Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Treppe

Treppen, österr. auch Stiegen gen., dienen der vertikalen Kommunikation; als solche verbinden sie unterschiedl. Ebenen miteinander. Ihre Position im architekton. Gefüge eines Bauwerks ist in der Regel wohlkalkuliert, hinsichtl. der prakt. Funktion als Erschließungsinstrument, aber auch unter dem Aspekt der repräsentativen Wegeführung vom Außenbereich (Hof, Garten, Straße) in das Innere des Hauses. Gemeinsam mit dem Portal, das nicht selten seine reichste Ausprägung am Eingang zur Haupt- oder Ehrentreppe (escalier d'honneur) erfährt, ist sie gleichsam »Wahrzeichen« und »Visitenkarte« in einem.

Typolog. unterscheidet man grundsätzl. zw. spiralig und gerade verlaufenden Treppen (Wendeltreppe bzw. geradarmige Treppe). Die Stufenfolge einer Wendeltreppe umläuft üblicherweise eine massive zentrale Spindel (monozentr. Wendeltreppe), in seltenen Fällen (z. B. Meißen, Albrechtsburg, Großer Wendelstein, 1471ff.) kann diese auch hohl sein (Lichtspindel bzw. Treppenauge). Sie besteht aus den Treppenstufen, die auf die Treppenwange aufgesattelt oder in sie eingelassen sind, auf Gewölben aufliegen, gelegentl. aber auch freitragend, d. h. nur einseitig eingespannt vorkommen (z. B. Torgau, Schloß Hartenfels, Großer Wendelstein des Neuen Saalbaus, 1533-38). Eine ununterbrochene Stufenfolge heißt Treppenlauf. Architekton. und konstruktive Bravourstücke besonderer Art sind die wenigen, zumeist klein dimensionierten duozentr. Zwillingswendeltreppen, die v. a. in spätgot. Zeit auftreten (z. B. Graz, Schloßtreppe, um 1500) und deren fakt. getrennte Läufe geschoßweise über dem Grdr. einer Acht wie Zahnräder ineinander greifen, um sich anschl. wieder zu trennen. Doppelwendeltreppen nennt man hingegen jene monozentr. Lösungen, bei denen zwei Läufe, deren Antritte um 180˚ versetzt beginnen, in der Art einer Doppelspirale emporführen (z. B. Chambord, Haupttreppe des Donjon, 1519ff.). Je nach Drehsinn kann die Treppe rechts- oder linksgewendelt sein.

Geradarmige Treppen treten mit oder ohne Wendepodest, besser Treppenabsatz gen., auf. Die Stufenfolge zw. zwei Podesten bzw. Absätzen wird als Treppenarm bezeichnet. Entsprechend ihrer strukturellen Gesamtanlage spricht man von ein-, zwei- oder dreiarmigen Treppen. Der von dem Treppenlauf mit seinen Podesten und Absätzen sowie den evtl. vorhandenen Umgängen um den zentralen Luftraum eingenommene Bereich ist das Treppenhaus, das seit der Renaissance zum Hauptelement der Distribution und zeremoniellen Repräsentation (Empfangszeremoniell) namentl. im Schloßbau wurde. »Das Treppenhaus ist zu einem Prachtraum geworden, der seinen Zweck in sich selber trägt, der Erlebnismöglichkeiten bietet, wie sie anderen Prachträumen nicht gegeben sind, die Erlebnismöglichkeiten des Wanderns und Steigens und des damit verbundenen steten Wechsels durch alle Höhenschichten hindurch« (Jahn 1940).

Zu den Sonderformen vertikaler Erschließung gehört die für Pferde geeignete Reittreppe (z. B. Prag, Burg auf dem Hradschin, Zugang zum Wladislawsaal, um 1500; Stuttgart, Altes Schloß, M. 16. Jh.) mit bes. flachen und breiten Stufen sowie die Reitrampe oder Reitschnecke (z. B. Amboise, Schloß, Tour des Minimes und Tour Heurtault, um 1500; Rom, Belvederetrakt der Vatikan. Pal., 1503; Torgau, Schloß Hartenfels, Flaschenturm, um 1540), deren kontinuierl. ansteigende schiefe Ebene auch von Wagen bewältigt werden kann.

