der Welt des Hofes, mögl. sei, von einem Unterschied zw. privat und öffentl. zu sprechen, ein Gedanke, der im Laufe der Frühen Neuzeit deutlich an Einfluß gewann. Unter Umständen warf man dem Favoriten auch vor, den Herrscher selbst in den Hintergrund zu drängen, und eine gewisse Rivalität zw. Favorit und Herrscher, die zum Teil auch die plötzl. Stürze von Günstlingen erklärt, war in der Tat strukturell vorgegeben. Auch die Verwicklung in dubiose Finanzgeschäfte, die in der Realität vermutl. zum Teil die des Herrschers selbst gewesen sein dürften, und andere Formen der Korruption spielten eine gewisse Rolle in der Favoritenkritik Gelegentl. versuchte man den Favoriten auch durch den Hinweis auf angebl. oder wirkl. sexuelle Ausschweifungen zu diskreditieren. Sexuelle Beziehungen zur fsl. Familie waren dabei bes. brisant.

Spätes Mittelalter und frühes 16. Jahrhundert

In einer Situation, in der der Hof noch das eigentl. Zentrum der Verwaltung ist und die wichtigsten Amtsträger ihre herausgehobene Stellung oft der direkten, nur für den Einzelfall vorgenommenen Beauftragung durch den Herrscher verdanken, ist der dominierende und zugleich eher informelle Einfluß eines engen Vertrauten des Herrschers auf polit. und administrative Vorgänge zunächst nicht ungewöhnl. Auch die Position hoher Amtsträger oder Höflinge als »Mitunternehmer«, des Fs.en, die ihre persönl. Ressourcen für ihren Herren einsetzen, aber auch fsl. Einkünfte in die eigene Tasche lenkten, war in der Struktur fsl. Herrschaft bis zu einem gewissen Grade angelegt. Dennoch sahen sich übermächtige Favoriten nicht selten mit der Opposition großer Lehensträger und anderer ständ. legitimierter potentieller Ratgeber des Fs.en konfrontiert. Freilich ist der klass. Typus des Favoriten im engeren Sinne des Wortes, also eines Günstlings, dessen Machtposition ausschließl. auf der persönl. Zuneigung des Herrschers und einer dominanten Stellung bei Hofe beruht, ohnehin im hier betrachteten geograph. Raum eher der Ausnahmefall. Häufiger ist ein leitender Amtsträger, der nicht zuletzt durch die Beherrschung der zentralen Ratsgremien zum »secundus dominus territorii«, zum zweiten Herren des Landes, wird. Für diesen Typus bietet etwa der Hofmeister Hzg. Albrechts von Österreich (1365-95), Hans von Liechtenstein zu Nikolsburg († 1397), ein Beispiel, aber auch der hess. Hofmeister Hans von Dörnberg (1427-1506) oder der kursächs. Obermarschall Hugold von Schleinitz († 1490) haben im 15. Jh. vergleichbare Positionen inne. Zu Beginn des 16. Jh.s gelang es dem Spanier Gabriel Salamanca († 1544) beim Bruder Ks. Karls V., Ehzg. Ferdinand, dem späteren röm. Kg. und Ks., eine herausragende Machtposition in der Verwaltung und am Hof zu erlangen. Er mußte allerdings unter dem Druck der Stände 1525 sein Amt als Schatzmeister des Ehzg.s niederlegen und konnte nur noch aus dem Hintergrund Einfluß ausüben. Anders als anderen Favoriten war es ihm, der als Ausländer und Aufsteiger bes. leicht zu attackieren war, nicht gelungen, sich durch Heiratsverbindungen und durch polit. Allianzen hinreichend in der Gesellschaft des älteren Adels zu etablieren.

