Woher kommt das Siegel der Akademie?
Was ist das für ein Brunnen und wie kam die Akademie zu ihrem Leitgedanken "Fecundat et ornat?" Der Kunsthistoriker Klaus Niehr hat sich auf eine komplizierte Spurensuche begeben.

Das „Siegel“ der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ist sozusagen ihr Aushängeschild, ihr Logo, wenn man so will, auch wenn es als solches nicht eingetragen ist. Es begleitet sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts und erscheint als Wort-Bild-Marke auf Briefen, Publikationen, Plakaten und Flyern. Jetzt gibt es das Siegel auch als Pin und als Aufkleber. Und auf einmal stellte sich ein Mitarbeiter, bevor er das Siegel auf sein Auto klebte, die Frage: Woher kommt das Siegel überhaupt? Was ist das für ein Brunnen, was für ein Garten, um welche Berge handelt es sich am Horizont? Und wer hat das Siegel geschaffen?
Glücklicher Weise hat sich diese Fragen auch schon ein Mitglied der Göttinger Akademie gestellt. Klaus Niehr, Professor für Kunstgeschichte am Kunsthistorischen Institut der Universität Osnabrück, ein Experte für Architektur und Bildkünste des Mittelalters und der Frühen Neuzeit unter Einschluss ihrer Rezeption im 18. bis 21. Jahrhundert, hat sich zur Geschichte des Siegels auf Spurensuche begeben und seine Erkenntnisse in einer Plenarsitzung am 4. Dezember 2015 vorgetragen. Dabei wurde schnell klar, dass es der Kunsthistoriker bei seinen Recherchen nicht leicht gehabt hatte. Mit einem Ausflug ins Archiv war es jedenfalls nicht getan, denn es gibt kein einziges Dokument über die Einführung und Verwendung des Siegels.

Niehr durchforstete daraufhin die ikonographische Überlieferung und kam zu einem verblüffenden Ergebnis: Das Bild und der Schriftzug „fecundat et ornat“ (dtsch: „befruchtet und ziert“) wurden nicht etwa für die Akademie erfunden, sondern existierten als Muster schon dreißig Jahre vor ihrer Gründung 1751, allerdings in einem gänzlich anderen Kontext. „Das unmittelbare Vorbild des Göttinger Siegelbildes findet sich auf einer Medaille, die der französische Medailleur Simon Curé (um 1681-1734) 1718 zu Ehren des literarisch wie wissenschaftlich überaus produktiven, von der Nachwelt hoch geschätzten Jesuiten René Rapin (1621-1687) hergestellt hatte“, stellte Niehr fest. Auf der Vorderseite der Medaille ist der Gelehrte abgebildet, auf der Rückseite die aus einem Becken aufsteigende Fontäne mit dem vertrauten Spruch „fecundat et ornat“. Allerdings unterscheidet sich das Motiv auch etwas vom Akademiesiegel: Das Wasserbecken ist breiter gefasst und der Garten symmetrisch angelegt. Niehr fand ebenfalls heraus, dass der Gründer der Akademie Albrecht von Haller die Werke Rapins kannte. Und dass er bei einem Forschungsaufenthalt in Paris von der Münze erfahren haben könnte, die Teil eines groß angelegten Kulturprojektes war, das die Bedeutung des Landes in Zeiten Ludwig XIV. demonstrieren sollte.
Geschaffen wurde das Siegel in Göttingen vom Joёl Paulus Kaltenhofer (1716-1777), ein Zeichner und Kupferstecher, der zahlreiche Publikationen Hallers und Göttinger Professoren illustrierte. „Angesichts der Seltenheit des Motivs und der Einzigartigkeit des Mottos blieb dem Stecher allein der Rückgriff auf die Medaille oder auf ein nach dieser Medaille angefertigtes Bild“, meint Niehr. Endgültig klären lasse sich das aber nicht. Der Kunsthistoriker hat aber auch eine Anekdote in der Entstehungsgeschichte des Siegels gefunden. So schilderte Georg Christoph Lichtenberg in einem Brief an ein anderes Akademiemitglied, Abraham Gotthelf Kästner: „Der arme Kaltenhofer bekam einmal einen entsetzlichen Verweis von HE von Haller dafür daß er foecundat statt fecundat auf die Vignette der hiesigen Societät gestochen hatte und muste seine wohlgemeinte Emendation (Anmerk.: Berichtigung) mit vieler Mühe wieder wegschaben.“ Der von Haller angeprangerte „Fehler“ ist nach Einschätzung Niehrs nur damit zu erklären, dass Kaltenhofer ein Muster genau kopierte. Und bei der Einzigartigkeit des Sinnspruchs könne dies nach heutigem Kenntnisstand allein die Inschrift auf der Medaille für Rapin gewesen sein. alo
Den Aufsatz „Fecundat et ornat: Zur Geschichte des Siegels der Göttinger Akademie“ von Klaus Niehr finden Sie hier.