1200-1450

Ma. Treppen pflegen den prakt. Nutzen in den Vordergrund zu stellen. Sie sind häufig schmal und steil angelegt, verlaufen geradarmig oder gewendelt in der Mauerstärke oder als Außentreppe vor der Fassade. Eigenständige Türme sind noch selten und eher an kirchl. Gebäuden anzutreffen, wo sie auf Emporen, Laufgänge und zu Glockenstuben und dergleichen führen. Seit dem 14. Jh. wird es zunächst im frz. Schloßbau (Paris, Louvre Karls V., 1365-75; Bourges, Herzogspalast des Jean de Berry, nach 1375; Chevenon, um 1380 für Huguenin de Chevenon, Schloßhauptmann von Vincennes) üblich, stattliche, gut belichtete und zudem bauplast. oftmals markant hervorgehobene Treppentürme zu errichten. Sie weisen durch ihre Größe und ihren architekton. Aufwand den Weg in den Kernbereich fsl. oder adeliger Unterkünfte und sind in der Regel unmittelbar dem wichtigsten Repräsentationsraum eines Schlosses, dem großen Saal, zugeordnet, der als Ausgangspunkt des sich herausbildenden Appartements mit seiner bald standardisierten Raumfolge der sich anschließenden, sukzessive diskreter und intimer werdenden Gemächer zu verstehen ist.

1450-1550

In Dtl. setzt die Reihe der repräsentativen Treppentürme ein mit dem Großen Wendelstein der Meißener Albrechtsburg (1471-85 für die gemeinsam regierenden Brüder, Kfs. Ernst und Hzg. Albrecht von Sachsen, Baumeister: Arnold von Westfalen). Seine ungewöhnl. eindrucksvollen Abmessungen (Stufenbreite der Treppe: 2,12 m), mehr noch seine singuläre architekton. Gestalt, deren zweischalige Skelettkonstruktion den sich am Außenbau abbildenden ansteigenden Treppenlauf auf ingeniöse Weise mit loggienartigen Aussichtsplätzen verbindet, die vor jedem Geschoß unter weiten Bogenstellungen den Blick in den Hof freigeben, machen den Großen Wendelstein zu einem lange Zeit unübertroffenen Beispiel fsl. Repräsentationskultur des SpätMA. Sein Baumeister Arnold von Westfalen scheint frz. Prototypen des 14. und 15. Jh.s (Loggientreppen der Schlösser von Saumur und Châteaudun; Treppentürme des Herzogspalastes von Bourges; Stadthôtel des Jacques Coeur, ebd.) auf eigenen Reisen kennengelernt zu haben, bevor er diese Anregungen innovativ umsetzte. Wie in Frankreich wird auch in Meißen an den Brüstungen ein herald. und figürl. Skulpturenprogramm zum Herrscherlob entfaltet. Diese ikonograph. Seite kehrt wieder an jüngeren mitteldt. Treppentürmen, so etwa an dem anhaltin. Residenzschloß zu Dessau (1530-33, Baumeister: Ludwig Binder), an dem kfsl.-sächs. Schloß Hartenfels zu Torgau (Neuer Saalbau, 1532-36, Baumeister: Konrad Krebs) und schließl. im welf. Celle (Schloß, um 1545-70), wo beigeordnete Brüstungen an Altanen bzw. offene Laufgänge ebenfalls mit polit. Zeichen besetzt werden. Die Kombination von zentralem Treppenturm, Freitreppe mit Altan und Außenlaufgängen als Erscheinungsorten des Fs.en, seiner Familie und seines Hofstaates, wie sie idealtyp. am Torgauer Schloß realisiert wurde, kann als Herrschaftsarchitektur per se verstanden werden. In abgeschwächter Form kehrt das Motiv des durch seine Abmessungen und seinen Schmuck dominierenden Treppenturmes in zahllosen Beispielen während des gesamten 16. Jh.s wieder.

Zur Absteckung der Bandbreite der auftretenden Möglichkeiten sei exemplar. an dieser Stelle auf das Jagdschloß Ottheinrichs von der Pfalz in Grünau bei Neuburg an der Donau verwiesen (1531ff.), wo noch heute eine gut erhaltene Reittreppe mit der stattl. lichten Weite von 2,60 m den gewaltigen Turmkörper ausfüllt. Malereien mit Darstellungen höf. Vergnügungen schmücken dort die Wände des Treppenlaufes. An höchster Stelle des Turmes ist in Grünau wie im Falle des Neuen Saalbaus von Hartenfels ein separater, dem Fs.en vorbehaltener Rückzugsraum, eine »chambre haute«, eingerichtet, deren exquisite Ausstattung mit Jagdtrophäen und Wandgemälden in Verbindung mit der schönen Aussicht entspr. frz. Lösungen voraussetzt und rezipiert.