1550-1650

Mit der Verfestigung einer bürokrat. Verwaltung außerhalb des Hofes im Laufe des 16. Jh.s verändert sich die Position der Favoriten. Ihre Stellung fällt nun bes. ins Auge, da sie im Gegensatz steht zu einem Verwaltungssystem mit festen, rechtl. fixierten Kompetenzen, das die ad hoc-Übertragung von Aufgaben an Einzelpersonen zur Ausnahme werden ließ. In einer bürokrat. Umwelt, in der zahlreichen Entscheidungsprozesse verrechtlicht sind, nimmt die rechtl. grundsätzl. nicht fixierbare vertragslose Beziehung zw. Herrscher und Favorit eine markante Ausnahmeposition ein. Allerdings ist der in Westeuropa verbreitete Typus des höf. Günstlings, der ausgehend von einer eher bescheidenen Position in der ständ. Hierarchie gestützt allein auf die bes. »Freundschaft« des Fs.en zum alter ego des Monarchen wird, und versucht, eine selbständige Position als adliger Magnat zu erlangen, wie ihn in Frankreich etwa die »mignons« Kg. Heinrichs III. (1576-89) verkörpern, in Dtl. eher die Ausnahme. Häufiger sind leitende Minister, Kammersekretäre oder Räte, die sich durch ihren dominierenden Einfluß auf Entscheidungen im Kontext der arcana imperii – dynast. Politik, Diplomatie, zum Teil aber auch die Konfessionspolitik – eine übermächtige Position sichern. Sich in der Sphäre des persönl. Regimentes des Fs.en bewegend, werden sie u. U. zu Gegenspielern einer durch fest gefügte Familienverbände dominierten Verwaltung und der Landstände wie in Württemberg der Geheime Rat Hzg. Friedrichs (reg. 1593-1609), Mathäus Enzlin (1556-1613). Veränderte polit. Konjunkturen – namentl. der Tod des Fs.en – führten allerdings nicht selten zu ihrem Sturz oder sogar zur Inhaftierung und Hinrichtung wie bei Enzlin, dem sächs. Kanzler Krell (hinger. 1601), Kard. Klesl (1552-1630), dem leitenden Ratgeber Ks. Mathias' oder dem hess. Generalaudienzier Günther, der 1628 hingerichtet wurde, nachdem sein Gönner, Lgf. Moritz (reg. 1592-1627), unter dem Druck der Stände und des Ks.s hatte abdanken müssen. Die zeitgenöss. polit. Theorie zog oft Erklärungsmuster aus der Antike heran, um die Position des Favoriten zu deuten. Bes. beliebt war hier der Rückgriff auf die Werke des röm. Schriftstellers Tacitus. In diesem Kontext ist die Diskussion über den Favoriten Teil einer neuen polit. Klugheitslehre, aber auch des Späthumanismus und seiner Wendung zur antiken Hof- und Fürstenkritik. Werke, die in diesem Milieu ihren Ursprung hatten, haben den Eindruck verstärkt, das späte 16. und das frühe 17. Jh. seien in Europa insgesamt das klass. Jh. des Favoritentums gewesen. Dieses Urteil findet im ausgeprägten Spannungsverhältnis zw. einer von Juristen dominierten bürokrat. Verwaltung und dem persönl. Regiment des Fs.en, dessen Exponent der Günstling war, in dieser Epoche in der Tat einen wesentl. Anhaltspunkt.

Quellen

Georgius Acacius Enenkel, Liber Baronis Hoheneccii, Sejanus. Seu De Praepotentibus Regum ac Principum ministris, Commonefactio, Argentorati 1620.

Asch, Ronald G: Der Sturz des Favoriten: Der Fall Matthäus Enzlins und die politische Kultur des deutschen Territorialstaates an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in: ZWLG 57 (1998) S. 37-63. – Der Fall des Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, hg. von Jan Hirschbiegel und Werner Paravicini, Ostfildern 2004 (Residenzenforschung, 17). – Noflatscher, Heinz: Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480-1530, Mainz 1999 (Veröffentlichungen des Instituts fuer Europäische Geschichte Mainz, 161; Abteilung Universalgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 14). – Rainer, Johann: Kardinal Melchior Klesl (1552-1630). Vom »Generalreformator« zum »Ausgleichspolitiker«, in: Römische Quartalsschrift 59 (1964) S. 14-35. – Rainer, Johann: Der Prozeß gegen Kardinal Klesl, in: Römische Historische Mitteilungen 5 (1961/62) S. 35-163. – The World of the Favourite, hg. von John Huxtable Elliott und Lawrence W. B. Brockliss, London 1999. – Der Zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, hg. von Michael Kaiser und Andreas Pečar, Berlin 2003 (ZHF. Beiheft 32).