1550-1650

Seit der Mitte des 16. Jh.s treten neben den Treppentürmen zunächst vereinzelt (Landshut, Stadtres. Hzg. Ludwigs X., ab 1536; Jülich, Schloß in der dortigen Zitadelle, ab 1549 für Hzg. Wilhelm von Kleve-Jülich-Berg, Baumeister: Alessandro Pasqualini aus Bologna; Schloß Horst im Broich bei Gelsenkirchen, 1552ff.), nach 1600 dann verbreitet geradarmige Innentreppen mit Wendepodesten in Treppenhäusern auf, wie sie v. a. in Italien schon seit dem zweiten Viertel des 15. Jh.s (Florenz, Pal. Medici, ab etwa 1444, Baumeister: Michelozzo di Bartolommeo) üblich waren. Ihre Lage, vorzugsweise an der Gelenkstelle zw. Corps de logis und Seitenflügel, in Verbindung mit anschließenden Korridoren macht sie zwar im modernen Sinne zu einer effektiven Schnittstelle der kurzen Wege. Ihre signifikante Außenerscheinung geht damit allerdings verloren. Eine bezeichnende Kombination älterer und zeitgenöss. Architekturvorstellungen führt das Plöner Schloß vor Augen, das sich eine Gottorfer hzgl. Nebenlinie 1633-36 als Res. einrichtete. Auch dort sind die beiden geradarmigen Treppen in symmetr. Disposition komplett der nüchternen Dreiflügelanlage inkorporiert worden, geben sich nach außen jedoch durch silhouettenwirksam das Hauptdach akzentuierende Laternenaufsätze zu erkennen, die gewissermaßen als Zitate einer Turmbekrönung verstanden werden können und die im Baugefüge verborgene Position der vertikalen Erschließung signalisieren.

Dreiarmige Treppen mit mittlerem Antrittsarm und gegenläufigen Austrittsarmen, die als Sondertypus der sog. prä-imperialen und imperialen Staatstreppe (nach N. Pevsner und C. Wilkinson) seit der zweiten Hälfte des 16. Jh.s in den großen Schlössern (und Kl.n) der span. Habsburger vorkommen (Madrid, Alcàzar, um 1540, nicht erhalten; Toledo, Alcàzar, 1558-59; Escorial, 1573, Baumeister: Juan de Herrera), finden in Mitteleuropa erst in der Barockzeit Verbreitung, am prächtigsten in Schloß Weißenstein (Pommersfelden, 1711-16 für den Ebf. von Mainz Lothar Franz von Schönborn, Baumeister: Johann Dientzenhofer und Johann Lucas von Hildebrandt) und in der Würzburger fürstbfl. Res. (ab 1720 für Johann Philipp Franz und Friedrich Karl von Schönborn, Baumeister des Treppenhauses: Balthasar Neumann, Deckengemälde 1752/53 von Giovanni Battista Tiepolo), aber etwa gleichzeitig auch in Schloß Augustusburg (ab 1725 für Kfs. Clemens August) in Brühl bei Bonn. Sie bilden mit ihrer verschwender. Raumdekoration, die den theaterhaft inszenierten Erscheinungsort des Fs.en umfängt, den Höhe- und Schlußpunkt zeremonieller Steigerung im Treppenbau.

Böttcher, Carl: Die Entwicklung des Wendeltreppenbaues bei eingehender Behandlung der altsächsischen Wendeltreppe, Dresden 1909. – L'escalier dans l'architecture de la Renaissance. Actes du colloque tenu à Tours du 22 au 26 mai 1979, hg. von André Chastel und Jean Guillaume, Paris 1985 (De Architectura). – Gatz, Konrad/Hierl, Fritz: Treppen und Treppenhäuser, München 1954. – Gödderz, Johann: Die gewendelte Treppe, o. O. 1949. – Jahn, Johannes: Wörterbuch der Kunst, Stuttgart 1940, S. 739 (s.v. Treppenturm). – Keller, Harald: Das Treppenhaus im deutschen Schloß- und Klosterbau des deutschen Barock, München 1936. – Ludwig, Rudolf Martin: Die Treppe in der Baukunst der Renaissance, Dresden u. a. 1939. – Mielke, Friedrich: Die Geschichte der deutschen Treppen, Berlin 1967. – Schieback, Gloria Maria: Der Torbau, das Portal und die Treppe als Höhepunkte des offiziellen Empfangsweges und ihr bildkünstlerisches Programm, in: Prinz, Wolfram/Kecks, Ronald G.: Das französische Schloß der Renaissance. Form und Bedeutung der Architektur, ihre geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen, 2., durchges. und erw. Aufl., Berlin 1994, S. 237-296. – Zagermann, Helmut: Studien zur Ikonologie des barocken Treppenhauses in Deutschland und Österreich, Tübingen 1975.